Aktueller Verfassungsschutzbericht: Seehofer will alle Register ziehen
Laut Verfassungsschutz ist die Zahl der Rechtsextremisten mit 24.100 auf einem Höchststand. Der Innenminister nennt die Szene „brandgefährlich“.
Insgesamt zählte der Verfassungsschutz 2018 24.100 Rechtsextremisten – 100 mehr als noch im Jahr zuvor. Damit steigt die Zahl seit vier Jahren kontinuierlich an. Über die Hälfte gilt als gewaltbereit, viele haben laut Seehofer zudem eine „hohe Waffenaffinität“.
Seehofer beteuerte erneut, „alle Register“ im Kampf gegen Rechtsextremismus ziehen zu wollen. So prüfe seine Behörde das Verbot mehrerer Gruppierungen. Namen wollte Seehofer nicht nennen, allerdings sei ein Verbot auch dann denkbar, wenn eine Gruppe bislang keine Gewalt angewendet hat, aber rassistische Propaganda verbreitet. Der Mord an Walter Lübcke habe gezeigt, dass Hetze im Netz in reale Gewalt münden könne. Als „geistige Brandstifter“ bezeichnete Seehofer etwa die „Identitäre Bewegung Deutschland“.
Den größten Teil der Rechtsextremisten verortet die Behörde in einem „weitgehend unstrukturierten“ Kreis an Personen, die nicht in festen Strukturen oder Parteien organisiert sind. Auch deren Zahl ist gestiegen. Laut Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang beobachtet seine Behörde zunehmend Kleinstgruppen und Einzelgänger, die sich durch Hetze und Propaganda in sozialen Netzwerken radikalisierten.
Rechtsextremisten so schnell wie nie
Dazu trage bei, dass rechtsextreme Gruppen permanent daran arbeiteten, ihre Mobilisierungsstrategien und ihre Vernetzung zu stärken – auch international. Neben Konzerten spielten zunehmend auch Kampfsportveranstaltungen eine wichtige Rolle. Vor allem aber gelänge es immer häufiger, lokale Protestgeschehen zu unterwandern. „Eine so erfolgreiche Ad-hoc-Mobilisierung wie in Chemnitz haben wir noch nicht gesehen“, sagt Haldenwang. Der Brückenschlag zur bürgerlichen Mitte gelinge Rechtsextremen immer besser.
Die „einzige gute Nachricht“ sei, dass rechtsextreme Parteien wie die NPD oder „Der III. Weg“ 2018 keine nennenswerten Wahlerfolge feiern konnten, so Haldenwang. Auch sinken deren Mitgliederzahlen. Die AfD zähle seine Behörde nicht als rechtsextrem, betonte Haldenwang auf Nachfrage. Lediglich die Unterorganisationen „Der Flügel“ und die „junge Alternative“ seien weiter „als Verdachtsfälle in der Prüfung“. Mehr Klarheit erhoffe er sich hier vom sogenannten Kyffhäusertreffen des „Flügels“ im Juli.
Stark gestiegen – von 16.500 auf 19.000 – ist die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter. Während sie ohne Ausnahme als staatsfeindlich gelten, stuft der Verfassungsschutz nur 950 von ihnen als rechtsextrem ein. In dieser Szene seien antisemitische Ideologien verbreitet.
Eher zugeknöpft gaben sich Seehofer und Haldenwang auf Nachfragen zum rechtsextremistischen Potenzial innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden. Es handele sich um „Einzelfälle“. Auch wies Seehofer Kritik von sich, das Innenministerium oder der Verfassungsschutz hätten sich lange zu wenig um rechtsextremistische Strukturen gekümmert. „Es gibt keine Blindheit auf dem rechten Auge.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe