Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Merkel räumt Fehler ein
Im Bundestag verteidigt die Kanzlerin die Beschlüsse des Coronagipfels vom Mittwoch. Die Bundesregierung plant Einreisebeschränkungen für Tirol und Tschechien.
Einreisebegrenzung für Tirol und Tschechien geplant
Wegen des gehäuften Auftretens von Mutanten des Coronavirus bereitet die Bundesregierung offensichtlich Einreisebegrenzungen für Reisende aus Tschechien und aus dem österreichischen Bundesland Tirol vor. Dies sei bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) abgestimmt, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag der „Süddeutschen Zeitung“. In Kraft treten sollten die neuen Regeln „wohl in der Nacht zum Sonntag“.
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„Der Freistaat Bayern und der Freistaat Sachsen haben heute die Bundesregierung gebeten, Tirol und grenznahe Gebiete Tschechiens als Virusmutationsgebiete einzustufen und stationäre Grenzkontrollen vorzunehmen“, zitierte die „SZ“ Seehofer weiter. „Wir werden das wohl so entscheiden“, sagte der Minister demnach.
Die Einreisebegrenzungen sollten dann wohl den Regeln entsprechen, die bereits für Einreisen aus Großbritannien verhängt wurden, hieß es weiter. Einzelheiten, auch zu möglichen Ausnahmen, würden aber noch zwischen den Regierungsressorts abgestimmt.
Reisende aus Großbritannien müssen bei der Einreise einen negativen Coronatest vorlegen und unterliegen strengen Quarantänevorgaben. (afp)
Debatte um Lockdown
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Fehler bei der Bekämpfung der Coronapandemie eingeräumt und zugleich die am Vortag beschlossene Lockdown-Verlängerung verteidigt. Die erste Welle im vergangenen Frühjahr habe Deutschland weit weniger hart getroffen als viele andere Staaten, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag im Bundestag. „Dann waren wir nicht vorsichtig genug und nicht schnell genug.“
Man habe auf die Anzeichen der zweiten Welle und die Warnungen verschiedener Wissenschaftler „nicht früh und nicht konsequent genug das öffentliche Leben wieder heruntergefahren“, sagte Merkel. Die weitgehende Verlängerung der einschneidenden Maßnahmen gegen die Pandemie nannte sie in ihrer Regierungserklärung „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“.
Die Kanzlerin und die Ministerpräsident:innen der Länder hatten am Vortag beschlossen, dass der Lockdown bis zum 7. März verlängert werden soll. Eine Ausnahme gibt es für Friseure, die bei strikter Einhaltung von Hygieneauflagen bereits am 1. März wieder aufmachen dürfen. Auch Schulen und Kitas können wieder öffnen – dies wurde in das Ermessen der einzelnen Bundesländer gestellt. Einige haben bereits Öffnungen noch im Februar angekündigt.
Merkel machte deutlich, dass sie für Schulen und Kitas lieber einen strengeren Kurs gehabt hätte. Die Folgewirkungen der wochenlangen Schließungen seien natürlich spürbar und die Anspannung der Eltern sei groß. „Und trotzdem hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht, dass wir auch hier entlang der Inzidenz entscheiden, aber ich habe auch akzeptiert, dass es eine eigenständige Kultushoheit der Länder gibt, vielleicht das innerste Prinzip der Länder.“
Die Opposition reagierte mit scharfer Kritik auf die Beschlüsse. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sagte, auch nach einem Jahr sei „Wir bleiben Zuhause“ der wesentliche Grundsatz. „Das ist bestenfalls einfallslos. Mit Sicherheit, Frau Merkel, ist das nicht alternativlos“, sagte Lindner. Die FDP habe kein Verständnis dafür, dass vorhandene Technologien nicht genutzt würden, beispielsweise im großen Stil Schnelltests einzusetzen oder die Coronawarnapp zu erweitern.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf der Regierung Rechtsbruch vor: „Was die Bundesregierung hier betreibt, ist verfassungswidrig“, sagte sie. Die Regierung betreibe eine „falsche Politik, die nur Verbot und Zwang zu kennen scheint“. Weidel monierte: „Drei Monate Wellenbrecher-Lockdown, und Sie wollen noch mal einen Monat dranhängen. Die Kollateralschäden Ihrer Methode von Einsperren und Dichtmachen wachsen ins Unermessliche.“
Merkel betonte dagegen: „Die allermeisten der beschlossenen Maßnahmen müssen konsequent beibehalten werden.“ Die Kanzlerin verteidigte auch die Entscheidung gegen einen festen Fahrplan für weitere Öffnungsschritte. Man stehe in einem Kampf mit dem Virus, sagte sie. „Und das Virus richtet sich nicht nach Daten, sondern das Virus richtet sich nach Infektionszahlen und nach Fragen, wie sich die Infektion ausbreitet.“
Angesichts massiver Kritik an der schleppenden Auszahlung der zugesagten Coronawirtschaftshilfen stellte sich Merkel hinter Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): „Ich weiß, wie viele Menschen auf das Geld warten“, sagte sie. „Ich weiß, wie der Einzelhandel leidet und andere auch.“ Die „sehnlichst erwarteten“ Anträge auf die Überbrückungshilfe III könnten nun aber gestellt werden.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mahnte, konkrete Hilfen für die Wirtschaft müssten nun auch endlich ankommen. Genügend Geld stehe bereit. Bislang komme die deutsche Wirtschaft besser durch die Krise als andere Volkswirtschaften. Mützenich warb ebenfalls für Vorsicht bei weiteren Lockerungsschritten: „Die Erfolge sind sichtbar, aber zerbrechlich“, sagte er. „Die Rückkehr zu einem weniger beschränkten Alltag muss anhand dynamischer und nachvollziehbarer Kriterien nach und nach entstehen.“
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Als eine Lehre aus der Pandemie verlangte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus eine deutlich bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Katastrophenvorsorge. Die Pandemie werde nicht die letzte Katastrophe sein, sagte der CDU-Politiker. Es gebe „Super-Katastrophenstäbe“ in den Landkreisen und Städten, regional sei man mit Feuerwehren und Hilfsorganisationen „super aufgestellt“.
Lücken sah Brinkhaus aber bei der Koordination zwischen Bund und Ländern. „Wir müssen Katastrophen üben, wir müssen Automatismen schaffen, dass wir mit diesen Katastrophen besser klar kommen.“ Auch Brinkhaus sah Schulöffnungen kritisch: „Ich habe da meine Zweifel, ob das in dieser Phase richtig ist.“ (dpa)
Geteiltes Echo nach Coronagipfel
Der Beschluss von Bund und Ländern zur schrittweisen Öffnung der Schulen und Kindertagesstätten in den kommenden Wochen erntet ein geteiltes Echo. Während die Kultusministerkonferenz die Öffnungsperspektiven für Schulen ausdrücklich begrüßte, kritisierten der Deutsche Lehrerverband, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Bundesschülerkonferenz, dass die Bundesländer unterschiedlich vorgehen können.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst (SPD), nannte es ein gutes Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche als erste von Lockerungen der Coronaschutzmaßnahmen profitieren. „Die Länder werden jetzt verantwortungsvoll bei den Grundschulen mit schrittweisen Öffnungen beginnen“, sagte die brandenburgische Bildungsministerin Ernst der Düsseldorfer Rheinischen Post (Donnerstag).
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Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte die Überlegungen zum Impfangebot, hält es aber für falsch, bei den Schulöffnungen nicht bundesweit einheitlich zu verfahren. „Den Ländern freie Hand zu geben, ist ein Eigentor: Die Akzeptanz und Unterstützung der Maßnahmen der Länder wird bei Lehrkräften, Erzieherinnen, Erziehern, den Lernenden und deren Eltern weiter sinken“, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag).
Ähnlich argumentierte der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm. Er sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Das Chaos ist komplett, wenn wir uns die anstehenden Abiturprüfungen anschauen. Der eine Schüler wird sich vor Ort in der Schule vorbereiten können, ein anderer muss auf den qualitativ schlechteren Distanzunterricht hoffen.“ Von einem einheitlichen Vorgehen sei das weit entfernt.
Auch der Deutsche Lehrerverband bedauerte, dass keine gemeinsame Öffnungsstrategie vereinbart wurde. Die Länder handelten „wiederum nicht einheitlich nach dem Infektionsgeschehen, sondern nach politischen Erwägungen“, kritisierte Verbands-Chef Hans-Peter Meidinger in der „Rheinischen Post“: „Damit gehen die Bundesländer, die jetzt vorpreschen, ohne dass die Inzidenzzahlen das hergeben, ein großes Risiko ein.“
Bund und Länder hatten sich am Mittwoch auf eine Verlängerung der aktuellen Corona-Einschränkungen bis zum 7. März geeinigt. Friseure sollen aber am 1. März unter Hygieneauflagen wieder öffnen dürfen. Der Handel soll folgen, wenn die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen unter 35 liegt. (epd)
Über 10.000 Neuinfektionen gemeldet
Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut (RKI) 10.237 Neuinfektionen mit dem Coronavirus binnen eines Tages gemeldet. Außerdem wurden 666 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie aus Zahlen des RKI vom Donnerstag hervorgeht. Die Daten geben den Stand des RKI-Dashboards von 05.30 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
Am Donnerstag vergangener Woche hatte das RKI 14.211 Neuinfektionen und 786 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet. Der Höchststand von 1.244 neuen gemeldeten Todesfällen war am 14. Januar erreicht worden. Bei den binnen 24 Stunden registrierten Neuinfektionen war mit 33.777 am 18. Dezember der höchste Wert gemeldet worden – darin waren jedoch 3.500 Nachmeldungen enthalten.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Donnerstagmorgen bundesweit bei 64,2. Vor vier Wochen, am 13. Januar, hatte die Inzidenz noch bei 155 gelegen. Ihr bisheriger Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden. Die meisten Bundesländer verzeichnen laut RKI weiterhin sinkende Sieben-Tages-Inzidenzen.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 2.310.233 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland (Stand: 11.02., 00.00 Uhr). Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 63.635.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Mittwochabend bei 0,82 (Vortag 0,82). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 82 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. (dpa)
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