Alemannia Aachen vor Aufstieg in 3. Liga: Die Kampfschweinbrigade
Die lange versunkene Alemannia aus Aachen steht vor dem Aufstieg in die 3. Liga. Doch der Klub schockiert mit fortgesetzter Nähe zu Rechtsradikalen.
In Aachen war es jahrzehntelang so: Die einen lehnten Alemannia mit saftigem Zynismus ab – ach, hör auf, immer die gleiche Leier mit dem Aufstieg, der doch nicht klappt. Und das ganze Rechtspack da! Und andere gestanden, heimlich eine Dauerkarte zu besitzen. Alemannia war seit 2013 versunken in der Regionalliga West.
Seit einem halben Jahr ist alles anders: Man fragt, in welchem Block warst du denn am Samstag? Selbst Achim Blickhäuser, ehemals Inteamchef des Bunte-Liga-Klubs Partisan Eifelstraße und damit der fußballerischen Konkurrenzwelt, ruft zum Rudelgucken.
Nach Lage der Dinge wird der Klub am Wochenende in Liga 3 aufsteigen, Vorsprung: leverkusenhafte 14 Punkte. Mittlerweile gehen viele hin, weil alle anderen hingehen. Zuletzt waren immer über 25.000 Leute im grellgelben Neuen Tivoli, der jetzt auch schon 15 Jahre alt ist. Gebaut, als man nach einem Jahr Bundesliga 2006/07, drei berauschenden Heimsiegen in Folge gegen den FC Bayern, nach Pokalfinale (2:3 gegen Bremen) und erfolgreicher Uefa-Cup-Teilnahme als Zweitligist glaubte, mindestens „ein Anderthalbligist“ zu sein. Ex-Manager Jörg Schmadtke hatte den Begriff erfunden. Dem Stadionbau (50 Millionen Euro) folgten dichte Finanznebel, zwei Insolvenzen und der Absturz in die Nähe des Nichts.
Trainer Heiner Backhaus war nach vergeigtem Saisonstart im Oktober gekommen, eine Mischung aus harter Hund und freundlicher Motivator. Er scheint ein Glücksgriff zu sein: Spieler berichten, der Coach habe sie in der Halbzeitkabine zusammengefaltet trotz einer 2:0-Führung, weil ihm in der Viertelstunde vor dem Wechsel die letzte Energie gefehlt habe. Nach spektakulären 2,7 Punkten pro Spiel will Backhaus „diesen wunderbaren Verein“ nunmehr „ins Ziel führen“.
Der wunderbare Verein hat aber seit Jahrzehnten auch eine wunderliche andere Seite. Im Januar hatte Alemannia sich ausdrücklich geweigert, anders als fast die gesamte Stadtgesellschaft, zur großen Demo gegen rechts aufzurufen, man wolle „die Gesellschaft nicht spalten“. Das gab Applaus von der AfD hier und setzte Entsetzen da. Und schnelles Zurückrudern, „ein Versehen“, so die Alemannia, nach unglücklicher Internkommunikation.
Rechtsradikale und Vereinsspitze
Beim nächsten Heimspiel entschuldigte sich der Klub, prasselnder Applaus von gut 20.000 war die Folge, keine vernehmbaren Pfiffe. Doch dann kam Ende Februar eine intensive Recherche der Zeit, Titel: „Wie Alemannia Aachen mit Rechtsextremen kooperiert“. Es ging um mannigfaltige Zusammenarbeit zwischen bekannten Rechtsradikalen, vor allem dem Kopf der Boxstaffel Hooligans und der Alemannia-Führungsetage, personell, inhaltlich, auch mal sehr ansehnlich bei ausgelassenen Feierbildern in sozialen Netzwerken.
„Der Traditionsverein hat eine unselige Tradition im Umgang mit rechter Gewalt“, so die Zeit. „In den Neunzigern warb der Neonazi Sascha Wagner am Tivoli um Hooligan-Nachwuchs. Und vor gut zehn Jahren bedrohte und verprügelte eine Koalition zwischen Althools und der,Karlsbande' eine Aachener Ultragruppe, die sich gegen Rassismus und Homophobie engagierte.“ Die Karlsbande hatte danach lange Stadionverbot; irgendwann endete das Verbot still und leise.
Kampfschweinbrigade voller Energie
Auffällig: Die Aachener Zeitung schaffte es bis heute, die Zeit-Recherche zu verschweigen. Vernebelnde Alemannia-Besoffenheit? Der Chefredakteur zur taz: „Wir berichten, wenn wir es für richtig halten. Auch über das Thema rechte Einflüsse bei der Alemannia.“ Aber: „Wir lassen uns von der Zeit nicht treiben.“
Alemannias Auftritte 2024 sind ungefähr so spielstark wie die AfD charmant ist. Ein halbes Dutzend Siege gelang in der Nachspielzeit, auch das ähnlich Bayer Leverkusen. Vor allem aber zeigt sich das Team als taktisch verlässliche Kampfschweinbrigade voller Energie und Robustness. Größte Qualität: Eigene Fehler – als mache man sie mit Absicht, um sie mit Verve wieder auszubügeln, voran die prägenden Innenverteidiger Jan-Luca Rumpf und Kapitän Mika Hanraths, Alemannias Bester.
„Wir sind nicht das weiße Ballett“, weiß auch Coach Backhaus, „aber wir haben Mentalität ohne Ende.“ Vergangene Woche waren sie bei Abstiegskandidat Paderborn II klar unterlegen (2:7 Torchancen), gewannen aber 1:0.
Anton Heinz ist der besonderste Spieler. Der Angreifer jagte 14 direkte Freistöße innerhalb zwei Jahren ins Ziel, im Dezember drei in einem Spiel, was vor ihm nur Siniša Mihajlović 1998 in Italiens Serie A schaffte. „Knuckleball“ nennt Heinz seine Schussvariante mit den absurd flatterhaften Flugkurven. Wie er das macht? „Die einfache Erklärung lautet, ich habe Talent in meinem linken Fuß“, sagte Heinz neulich dem Magazin 11 Freunde, „die komplizierte: Es steckt viel harte Arbeit dahinter.“ Heißt: seit Jahren stundenlanges Training jede Woche. Ganz entscheidend, so Heinz, sei die Ballmarke; manche funktionieren gar nicht, Joma sei wie geschaffen für Knucklebälle.
Der altsmarte Stadionsprecher Robert Moonen (78) wird am Samstag gegen Bocholt im schon lange ausverkauften Tivoli 32.000 Menschen begrüßen. Mitfeiern werden auch Karlsbande und die Boxstaffel Hooligans. Wie immer werden beider Banner vor der Stehplatztribüne prominent sichtbar aufgehängt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos