Alexander von Humboldts 250.: „Die Natur muss gefühlt werden“
Gerade feiert die Humboldt-Universität seinen 250. Geburtstag. Ein Interview mit Alexander von Humboldt aus einer gegenwärtigen Sicht.
taz : Herr von Humboldt, wir sorgen uns heute im Jahr 2019 sehr um den Bestand des Regenwaldes in Amazonien. Wie haben Sie bei Ihrer wissenschaftlichen Erstbereisung den Dschungel erlebt?
Alexander von Humboldt: Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern. In der Guayana, wo man wegen der Moskiten, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muss, ist es fast unmöglich, am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift der Insekten. In Higuerote gräbt man sich nachts in den Sand, sodass bloß der Kopf hervorragt und der ganze Leib mit 3-4 Zoll Erde bedeckt bleibt. Man hält es für eine Fabel, wenn man es nicht sieht.
Die im Amazonas-Gebiet lebenden indigenen Völker sind mehr denn je bedroht. Wie haben Sie die Menschen dort erlebt?
Ich habe bei den sogenannten „wilden“ Völkern die erhabensten Begriffe von Gott, Tugend, Freundschaft in den Anfängen ihrer Sprache gefunden, in deren tiefe Wahrheit mich hinein zu denken mir nur gelang, wenn ich mich ganz von europäischen Anschauungen, zumal von Äußerlichkeiten, im Geiste losmachte.
Der Mann: Die Humboldt-Universität (HU) zu Berlin feiert in dieser Woche den 250. Geburtstag ihres naturwissenschaftlichen Namenspatrons: dem am 14. September 1769 in Berlin geborenen Alexander. Wobei sein Bruder, Wilhelm von Humboldt, Pädagoge und preußischer Bildungsreformer, für den eigenen Geburtstag der Universität 1810 sogar noch ein Stück wichtiger war. Gleichwohl ist Alexander von Humboldt durch seine Expeditionen nach Lateinamerika und später auch durchs zaristische Russland international bekannter, seine Antworten bei dem Interview mit dem Naturforscher hier sind natürlich Originalzitate aus seinen Schriften.
Das Fest: Wissenschaftlicher Höhepunkt der HU-Festwoche ist die Kosmos-Konferenz „Navigating the Sustainability Transformation in the 21st Century“, die vom 28. bis 30. August 2019 die Weltentwicklungsziele der Vereinten Nationen und ihre Erreichbarkeit bis 2030 diskutiert. Die Fachkonferenz mündet am Freitag in eine große offene „Public Debate“ in der HU, bei der auch Bürgerforscher einbezogen werden. Am Donnerstag, 29. August, lädt die HU ab Mittag zum Sommerfest für alle – Open Air und Eintritt frei. Informationen zum Fest: www.hu-berlin.de.
Die Naturerforschung ist auch heute noch wichtig, aber Sie betonen außerdem, dass allein die intellektuelle Annäherung an die Natur nicht ausreicht.
Die Natur muß gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahirt, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Thiere zergliedern, er wird die Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein.
Klimapolitisch und auch aus Tierschutzaspekten ist heute der hohe Fleischkonsum sehr in die Kritik geraten. Nicht zuletzt wegen des immensen Flächenverbrauchs, der für die Tierfutterproduktion auch die Brandrodung der Amazonaswälder antreibt. Was meinen Sie dazu?
Dieselbe Strecke Landes, welche als Wiese, d.h. als Viehfutter, zehn Menschen durch das Fleisch der darauf gemästeten Tiere aus zweiter Hand ernährt, vermag, mit Hirse, Erbsen, Linsen und Gerste bebaut, hundert Menschen zu erhalten und zu ernähren.
Es mehren sich die Signale, dass wir durch den Klimawandel in Deutschland auf ein neues Waldsterben zusteuern. Wie sollten wir mit den Bäumen, in den Wäldern, aber auch in den Städten, umgehen?
Habt Ehrfurcht vor dem Baum, er ist ein einziges großes Wunder, und euren Vorfahren war er heilig. Die Feindschaft gegen den Baum ist ein Zeichen von Minderwertigkeit eines Volkes und von niederer Gesinnung des einzelnen.
Die Beschreibung der menschengemachten globalen Umweltveränderungen wird seit Kurzem unter dem Begriff Anthropozän zusammengefasst. Auch Sie haben einen ganzheitlichen Blick auf das Ökosystem. Wie sieht dieser Blick aus?
Durch Trennung und Unterordnung der Erscheinungen, durch ahnungsvolles Eindringen in das Spiel dunkel waltender Mächte, durch eine Lebendigkeit des Ausdrucks, in dem die sinnliche Anschauung sich naturwahr spiegelt, können wir versuchen, das All zu umfassen und zu beschreiben, wie es die Würde des großartigen Wortes Kosmos, als Universum, als Weltordnung, als Schmuck des Geordneten, erheischt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen