Aktivistin über patriarchale Gewalt: „Erst muss was Schlimmes passieren“
Niedersachsen will Belästigung auf der Straße verbieten. Aber der Fortschritt kommt zu langsam, kritisiert Lisanne Richter von „Catcalls of Hannover“.
taz: Lisanne Richter, Gewalt gegen Frauen hat in Deutschland in den vergangenen Jahren laut Statistiken zugenommen. Woran liegt das?
Lisanne Richter: Wir beobachten gesamtgesellschaftlich einen Rollback. Rechte Parteien, die auch Frauenrechte stark beschneiden wollen, sind seit Jahren im Aufwind. 2017 hatten wir #Metoo, danach wurde viel diskutiert, was wir als Gesellschaft verändern müssen. Heute ist die Stimmung eher: „Man darf nichts mehr sagen und nicht mehr flirten.“ Aus so einer Stimmung folgen eben auch Gewalttaten.
taz: Versagen staatliche Strukturen beim Schutz von Frauen?
Richter: Ich würde nicht unbedingt von einem Versagen sprechen. Der Umgang etwa mit Hassdelikten bei der Polizei ist sehr unterschiedlich. Und natürlich ist alles immer eine Kostenfrage. In Hannover wurde gerade im Kultur- und Sozialbereich viel gestrichen. Dabei hat die Stadt die Pflicht, Beratungsstellen mitzufinanzieren. Da zu sparen ist fatal für die ganze Gesellschaft.
taz: Immerhin will Niedersachsen Catcalling verbieten.
Richter: Stimmt, die niedersächsische Justizministerin hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf eingebracht. Wir müssen natürlich gucken, ob der am Ende so durchkommt. Seit 2020 ist Upskirting verboten, also das Fotografieren unter den Rock, und seit 2016 sexuelle Belästigung. Ich wundere mich nur, warum das immer so lange dauert.
taz: Wie meinen Sie das?
Richter: Der Gesetzesentwurf zu Catcalling, aber auch die Gesetze zu Upskirting und sexueller Belästigung, waren beeinflusst durch beharrliche aktivistische Arbeit. Meistens muss etwas Schlimmes passieren, bis sich was verbessert. Warum brauchen wir die Köllner Silvesternacht, um unter Strafe zu stellen, dass Menschen an intimen Körperteilen angefasst werden?
taz: Was raten Sie Betroffenen von Catcalling, wie sie in der Situation reagieren sollten?
Richter: Viele Betroffene schreiben uns, dass sie sich schämen, nichts gesagt zu haben. Das ist total normal! Man ist überfordert und überrumpelt und muss sich nicht schämen. Natürlich kann man zurückbellen, wenn man sich das in dem Moment zutraut. Grundsätzlich würde ich eher von Beleidigungen abraten, weil das leider dazu führen kann, dass man sich weiter in Gefahr bringt.
Gesprächsreihe „Themen und Torten“ zu gesellschaftlichem Engagement. Am 17.12.2024 zu patriarchaler Gewalt mit Lisanne Richter (Catcalls of Hannover) und Mijdar Tasman (Beratungsstelle suana/kargah e.V.). 18 Uhr, Freizeitheim Vahrenwald, Vahrenwalder Straße 92, Hannover
taz: Was kann ich tun, wenn ich Partnerschaftsgewalt in meinem Umfeld mitkriege und die Betroffene nichts dagegen unternimmt?
Richter: Dass jemand in einer Gewaltspirale feststeckt, ist sehr typisch. Ein Problem ist, dass es nicht mit dem blauen Auge anfängt, sondern mit kleineren, unsichtbaren Sachen. Als Laie, der das mitbekommt und helfen will, kann man aus Versehen dafür sorgen, dass sich die Betroffene noch mehr zurückzieht. Deshalb würde ich immer eine Beratungsstelle aufsuchen. Als Betroffene schafft man es nicht alleine, aber auch als Angehörige oder Beobachterin nicht.
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