Ak­ti­vis­t:in­nen über „Marsch für das Leben“: „Wir stehen auf bessere Argumente“

Samstag marschieren wieder Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen durch Berlin. Das What-the-Fuck-Bündnis organisiert ungemütliche Gegenproteste.

Bunte Demo am 19. September 2020 gegen den sogenannten „Marsch für das Leben“

Bunte Demo am 19. September 2020 gegen den sogenannten „Marsch für das Leben“ Foto: Christian Spicker/imago images

taz: „Blut Kot Glitzer“ ist das Motto der diesjährigen Proteste des What-the-Fuck-Bündnisses. Wie kam es denn zu diesem Slogan, Frau Nowak?

Ella Nowak: Der kommt von einem Berliner Polizisten. Vielen Dank noch mal dafür!

Tatsächlich? Erzählen Sie mal bitte!

Wir haben im vergangenen Jahr die Menschen unterstützt, die sich 2019 nach einer Sitzblockade beim Marsch für das Leben gegen den Vorwurf der Nötigung verteidigen mussten. Bei einem dieser Prozesse hat ein Zeuge von der Polizei behauptet, dass bei unseren Protesten mit Blut, Kot und Glitzer geworfen würde. Das war ein absurdes Beispiel dafür, wie überzogen die Bilder von uns gezeichnet werden. Da werden die Fundis vom Marsch als alte, gebrechliche Opfer dargestellt, die wir nötigen, stehen zu bleiben. Und wir sind dann die völlig perversen, mit Fäkalien schmeißenden Wilden. Das ist so einschlägig als Bild, dass wir uns das aneignen und zunutze machen mussten.

29, ist Sprecherin des What-the-Fuck-Bündnisses, das jährlich Gegenproteste zum „Marsch für das Leben“ organisiert.

Wer genau ist dieses „Wir“? Aus wem besteht das „What-the-Fuck“-Bündnis?

Wir sind ein Berliner Bündnis aus verschiedenen linksradikalen, queerfeministischen Gruppen und Einzelpersonen. Die interventionistische Linke ist zum Beispiel dabei und die Gruppe „Andere Zustände ermöglichen“. Wir organisieren jedes Jahr die Gegenproteste zum Marsch für das Leben, der immer im September in Berlin stattfindet. Dieses Jahr planen wir am Vorabend eine eigene Demo, wo wir unsere Anliegen auf die Straße bringen, und dann am Samstag rund um den Marsch Störaktionen.

Wie lange gibt es diese Gegenproteste schon?

Wir haben vor elf Jahren angefangen, uns gegen den Marsch zu organisieren. Die Notwendigkeit war klar: Zum einen sind natürlich das Recht auf Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung grundsätzlichste feministische Themen. Das Ganze bekommt aber noch einmal eine andere Brisanz durch deren Verbindungen zu den extremen Rechten. Das hat vielen Menschen enorme Motivation gegeben zu sagen: Das können wir nicht zulassen, dass die jedes Jahr ungestört ihr Hauptvernetzungstreffen in Berlin-Mitte abhalten.

Marsch für das Leben Die Veranstaltung der Lebensrechtsbewegung fand ab 2002 zunächst alle zwei Jahre unter dem Namen „1.000 Kreuze für das Leben“ statt. Seit 2008 marschieren die Geg­ne­r:in­nen von Schwangerschaftsabbrüchen jährlich durch Berlin, in diesem Jahr am Samstag, den 18. September, ab 12 Uhr. Regelmäßig beteiligen sich neben Kir­chen­ver­tre­te­r:in­nen auch Po­li­ti­ke­r:in­nen von CDU, CSU und AfD. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz verweigert seit Längerem ihre Unterstützung für den Marsch wegen der Beteiligung von Rechtspopulisten.

Gegenproteste Seit 2008 findet organisierter Protest statt. Hauptveranstaltende sind das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, dem u. a. Gewerkschaften, Beratungsstellen, feministische Initiativen, Grüne und Linke angehören sowie das queerfeministische Bündnis What the Fuck. Die Berliner Regierenden Bürgermeister unterstützten die Gegenproteste in den vergangenen Jahren regelmäßig. (mah)

Wie viel von diesen rechten Verbindungen ist sichtbar beim Marsch für das Leben?

Denen ist über die Jahre natürlich auch klar geworden, dass das kein besonders positives Bild ausstrahlt, wenn Neo-Nazis in der ersten Reihe mitlaufen. Man kann also schon beobachten, dass die inzwischen einen größeren Aufwand betreiben, damit das Bild nach außen schöner wird und sie ein bisschen bürgerlicher daherkommen. Aber im Hintergrund sind die Strukturen noch die gleichen.

Was findet denn nicht mehr auf der Straße statt?

Da läuft dann Beatrix von Storch nicht mehr in der ersten Reihe mit, sondern etwas weiter hinten. Das Grußwort sprechen unbekanntere Kirchenleute. Es wird also kaschiert, wer da eigentlich alles dabei ist. Früher konnte auch jeder von denen seine eigenen Transpis mitbringen, jetzt verteilen die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen die Schilder. Seitdem sieht man die Hardcoresachen wie den direkten Vergleich zwischen Abtreibung und Shoah nur noch ganz selten.

War in den vergangenen Jahren der Marsch größer oder der Gegenprotest?

