Alltag von Sinti und Roma: Hakenkreuze an der Hauswand
Angriffe und Beschimpfungen gehören für viele von ihnen auch heute noch zum Alltag. Das erzählt Wilhelm Reinhardt, Sohn einer Jüdin und eines Sinto.
TRIER taz | Das Auto rast an seiner Wohnung vorbei, fünf junge Leute darin: Sie grölen "Zigeuner raus!" und werfen mit Glasflaschen. Es ist nicht das erste Mal. Diesmal beschließt der 73-Jährige, sich zu wehren und erstattet Anzeige. Das war im April. Nun erreichte den Sohn einer Jüdin und eines Sinto ein Schreiben der Trierer Staatsanwaltschaft. Obwohl die Täter gefasst werden konnten, wurde das Verfahren eingestellt. Wegen Geringfügigkeit.
Für Wilhelm Reinhardt klingt das nach blankem Hohn. "Es passiert zwei bis dreimal im Jahr. Vor allem im Sommer." Aufgesprühte Hakenkreuze, Parolen, Böller - die Dummheit kennt viele Formen. "Irgendwann muss doch auch mal Schluss sein mit der Diskriminierung", sagt seine Frau Katharina.
Die Angst der rund 70.000 Sinti und Roma in Deutschland wächst. In Leverkusen flogen am Montag Brandsätze in das Haus einer Sinti-Familie. Die Bewohner retteten sich mit knapper Not. Die Polizei schließt einen rechtsradikalen Hintergrund nicht aus.
"Ich hab das als Kind alles mitbekommen", sagt Reinhardt. Zwei Jahre war er alt, als er seinen Vater das letzte Mal sah. "Erst Warschau, dann Auschwitz", sagt er nur. Er selbst verbrachte die Zeit des Naziterrors in christlichen Kinderheimen. Versteckt und getarnt. Die Mutter hatte Kontakte und gab die Kinder ab. Ihr jüngstes Kind war da gerade acht Tage alt. Die Heime riskierten viel. Entsprechend nervös seien die Schwestern gewesen: "Sie sagten uns: Seid ruhig, sonst kommt ihr weg." Das disziplinierte.
Er bekommt keine Opferrente
Sein berühmtester Verwandter, der Jazzmusiker Django Reinhardt, war einer der wenigen Überlebenden der Familie. Der Cousin seines Vaters überstand die NS-Zeit in Paris. Doch viel mehr ist von seiner Familie nicht geblieben. "Tanten, Onkels und Cousins", die meisten Familienmitglieder Reinhardts endeten wie sein Vater in Auschwitz. Um Spuren ihrer Existenz zu beseitigen, vernichteten die Nazis sämtliche Papiere und Unterlagen: "Als hätten wir nie gelebt."
Ihm wird deshalb, wie vielen der etwa 700 Überlebenden, bis heute die Opferrente verwehrt. "Nachzuweisen, dass man Opfer der Nazis war, ist schwierig, und die Behörden sind dabei äußerst restriktiv", kritisiert Arnold Roßberg, Jurist des Zentralrats für Sinti und Roma in Deutschland.
Die Reinhardts sind nicht die einzigen Opfer der Diskriminierung. Im Wohnblock nebenan wohnt ebenfalls eine Sinti-Familie. Sonst wohnt hier fast keiner mehr. Zur nächsten Bushaltestelle braucht man zu Fuß eine halbe Stunde. Aus den leerstehenden Wohnungen wachsen kleine Bäume. Auch die Sintifamilien sollten einst fortziehen.
Der Grund: Ein jahrzehntealter Abrissbeschluss. Die benachbarte Papierfabrik wollte sich erweitern. Später stellte sich heraus, dass die Grundstücke zu einem Naturschutzgebiet gehören. Die Papierfabrik blieb wo sie war. Die Häuser blieben auch, und es blieb auch der Abrissbeschluss - bis heute. Und es blieben die beiden Familien, die sich nicht trennen mochten und keine vergleichbare billige Wohnung finden konnten.
Trier will ein Mahnmal errichten
Die Wohnungen in den braunen 60er-Jahre-Blöcken sind in einem erbärmlichen Zustand. "Die Stadt hat uns gesagt, dass sie keinen Cent mehr investiert", erzählen die Reinhardts. Alle Reparaturen zahlen sie selbst. Die Bewohner fühlen sich alleingelassen.
Wilhelm Reinhardts Geschichte ist eine Geschichte vom Erinnern und Vergessen. Zum Gedenken an die Naziverbrechen an Sinti und Roma will die Stadt Trier noch in diesem Jahr ein Mahnmal bauen. Eine Anfrage, ob die Stadt Trier Stellung bezieht zu dem Vorfall im April, bleibt unbeantwortet. Auf ein Zeichen der Solidarität gegen aktuelle Diskriminierung warten die Reinhardts vergeblich.
Willie, wie Freunde ihn nennen, ist nicht der Typ, der Vorträge hält oder Bücher schreibt. Der Rentner will bloß ein ganz normales Leben für sich und seine Familie. Seine Geschichte erzählt er jetzt, weil genau das nicht möglich scheint.
Am Abend des Vorfalls im April war Wilhelm Reinhardt derart in Rage, er sagte zu einem Polizisten: "Wenn das nicht endlich aufhört, helfen wir uns beim nächsten Mal selbst." Die Antwort des Polizisten: "Jetzt machen sie sich doch nicht unglücklich."
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