Albert Camus: Der Fremde wird zum Sohn
Nicolas Sarkozy hat für Albert Camus einen Platz im Pariser Panthéon reserviert. Die Familie des Schriftstellers hegt Zweifel an den Absichten des Staatschefs.
Es wäre doch eine großartige Idee, Albert Camus aus Anlass seines fünfzigsten Todestags am 4. Januar 2010 ins Panthéon zu überführen. Diesen Vorschlag machte Präsident Sarkozy am Rande des letzten EU-Gipfels. Er jedenfalls sähe in einer solchen patriotischen Zeremonie "ein außerordentliches Symbol". Wahrscheinlich hatten ihm seine Berater, als sie ihm das Projekt unterbreiteten, auch gesagt, dass für die Exhumierung und den Transport der sterblichen Überreste zu einem solchen postumen Nationalbegräbnis in Paris die Zustimmung der Angehörigen nötig ist. Und daran könnte nun Sarkozys Vorhaben, sich mit einer pompösen Zeremonie im Panthéon eine kleine Scheibe von Camus literarischem Weltruhm abzuschneiden, scheitern.
Denn Alberts Tochter Catherine Camus zögert noch, ob sie der größten Anerkennung durch die Nation zustimmen will: "Ich weiß nicht recht. Mein Vater versuchte immer für jene zu sprechen, die nicht zu Wort kamen. In dieser Hinsicht wäre es also ein schönes Symbol." Andererseits habe der aus einfachsten Verhältnissen stammende Albert Camus solche großen Zeremonien nie gemocht. Seine zweite Frau musste ihn überreden, aus finanziellen Gründen 1957 nach Stockholm zu reisen, um seinen Literaturnobelpreis entgegenzunehmen.
Catherines Zwillingsbruder Jean hat sich bereits klar gegen eine "politische Vereinnahmung" seines Vaters durch Sarkozy und die Staatsführung ausgesprochen. Es ist aber nicht sicher, ob das sein letztes Wort ist. Einen Platz an der Seite von Voltaire, Rousseau oder Victor Hugo im Olymp der französischen Nation schlägt man nicht leichtfertig ab, auch wenn der Grabredner ein Präsident ist, der mehr für seinen etwas billigen Geschmack als für seine Buchlektüren bekannt ist.
Camus "LÉtranger" ist mit Abstand das meistverkaufte französische Taschenbuch. Im Ausland ist Camus der bekannteste französische Autor des 20. Jahrhunderts. Nichtsdestotrotz ist er umstritten. Die Literaturkritik behandelt seine Romane bis heute oft despektierlich als Lektüre für Abiturklassen oder Französischkurse.
Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, ob außerordentlich verdienstvolle Persönlichkeiten zum Familienbesitz zählen oder ob sie letztlich der ganzen Nation gehören. Und seit 1793 der ermordete Revolutionär Marat zuerst feierlich ins Panthéon getragen und wenige Monate später aber als Verräter wieder rausgeworfen wurde, wird auch darüber debattiert, wer es verdiene, in diesem Tempel zu ruhen, dessen Torinschrift lautet: "Aux grands hommes la Patrie reconnaissante". Erst 1995 entdeckte dieses den Söhnen so dankbare Vaterland erstmals auch eine "große Tochter". Damals nahm Präsident Mitterrand die Physikerin Marie Curie als erste Frau ins Panthéon auf.
Unabhängig davon, ob Camus Gebeine nun in Lourmarin bleiben, wo er begraben liegt, oder ins Panthéon kommen, wo sie nach Sarkozys Meinung "hingehören", ist nun die Debatte über seine Bedeutung als Literat und Philosoph neu eröffnet. Sarkozy präsentiert ihn als "Nonkonformisten". Fünfzig Jahre nach seinem frühen Tod erscheint der Autor des "Mythos von Sisysphos" vielen Zeitgenossen aber mehr wie ein Inbegriff des politisch korrekten Denkens: Er verwehrte sich gegen jede Form von Dogmatismus und Totalitarismus, leistete aktiven Widerstand gegen den Faschismus und verurteilte konzessionslos den Stalinismus. Er kritisierte die Zyniker der Macht, engagierte sich sein Leben lang gegen die Todesstrafe, protestierte gegen die Atombombe. Wer wollte und könnte dem widersprechen? Heute zitiert jeder Camus.
Das war zu seinen Lebzeiten nicht so. Camus widerstand der Versuchung zum bequemen Denken. Jenen, die mit dem Zweck die Mittel heiligen wollten, sagte er: Und was rechtfertigt den Zweck, wenn nicht die Mittel? Den führenden Intellektuellen im Frankreich der Nachkriegszeit erschien sein Humanismus, den er in seinem Traktat "Der Mensch in der Revolte" als Antwort auf die absurde Existenz konzipierte, zu zimperlich und zu wenig revolutionär.
Politisch stand Camus immer links. Kurz vor dem Krieg war er aber aus der Kommunistischen Partei Frankreichs ausgetreten. Er war ein Gegner des Kolonialismus und jeder Form von Unterdrückung. Aber weil er die revolutionäre Gewalt konsequent ablehnte - namentlich auch die der algerischen Befreiungsbewegung - und schließlich auch noch Stalins und Hitlers Verbrechen in denselben Topf warf, kündigte ihm Jean-Paul Sartre die Freundschaft. Wie schwer oder einfach es ist, im Nachhinein gegen Sartre mit Camus recht zu haben und gleichzeitig dessen Appell zur Revolte in patriotischer Lobhudelei zu ertränken, wird Präsident Sarkozy nun mit seiner Panthéon-Initiative beweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg