Aktuelle Lage in der Ukraine: Gegenoffensive läuft an, mit Verlusten
Die Ukraine soll an einigen Orten im Süden des Landes russische Linien durchbrochen haben. Allerdings nicht ohne Schäden an Kampffahrzeugen.
Die ukrainischen Streitkräfte gehen an immer mehr Stellen der über 1.000 Kilometer langen Kriegsfront gegen die russischen Besatzer zum Angriff über. Nachdem die Regierung in Kyjiw am Montag vergangener Woche „offensive Aktionen“ bestätigt hatte, behauptete Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag, die lang erwartete ukrainische Gegenoffensive habe begonnen. Am Samstag sprach auch Ukraines Präsident Wolodimir Selenski von „Gegenoffensivaktionen“, zu denen er aber „keine Einzelheiten“ nennen wolle.
Das Hauptaugenmerk richtet sich auf den etwa 200 Kilometer breiten Frontabschnitt in der Südukraine, der vom Fluss Dnipro bei der ukrainisch gehaltenen Stadt Saporischschja nach Osten bis in die Nähe der seit 2014 russisch besetzen Stadt Donezk führt. Hier, wo die Frontlinien seit den ersten Kriegswochen unverändert sind, soll die Ukraine ihre für rasche Vorstöße jenseits der russischen Linien ausgerüsteten Kampfbrigaden konzentriert haben.
An mehreren Stellen dieser Front wurden in den letzten Tagen ukrainische Durchbrüche gemeldet, teils bis zu fünf Kilometer tief. Einige bisher russisch besetzte Dörfer seien „kampflos gefallen“, vermeldete am Sonntag der russische Telegram-Dienst Rybar. Der ukrainische Generalstab bestätigte, im Gebiet Saporischschja befänden sich die russischen Streitkräfte „in der Defensive“.
Am Samstag hatten russische Quellen Bilder aus dieser Region verbreitet, die zerschossenes westliches Militärgerät zeigen sollen. Die ukrainische Offensive sei gescheitert, hieß es dazu. Westliche Beobachter bestätigten Materialverluste – drei Leopard-Kampfpanzer aus deutscher Produktion, 14 Bradley-Kampffahrzeuge aus US-Produktion und zwei AMX-10RC-Schützenpanzer französischer Produktion – nicht aber die Deutung: Man habe die meisten beschädigten Fahrzeuge zurückholen und reparieren können und man dürfe aus Einzelverlusten keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Angriffe jeden Tag woanders
„Die ukrainischen Kräfte versuchen derzeit eine außergewöhnlich schwierige taktische Operation – einen Frontalangriff auf vorbereitete Verteidigungsstellungen, und das ohne Lufthoheit“, schrieb am Samstag das Institute for the Study of War in den USA in seinem neuesten Lagebericht. Dass die Ukraine dabei Opfer lasse, sei keine Überraschung, aber „die Ukraine hat die überwiegende Mehrzahl ihrer Gegenoffensivkräfte noch nicht im Einsatz, und russische Verteidiger sind nicht entlang aller Frontabschnitte gleich stark“.
Deutlich wird, dass die Ukraine jeden Tag woanders zuschlägt. Der ukrainische Generalstab sprach am Sonntag von 35 unterschiedlichen Feindkontakten am Vortag allein in den Gebieten Donezk und Luhansk. Geländegewinne werden vor allem nahe der Stadt Bachmut gemeldet.
Es gehe der Ukraine zunächst darum, mit vielen Angriffen an vielen Orten die Initiative zu gewinnen, analysierte am Samstag der australische Militärexperte Mick Ryan. Damit solle der Zusammenbruch der russischen Stellungen erreicht werden.
Überschattet wird das von den dramatischen humanitären Folgen des vermutlich durch eine russische Sprengung verursachten Dammbruchs von Kachowka, der seit dem 6. Juni am Unterlauf des Dnipro weite Landstriche unter Wasser gesetzt hat. Nach ukrainischen Angaben sind 78 Ortschaften überflutet worden, 14 davon in russisch besetztem Gebiet.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott