Alltagsgegenstand der Panama Papers: Liebeserklärung an einen Briefkasten
Schwedische sind selten abschließbar, manche bringen Glück, andere sind einsam. taz-Autoren über Briefkästen.
Vertrauen und Vielfalt
Da stehen sie. Oder genauer: Da hängen sie. In Reih und Glied zwar, aber kaum einer gleicht dem anderen – wie eine Leibgarde, in der nur Clowns dienen. Ich liebe es, in Schweden an diesen Ansammlungen von Briefkästen vorbeizufahren: rot, blau, gelb, grün, weiß, mal mit Zeitungsrolle, mal ohne. Manch einer groß wie ein Kaninchenstall, andere so klein, dass sein Besitzer froh sein kann, dass kaum noch große Kataloge verschickt werden. Mal ist der Name groß draufgepinselt, mal kaum lesbar in dieses Adressfeld hinter durchsichtiges Plastik gequetscht, mal mit längst verblichenem Filzstift einfach auf Metall oder Kunststoff gekritzelt.
Vollkommen unnormiert sehen die Reihen aus. Manchmal sind auch noch ein, zwei, drei weitere Pflöcke daneben eingeschlagen. Noch mehr Briefkästen. Irgendwo hinter dieser Abzweigung muss noch mal gebaut worden sein.
Doch das Interessanteste: Viele der Briefkästen sind nicht einmal abschließbar, obwohl sie teilweise Hunderte Meter entfernt von ihren Besitzern aufgestellt sind und jeder mal rechts ranfahren und sich bedienen könnte. Sie sind ein Sinnbild für das Vertrauen in die Nachbarinnen und Nachbarn. Und ein Sinnbild für die Entschleunigung: denn wenn solch ein Kasten so weit weg steht, gehe ich da nicht täglich hin. Wenn das Wetter zu gut ist, bleibe ich lieber auf meiner Terrasse. Und wenn das Wetter zu schlecht ist, ach, jeder Brief kann immer mindestens noch einen Tag warten. Oder vielleicht bringt mir ja mein Nachbar die Post vorbei.
Die Absender sind ausgestorben
Mein Briefkasten ist einsam. Und womöglich auch ein bisschen depressiv. Die Einzige, die ihn einmal täglich bewegt, bin ich. Notdürftig, könnte man sagen. Gerade so sehr, dass er nicht gänzlich verkümmert und abfällt. Schlüssel rein, Klappe auf, Klappe zu, Schlüssel raus. Das war’s. Denn es ist nichts drin. Zumindest so gut wie nie. Außer vielleicht mal an meinem Geburtstag.
Was sollte auch drin sein? Postkarten aus dem Urlaub schreibt fast niemand mehr. Man schickt Nachrichten. Liebesbriefe bekomme ich nicht (was äußerst bedauerlich ist). Rechnungen und auch alles andere, was man sonst so sagen will, wird mittlerweile elektronisch verschickt. Zeitungen lese ich auf dem iPad. Die Korrespondenz mit dem Finanzamt regelt meine Steuerberaterin. Und zu allem Überfluss habe ich auch noch einen „Bitte keine Werbung“-Sticker draufgeklebt. Die Absender sind ausgestorben.
Trotzdem gucke ich jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, nach. Warum, weiß ich selbst nicht so recht. Vielleicht um mich solidarisch zu zeigen mit dem armen Ding? Oder aber, und das ist wahrscheinlicher, weil ich die Sehnsucht meines Briefkastens, es möge eines Tages jemand schreiben, teile. Das Warten gehört ja zum Briefkasten auch irgendwie dazu. Generationen von Menschen standen bibbernd im Hausflur, um auf den Briefträger zu warten, auf dass er ihnen eine gute oder schlechte Nachricht bringt. So weit muss ich nun nicht gehen. Aber wer weiß, vielleicht finde ich ja doch irgendwann einen Liebesbrief darin.
Kasten, Schlitz und retour
Aufgewachsen bin ich mit einem Briefkasten als Quell häuslicher Disharmonie: Mein Vater bekam in ihn den CSU-Bayernkurier gesteckt, mein ältester Bruder die DKP-UZ. Der Postbote hatte seinen Spaß, wir hatten das Geschrei.
Als ich nach Berlin-Neukölln zog, vermisste ich schon deswegen auf den ersten Blick nichts. Außerdem waren Briefe zuletzt entweder Absagen gewesen, oder sie kamen vom Amt. Es war dann die Hausverwalterin, die meinen Blick auf den Schlitz in der Wohnungstür ganz oben unterm Dach lenkte: Da käme die Post direkt hinein, die Briefkästen seien immer aufgebrochen worden – oder Schlimmeres. Was das gewesen war, wollte ich gar nicht wissen. Wissen wollte ich allerdings, ob der Postbote wirklich tendenziell jeden Tag zu mir hochkraxeln würde. Auf diese naive Frage bekam ich natürlich nur ein hauptstädtisches Schulterzucken.
Die Post steckte von nun aber tatsächlich jeden Tag in der Tür – abgesehen davon, dass sie natürlich manchmal geklaut wurde. Deswegen hätte ich möglicherweise begründete Ängste entwickeln und die ein oder andere faschistische Partei wählen können wie so einige Landsĺeute. Dazu war ich aber wohl letztlich einfach zu glücklich: mit mir, mit meiner Schlitzwohnung, in Neukölln.
Jetzt wohne ich woanders, habe einen schönen weißen Baumarktbriefkasten; und warte mal ab, was – und ob überhaupt noch – meinem ältesten Sohn demnächst so nach Hause geschickt werden wird.
Der Glücksgefühl-Provider
Der gute alte Hausbriefkasten! Neben Schallplattenspieler, Polaroidkamera und Schnurtelefon das letzte Rudiment der Analogzeit, das dem nostalgischen Studenten geblieben ist.
Egal, ob man auf das neue Semesterticket, den Liebesbrief seiner Erasmusaffäre oder eine fette Stromrückzahlung wartet: Er ist ein zuverlässiger Provider von atemlosen Glücksmomenten. Unvergleichlich, dieser Adrenalinflash, wenn man noch vor dem ersten Kaffee aus unserer Wohnung stürmt, 5 ½ Stockwerke runterrennt, um zu überprüfen ob das ersehnte Schreiben schon da ist.
Der kleine, wunderschön verschnörkelte Schlüssel rein in das Cremeweiß des Kastens – klick, die Tür öffnet sich, unzählige Werbebroschüren hageln einem entgegen, uuund da! Der verdammte gelbe Zettel, der den 20-Minuten-Gang zur DHL-Station bedeutet. Selbst ein kleines Päckchen sprengt nun mal die Kapazität dieses Minikästchens. Und der Postbote war mal wieder zu faul, um das Paket hochzubringen.
Aber hey, auch das notorische Platzproblem des Briefkastens hat einen gigantischen Mehrwert. Seit nämlich immer mehr Postfilialen zumachen und dabei gleichzeitig die Paketflut immer stärker wird, gibt unser Postbote die Päckchen bevorzugt beim kleinen Herrenfriseur nebenan oder drei Etagen unter uns ab.
Der kleine Briefkasten ist somit der einzige Garant dafür, dass ich überhaupt ein paar Mal im Jahr meine Nachbarn sehe.
MORGANE LLANQUE
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