Album „Good News“ von Megan Thee Stallion: Sie nennt sich Hengst
Megan Thee Stallion veröffentlicht ihr Debütalbum. Darauf geht es um das Erkunden des eigenen Körpers. Kann das Album mehr als explizite Texte?
„Die Muschi ist feucht.“ Handschellen und Halsbänder liegen bereit und Hunderte Millionen Menschen feiern gemeinsam eine auditive Orgie: Megan Thee Stallion und Cardi B ist im Sommer mit dem Song „WAP“ ein Geniestreich gelungen. Ihre Single „WAP“ – die drei Buchstaben stehen für Wet Ass Pussy –, ist eine Ode an die weibliche Sexualität und ein guter Rapsong noch dazu. Das dazugehörige Video, in dem die beiden Rapperinnen durch ein surreal wirkendes Schloss tanzen, hat mittlerweile fast 300 Millionen Aufrufe bei Youtube. Männer kommen darin übrigens keine vor!
„WAP“ ist einer der Raphits dieses Seuchenjahres. Dass so ein Song mit unverblümter Botschaft sowohl im HipHop-Kontext als auch im Pop-Mainstream Erfolge feiert, ist immer noch ungewöhnlich.
Wenn man Megans männlichen Rapkollegen beim Reimen zuhört, stellt sich oft die Frage, ob die Kerle in ihrem Leben überhaupt schon mal Sex hatten. Die immer gleichen seriellen Sexfantasien und Praktiken werden in Rapsongs reproduziert, seit den 1980ern, als 2Live Crew aus Florida mit anstößigen Reimen auffiel, hat sich da kaum etwas geändert.
Diese Männer-Reime klingen oft wie Nacherzählungen von billigen Pornos und nicht nach glaubwürdigen sexuellen Erfahrungen. Vor allem aber beschränken sich die Texte reduziert auf die Beschreibung von männlichen Orgasmen und Männerspaß.
Frauen werden nach wie vor von Rappern in ihren Vorstellungswelten objektiviert, ihre Bedürfnisse spielen keine Rolle. Darum sind HipHop-Texte in ihren Frauenbildern maximal konservativ, verklemmt und sexistisch. Mehr als eine Blowjobs verteilende „Bitch“ gibt die Vorstellungskraft nicht her. Zumindest in den USA ändert sich diese öde Perspektive allmählich. Allerdings nicht wegen einsichtiger Rapper oder liberaler Fans.
Megan Thee Stallion: „Good News“ (300 Entertainment/Warner)
Der Begriff Sexpositivität existiert schon länger als männliche Sexraps. Er hinterfragt den durch patriarchale Strukturen geprägten Blick auf Sex. In den letzten fünf Jahren tauchten in den USA vermehrt Rapperinnen auf, die HipHop-Tracks mit sexpositiven Texten veröffentlichen. Rapperinnen wie cupcaKKe, Brooke Candy oder eben die Texanerin Megan Thee Stallion. Ihre Musik findet längst nicht mehr in einer Nische statt, sie sind keine Einzelkämpferinnen. Es scheint so, als können Frauen endlich vor einem Mainstreampublikum ungeniert über Sex rappen, der auch ihren Vorstellungen entspricht.
Reduzieren auf ein Thema
„WAP“ ist der vorläufige Gipfel dieser Entwicklung, der Song wurde für Stallion zum endgültigen Durchbruch. Mit ihrem Debütalbum „Good News“ versucht die 25-jährige Künstlerin aus Houston nun nach einigen EPs und Mixtapes an den großen Erfolg anzuknüpfen. Die Frage ist nur: Wie spannend ist Rappen über Sex auf Dauer, egal aus welcher Perspektive? Und ist es im Sinne Stallions, sie nur auf dieses eine Thema zu reduzieren?
Denn auf „Good News“ geht es wirklich sehr viel um Sex, um den damit verbundenen Spaß, um das Erkunden des eigenen Körpers. Die Songs sind humorvoll, vulgär, oft beides zusammen. „Bust that pussy wide / Let him adventure inside / If my pussy was a beach, he get swept up by the tide“, rappt sie zum Beispiel auf „Freaky Girls“ zusammen mit SZA.
Spannend ist zu hören, welche Metaphern und Umschreibungen Stallion findet, wie sie diesen neuen feministischen Sound im Sprechen über Sex im Kontext von HipHop performt. Und dass sie dem Motiv des „Players“ mit ihren Songs eine weibliche Konnotation verleiht. Das Vulgäre wechselt nie ins Aggressive. Megan dreht die Rolle also nicht einfach um, sie erfindet eine neue, eine empathischere.
Empfohlener externer Inhalt
WAP
„Good News“ ist eine große Party von Thee Stallion und talentierten Freund*innen wie Beyoncé und den City Girls. Aber das Album ist zu lang. Dieses Gefühl entsteht vor allem durch die schwankende Qualität der Beats. Während „Good News“ inhaltlich stringent ist, sind es die Produktionen leider nicht. Banale Trap-Beats wechseln sich ab mit von eingängigen Samples getriebenen Tunes, die wiederum negiert werden durch im schlechten Sinne an die nuller Jahre erinnernde Synthie-Hooklines („Sugar Baby“). Dem bouncenden Sound geht im Vergleich zu Stallions reimender Kraft immer wieder die Luft aus.
Dass die musikalische und inhaltliche Qualität auseinanderdriften, ist bedauerlich, deswegen wird Stallion als Künstlerin aber nicht weniger relevant. „Good News“ wirkt wie ein Zwischenschritt zur musikalischen Selbstfindung nach „WAP“. Gerade wurde Stallion vom Time Magazine in die Liste der „100 Most Influential People“ gewählt. Sie schreibt Meinungsstücke für die New York Times, setzt sich gegen Rassismus und Polizeigewalt und für soziale Gerechtigkeit ein. Sex ist also nur ein kleiner Teil ihres Schaffens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste