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Alfred-Wegener-Institut verliert LeitungTiefseeforscherin geht nach Übersee

Antje Boetius verlässt das AWI in Bremerhaven, um in Kalifornien das renommierte Mbari zu leiten. Portrait einer Wissenschaftlerin, die erzählen kann.

Taucht unter und erzählt davon: Die Tiefseeforscherin Antje Boetius

Bremen taz | Piratin wollte Antje Boetius mal werden: Abenteuer erleben, Neues entdecken, unterwegs sein auf dem Meer, kämpfen (für das Gute, so wie Robin Hood). Aus der Idee wurde nichts. „Ich habe schnell begriffen, dass als Mädchen das Piratinnen-Sein nicht sonderlich perspektivenreich ist“, sagt sie. Geworden ist sie nun: Meeresbiologin, Polarforscherin, Expeditionsreisende, Mahnerin für mehr Klimaschutz.

Seit 2017 leitet Boetius das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. So ganz weit nach oben auf der wissenschaftlichen Karriereleiter geht es von dem renommierten Institut mit seinen 1.200 Mitarbeitenden gar nicht mehr.

Ein bisschen aber schon: Ab kommendem Mai übernimmt die Meeresbiologin die Leitung der Monterey Bay Aquarium Research Initative (Mbari) in Kalifornien. Ein Match: Spezialisiert ist das Mbari auf Tiefseeforschung, Boetius’ Forschungsfeld. Sie selbst hat in den Neunzigern dort studiert, kooperiert regelmäßig mit dem Institut, hat Freunde vor Ort.

Und natürlich, selbstverständlich, will das Mbari Antje Boetius. Wissenschaftlich beschäftigt sie sich seit 30 Jahren mit Mikrolebewesen am Grund der Tiefsee. Wir verdanken ihr Erkenntnisse darüber, wie Bakterien und Urbakterien dort Methan verarbeiten – ein wichtiger Aspekt, um zu verstehen, warum der Klimawandel im Meer nicht noch viel schneller voranschreitet. 2009 erhielt sie dafür den Leibniz-Preis, den wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland.

Immer raus aufs Meer

Boetius’ Karriereweg liest sich glatt. Tatsächlich aber sei ihr Lebenslauf zu großen Teilen von Zufällen geprägt gewesen, sagte Boetius im vergangenen Jahr in einem Arte-Podcast: „Die treibende Kraft war immer die nächste Expedition.“ Raus aufs Meer also. Wenn möglich: unters Meer.

Bis in 3.500 Meter Tiefe konnte Boe­tius bei Forschungsreisen tauchen. Sie weiß, wie man davon erzählen muss: Sie beschreibt, wie das Licht langsam schwindet, wie bei 500 Metern unter Null das Leben zu funkeln anfängt und wie berührend es ist, wenn ein Tintenfisch in der Tiefsee auf eine Discokugel reagiert.

An 50 großen Expeditionen aufs Meer hat sie mittlerweile teilgenommen, wochen-, monatelang war sie jeweils unterwegs. Mittlerweile meist in der Rolle der Koordinatorin, die im Auge behalten muss, dass alle Wis­sen­schaft­le­r*in­nen an Bord ihre Experimente durchführen können, egal, wie oft auf See dafür umgeplant werden muss. Ein gewaltiger Koordinationsakt.

Selbst weiter geforscht hat sie währenddessen trotzdem, und das mit einem unfassbaren Output: Ihr sogenannter h-Index bei Google Scholar, der wissenschaftlichen Einfluss messen soll, beträgt immense 88. Das heißt, dass von ihren veröffentlichten Arbeiten 88 Stück jeweils schon mindestens 88 mal von Kol­le­g*in­nen zitiert worden sind.

Ihr Wissen über Meer und Tiefsee bringt die Uniprofessorin in politischen Gremien ein – und in die Bildungsarbeit, vor Stahlarbeitern und Schulkindern, in Talkshows und Interviews. Sie sensibilisiert für den Klimawandel und versucht, Begeisterung zu wecken für das Unerforschte. Erfrischend erzählen kann sie in diesen Gesprächen! Auch auf geschlossene Ja/Nein-Fragen gibt es von ihr noch eine Geschichte, eine nicht schon hundertmal gehörte Meinung, eine Erkenntnis zur Welt.

Am meisten nehme sie selbst von diesen Begegnungen mit, sagt sie – weil sie merke, wie viele vernünftige, interessierte, begeisterungsfähige Menschen existieren. Es ist wohl diese Überzeugung, die ihr auch Mut gibt, dass die Menschheit noch gute Antworten auf die Klimakrise finden werde: „Wir haben ja gar keine andere Wahl.“

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