Alte weiße Männer bei der Darts-WM: Das letzte Ressort
Zu Beginn der Darts-WM können sich alte weiße Männer noch so richtig abfeiern lassen. Nach zwei Runden setzen sich nun jedoch die Guten durch.
Keine Ahnung, welches Übersetzungstool der Kollege von Welt.de benutzt. Aber er war weithin der einzige, der für Joe Cullens emotionalen Ausbruch auf X („If that’s darts, I don’t want no part of it!“ … und „The old guard will say it’s part of the game but word it how you will – its CHEATING!“) nach seinem Ausscheiden gegen den Österreicher Mensur Suljovic von „Schummeln“ sprach. Er wird das Wort „Cheating“ gemeint haben, bei Cullen in Großbuchstaben gesetzt und in 95 Prozent aller anderen Medien mit „Betrug“ übersetzt. Aber ja, den ersten Satz Cullens hat er auch mit „Wenn das Darts ist, möchte ich keinen Teil davon“ übersetzt und „the old guard“ mit „der alte Recke“.
Was war genau passiert? Mensur Suljović lag in dem Spiel der 2. Runde der Darts-WM 2026 im Londoner Alexandra Palace, kurz Ally Pally, gegen jenen Cullen früh deutlich in Rückstand. Der 53-Jährige, der wie so viele Typen beim Darts – man könnte sagen, der alte weiße Mann feiert hier fröhliche Urständ, hat sozusagen das letzte Ressort gefunden, in dem er mit allgemeinem Trinkgelage gefeiert wird – eher unfit aussieht, verlegte nach einigen fürchterlichen Fehlwürfen sein Spiel auf die mentale Ebene: Er verzögerte das Tempo, feierte übertrieben seine guten Würfe, verstieß gegen die Darts-WM-Etikette, indem er unter anderem vergaß, vor dem Jubel seine Pfeile aus dem Brett zu ziehen.
Kinkerlitzchen, sollte man meinen. Joe Cullen, 36 und als knapper Favorit in das Spiel gegangen, ließ sich aber beeindrucken – erst auf’s schlechte Niveau runterziehen und dann besiegen. Jetzt steht er als schlechter Verlierer mit mentalen Problemen da. Suljović hingegen darf gegen den Primus-Primaner Luke Littler nach den Weihnachtsfeiertagen die 3. Runde eröffnen. „Littler schmeiße ich von der Bühne runter“, war sein Statement dazu.
Auch Deutsche unter den Siegern
Die Darts-WM 2026, die so heißt, weil ihr Endspiel bereits im neuen Jahr vonstattengeht, macht nach den letzten Zweitrundenmatches am Dienstagabend eine kleine Pause, bevor es in die entscheidende Phase geht. Die WM der Pfeilewerfer ist dieses Jahr größer als sonst – 128 Teilnehmende, darunter 4 Frauen, 8 deutsche Männer. Von denen hat es keine Frau, dafür mindestens 3 Deutsche, in die Zeit zwischen den Jahren geschafft. Wirkt die WM erstmals aufgebläht? Nein, sie bot bislang guten Fernsehsport, und sie hatte schon reichlich Storys zu bieten, was auch an den vielen Typen lag, die es zu bestaunen gab.
Da gab es zum Beispiel den Dopingwiederholungsfall Dom Taylor, 27. Mittlerweile breitet er sein Privatleben öffentlich aus; von Drogenproblemen (Kokain) auch aufgrund des frühen Tods eines seiner Kinder ist die Rede. Er wird wohl für zwei Jahre aus dem Geschäft gezogen.
Oder, schöner, Paul Lim aus Singapur, blutjunge 71 Lenze alt. Er zeigte den anderen „alten Recken“, dass Alter auch anders gehen kann und schaffte es, den eigenen Altersrekord eines siegreichen Werfers bei einer Darts-WM um vier Jahre zu überbieten. Am Montagabend freilich war Schluss – gegen Ex-Weltmeister Luke Humphries, der sich damit für eine seiner schrecklichsten Niederlagen gegen eben jenen Lim vor vier Jahren revanchieren konnte.
Megaevent
Andere Oldtimer waren da schon lange ausgeschieden, weil sie mit abnehmender Wurfeskraft im Alter zu kämpfen haben. Raymond van Barneveld, mehrfacher Ex-Champ, mittlerweile nur noch in it for the money, auch die ehemaligen Weltmeister Gerwyn Price und Michael Smith: aus in Runde 1 und 2. Leider traf es auch Beau Greaves trotz formidablen Spiel und Fallon Sherrock, die „Queen of the Palace“ und immer noch die einzige Frau, die es schaffte, bei einer Darts-WM ein Spiel zu gewinnen.
Je länger das Turnier fortschreitet, desto mehr setzt sich Klasse durch, insofern stellt Mensur Suljović wohl tatsächlich den letzten Typen im Wettbewerb. Obwohl, die Ex-Champs Gary Anderson und Peter Wright sind auch noch da. Der Arbeiterklassensport – hier werfen immer noch ausgebildete Glaser gegen ausgebildete Elektriker die Pfeile – wirft inzwischen so viel Geld ab, dass selbst Sherrock als Millionärin gilt. Pubromantik war einmal, das hier ist ein Megaevent.
Schaut man auf die Wettquoten, geht in Sachen Titel kein Weg an Titelverteidiger Luke Littler vorbei. Aber Humphries und der ewige Michael van Gerwen werden sicher ein Wörtchen mitreden wollen. Die Deutschen? Vielleicht schafft es einer ins Halbfinale. Der Geheimtipp kommt aus den Niederlanden und heißt Gian („The Giant“) van Veen. Bleiben Sie dabei, das wird groß!
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