Ich würde sagen, die Zahlen beim Marsch stagnieren so bei 5.000 Teilnehmer:innen. Bei uns ist das etwas schwerer zu schätzen, weil wir dezentral unterwegs sind und außer uns auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und andere Personen gegen den Marsch mobilisieren. Letztes Jahr haben wir so 6.000 Protestierende geschätzt. Ich bin da natürlich überhaupt nicht objektiv, aber ich würde schon sagen: Wenn man an dem Tag in Mitte unterwegs ist, dann nimmt man doch mehr den Gegenprotest wahr. Auch in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien ist es mehr und mehr gekippt, sodass die Deutungshoheit dieses Tages eher bei uns liegt. Das haben wir schon gut geschafft.

Kommt es zu inhaltlichen Begegnungen zwischen den Leuten vom Marsch und den Protestierenden?

Die Demos selber sind ja total abgeriegelt. Aber der Weg dahin kann schon ungemütlich sein für die Leute vom Marsch. 2019 kam es zu einer unmittelbaren Begegnung. Da hatten sich Aktivistinnen von uns verkleidet in den Marsch begeben und von dort aus die Sitzblockade gestartet. Da kamen dann Rufe wie „Wir beten für euch, ihr werdet auch noch gerettet“. Aber das würde ich jetzt nicht als inhaltlichen Austausch bezeichnen. Die Positionen sind einfach zu weit auseinander, um überhaupt noch reden und diskutieren zu können. Wenn man aus Süddeutschland für so eine Demo nach Berlin fährt, ist es schwer, noch irgendwas zu verhandeln.

Wie heterogen ist denn Ihr Bündnis?

Bei uns machen verschiedenste Leute mit. Man könnte aber sagen, dass wir eher jünger, queer und weniger institutionalisiert sind. Wir sind relativ divers, was Herkunft, Bildung, Klasse, Krankheit und Behinderung betrifft. Mit älteren feministischen Organisationen haben wir eher Konfliktpunkte, zum Beispiel, dass nicht nur Frauen schwanger werden können; dass Sexarbeit Arbeit ist.

Hat der Anteil queerer Themen in den vergangenen Jahren zugenommen?

Es ist eher so, dass mit den Jahren mehr und mehr in den Fokus gerückt ist, dass wir auch eigene Themen setzen wollen. Am Anfang ging es vor allem darum, sich am Marsch abzuarbeiten und zu zeigen, dass wir echt nicht einverstanden sind mit denen. Das ist immer noch ein großer Teil unserer Proteste und kostet viel Zeit und Kraft. Aber je länger wir im Bündnis zusammenarbeiten, desto mehr wollen wir diese Proteste auch nutzen, um der Gesamtgesellschaft zu zeigen: Wir sind nicht nur gegen etwas, sondern wir haben auch Forderungen. Für das Thema Abtreibung heißt das, dass Schwangerschaftsabbrüche endlich legalisiert werden und dass Gy­nä­ko­lo­g:in­nen nicht mehr bestraft werden können, wenn sie Informationen dazu bereitstellen. Aber der Marsch ist ja noch mehr, er steht für den totalen Fokus auf die Hetero-Kleinfamilie. Auch da wollen wir Inhalte setzen und zeigen, es gibt viel mehr als das. Und das dritte große Thema ist der Bereich Pränataldiagnostik. Die Fundis versuchen immer wieder, dieses Thema für sich zu beanspruchen und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mit Behindertenfeindlichkeit gleichzusetzen. Wir kämpfen aber gegen eine behindertenfeindliche Gesellschaft und haben eigene Positionen zu Pränataldiagnostik.

Es gibt zwischen Ihnen und Be­hin­der­ten­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen keine Bruchlinie?

Das ist ein sehr komplexes Thema und es hat auch bei uns Jahre gedauert, bis wir uns eine Position dazu erarbeitet haben. Wir haben verschiedene Einzelpersonen, die selbst betroffen sind im Bündnis und wir werden dieses Jahr auch Redebeiträge zum Thema haben. Ich finde es wichtig, da keine Gegenüberstellung aufzumachen zwischen Be­hin­der­ten­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen und Feminist:innen, als wären das unvereinbare Positionen. Und wir überlassen es auch nicht dem Marsch, sich als Sprachrohr behinderter Menschen darzustellen.

Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Wie viel Blut, Kot und Glitzer wird es in den kommenden Tagen bei Ihren Protesten geben?

Mit dem Motto ist uns in diesem Jahr wichtig, darauf aufmerksam zu machen, wie sehr wir von staatlicher Repression betroffen waren und wie viel Kraft das gekostet hat. Da steht ja die große Frage dahinter: Warum wird feministischer Protest so kriminalisiert und abgewertet, in so eine Ekelecke gerückt?!

Müssen sich die Berliner Po­li­zis­t:in­nen jetzt tatsächlich auf fliegende Fäkalien einrichten?

Das scheint uns eher unwahrscheinlich, weil es ja auch in den letzten Jahren nicht passiert ist. Aber vielleicht hat der besagte Beamte auch der einen oder anderen Ak­ti­vis­t:in die Idee nun schmackhaft gemacht … Haha. Nein. Wir stehen dann doch eher auf Glitzer und die besseren Argumente.

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