Alexei Nawalny kommt in die Klinik: Allergie oder Giftanschlag?
Der inhaftierte russische Blogger kommt in eine Klinik. Seiner Ärztin wird eine Untersuchung verweigert. Die Opposition kündigt neue Proteste an.
Am Sonntag war er von der Haft in die Städtische Klinik in der Wawilov-Straße eingewiesen worden. Der inhaftierte Politiker leide unter einer „akuten allergischen Reaktion“, die zu einer Anschwellung des Gesichtes und geröteter Haut führte, hatte seine Pressesprecherin, Kira Jarmysch zunächst erklärt.
„Nawalny geht es gut. Er hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, Sie sollen nach Hause gehen“, versuchte ein Arzt mehrere Dutzend Weggefährten des Politikers, die sich am Eingang des Krankenhauses nach dessen Befinden erkundigt hatten, am Sonntag zu beruhigen.
Doch die nächtlichen Besucher glaubten dem diensthabenden Arzt nicht. Ebenfalls am Sonntag hatte das Krankenhaus, in dem Alexei Nawalny von medizinischem Personal und Polizisten abgeschirmt wird, der persönlichen Augenärztin des Politikers, Anastasia Wasiljewa, den Zugang zu ihrem Patienten verwehrt. Erst am Montagvormittag durfte sie ihn besuchen.
Ausschlag an Gesicht und Körper
Nawalny, so ihre Diagnose, leide an einer Kontaktdermatitis. Er habe ein ernstes Ödem, Blutansammlungen an den Augenlidern, eitrigen Ausfluss auf der rechten Bindehaut des Auges. Es sei nicht klar, welcher toxische Stoff die Hautausschläge an Gesicht und Körper verursacht habe, schreibt die Ärztin auf ihrer Facebook-Seite.
Nawalny dürfe auf keinen Fall vom Krankenhaus in die Haftanstalt zurückgebracht werden, forderte sie. Ein erneuter Kontakt mit dem bisher noch unbekannten toxischen Stoff könne sehr ernste Folgen für ihren Patienten haben.
Doch genau das ist geschehen. Am Montagnachmittag wurde Nawalny aus dem Krankenhaus in die Haftanstalt verlegt. Er hat eine Vorgeschichte mit Augenleiden. Im April 2017 war er mit einer chemischen Flüssigkeit, dem sogenannten Brilliantgrün, angegriffen worden. Die Folgen dieses Angriffs hatte er in einem spanischen Krankenhaus behandeln lassen.
Seit den Moskauer Bürgermeisterwahlen von 2013, bei denen er mit 27 Prozent auf dem zweiten Platz gelandet war, gilt der Politiker, der seine Wurzeln in der nationalistischen Bewegung hat, als führende Persönlichkeit der russischen Protestbewegung. Mehr als 200 Tage hatte er in den letzten zehn Jahren in Moskauer Arrestzellen gesessen.
Festnahmen vor dem Krankenhaus
Das harte Vorgehen gegen Nawalny hat erneut Protest hervorgerufen. Mehrere Dutzend Menschen hatten die ganze Nacht vor dem Krankenhaus ausgeharrt, um gegen die Behandlung des Politikers zu protestieren. Dabei kam es erneut zu Festnahmen.
Überall in der Welt sei eine ernsthafte Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein Grund für eine Hafterleichterung oder eine Entlassung. Nur nicht bei Nawalny, schimpft ein Sergej Rybakow auf seiner Facebook-Seite.
Man müsse aber auch sehen, dass es anderen unbekannten Gefangenen noch schlechter als Nawalny gehe, meint Rybakow: „Derartiges kann jedem von uns passieren. Der Unterschied ist nur: Über Nawalny schreibt man. Wenn das einem von uns passieren würde, würde niemand etwas davon erfahren.“
Unterdessen bereitet sich die Opposition auf neue Proteste vor. Am 3. August soll wieder für eine Zulassung der Oppositionskandidaten bei den Kommunalwahlen demonstriert werden.
Wichtiges Barometer
Bisher seien 10.000 oder auch 15.000 auf der Straße gewesen, schreibt ein Kirill Rogov im Internetportal besttoday.ru. Doch man müsse sehen, dass im Juli die Hälfte der 20 bis 40 -Jährigen unterwegs sei. Und dies bedeute, dass sich das Protestpotential in den kommenden Monaten verdoppeln oder gar verdreifachen werde.
Es spricht so einiges dafür, dass die für den 8. September angesetzten Kommunalwahlen zu einem wichtigen Barometer der Stimmung in Russland werden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen