piwik no script img

Aktivistin über den Tod von Oury Jalloh„Hier soll alles vertuscht werden“

Laut TV-Bericht ist der Asylbewerber ermordet worden. Mit öffentlichem Druck soll nun die Einstellung des Verfahrens gestoppt werden, sagt die Aktivistin Nadine Saeed.

Demonstration zum zehnten Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh im Januar 2015 in Dessau Foto: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Frau Saeed, Sachverständige sind zu dem Schluss gekommen, dass der 2005 im Polizeigewahrsam Dessau ums Leben gekommene Oury Jalloh sich nicht selbst angezündet haben kann, sondern ermordet worden sein muss. Was für Erkenntnisse sind das?

Nadine Saeed: Im August 2016 hat die Staatsanwaltschaft einen Brandversuch durchführen lassen. Aus dem Bericht von zwei bestellten Sachverständigen – Kurt Zollinger und Thorsten Prein – ging hervor, dass Brandbeschleuniger benutzt worden sein muss, dass die später gefundenen Feuerzeugreste nicht zum Brandhergang passen und dass auch die bisher behauptete Todesursache, der „inhalative Hitzeschock“ ausscheidet..

Warum?

Weil ohne Brandbeschleuniger nicht die dafür nötigen Temperaturen von 180 Grad erreicht worden wären.

Die Annahme, Oury Jalloh habe sich selbst angezündet, war also widerlegt?

Ja. Die Staatsanwaltschaft in Dessau hat deshalb im Januar 2017 in Würzburg ein Treffen mit den beiden Sachverständigen und weiteren Gutachtern anberaumt, die teils schon früher mit dem Fall befasst waren. Das Ergebnis war auch hier, dass die Fakten dafür sprechen, dass Oury Jalloh von dritter Hand getötet wurde.

Was geschah dann?

Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Mordes auf. Diese Entscheidung hat der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in einem Vermerk vom 14. April 2017 begründet. Was Bittmann da geschrieben hat, ist das, was wir die ganze Zeit gesagt haben. Seine Argumentation für die Mordermittlung ist in über 10 Punkten mit unserer identisch.

Im Interview: Nadine Saeed

ist Aktivistin der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh.

In Bittmanns Schreiben sind auch konkrete Polizeibeamte als Verdächtige benannt. Welche sind das?

Das wissen wir nicht. Die Familie als Nebenklägerin hat erst letzte Woche, also nach vielen Monaten, Akteneinsicht zu dem Brandversuch bekommen. Die Namen der verdächtigten Polizisten darin sind geschwärzt.

Wie ging es nach Beginn der Mordermittlungen im April weiter?

Oberstaatsanwalt Bittmann bat den Generalbundesanwalt, die Ermittlungen zu übernehmen, weil es sich um ein besonderes bedeutendes Verbrechen handelt, das den inneren Rechtsfrieden in Deutschland gefährdet. Der lehnte das ab – das Motiv sei noch zu unklar. Das ist umso dreister, als dass wir, als Initiative, ihm schon vor Jahren alle unsere Beweise vorgelegt haben. Er hat den Fall an die Generalanwaltschaft Naumburg übermittelt. Und die wiederum hat die Ermittlungen Ende Mai Dessau entzogen und nach Halle gegeben. Erst im August wurde das öffentlich bekannt gemacht und mit angeblicher Überlastung der Behörde begründet.

Das war nicht der reale Grund?

Nein. Im Nachhinein ergibt sich ein anderes Bild. Bei der Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag von Sachen-Anhalt letzten Montag hat die Justiz erklärt, dass ja nun gegen Dessauer Beamte ermittelt werden sollte und das könne nicht die Dessauer Staatsanwaltschaft tun.

Was hat die Staatsanwaltschaft in Halle dann getan hat?

Nichts. Sie hat nur geschrieben, dass es keine weiteren Anhaltspunkte gebe und dann im Oktober das Verfahren eingestellt. Das ist der eigentliche Skandal: Sie haben das in dem Wissen getan, dass die Staatsanwaltschaft Dessau, die jahrelang in dem Fall ermittelt hat, das völlig anders gesehen hat.

Nachdem das Verfahren eingestellt werden sollte, ist der Fall nun durch einen TV-Bericht wieder in der Öffentlichkeit. Was wird nun geschehen?

Über die Öffentlichkeit wird jetzt Druck aufgebaut. Vielen wird klar, dass hier ganz offensichtlich alles vertuscht werden sollte. Auch ohne Gerichtsverfahren wissen jetzt alle, dass es Mord war und sind endlich irritiert und empört.

Seit elf Jahren gibt die Initiative in der Sache keine Ruhe. Ohne Ihre Arbeit wäre der Fall wohl schon 2005 zu den Akten gelegt worden. Was wollen Sie jetzt tun?

Zum einen wurde am Donnerstag eine Petition gestartet, damit die Ermittlungen nicht eingestellt werden. Die haben bis Freitagmittag über 50.000 Menschen online unterschrieben. Zudem stellen wir gerade eine unabhängige Untersuchungskommission zusammen. Sie besteht aus Anwälten, Journalisten und anderen Experten aus dem europäischen Ausland. Das ist auch das, was eine Kommission der UN nach einem Besuch in Deutschland im Februar empfohlen hatte. Wir glauben, dass die deutsche Justiz höchstens einen Teil der Wahrheit offenlegen wird. Wir wollen aber alles wissen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Jede (Interessen-)Vereinigung hat ihren Schwerpunkt. Dies erscheint klar. Wo Interessen an Menschen im Mittelpunkt stehen, geht es um Menschen.

    Sollte es nicht daher um jeden Menschen gehen?

  • 1. wir leben in einem Rechtsstaat.

     

    2. Jeder, der mit der Materie befasst ist, weiß, dass Teile der Justizbehörden nicht ordnungsgemäß funktionieren. Insbesondere in weiten Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts herrscht seit Jahren quasi Stillstand der Rechtspflege.

     

    Es ist menschlich, dass Staatsanwälte das Beharren haben, sich möglichst wenig Arbeit zu machen und Fälle danach selektieren, was sich lohnt und was sich nicht lohnt.

     

    Ein Polizist, der vorsätzlich einen Gefangenen ermordet, fällt da erst mal aus dem Raster. Man glaubt es nicht. Deswegen hat der Staatsanwalt wenig Interesse an diesem Fall, weil er nach erstem Anschein nicht glaubt, dass er ihn mit einer erfolgreichen Anklage abschließen kann.

     

    Es ist also völlig normal, dass ein Fall wie Oury Jalloh nicht aufgeklärt wird.

  • Man sollte immer kritisch sein. Oury Jalloh mag die beschriebene Person mit kriminellen Charakter gewesen sein. Das rechtfertigt auf keinen Fall eine eventuelle Tötung oder Ermordung. Wenn es Hinweise darauf gibt, muss zwingend dem nachgegangen werden.

    Leider liegt bei uns einiges im argen. Nur wer über viel Geld verfügt oder eine starke Öffentlichkeit, hat Chancen gegenüber der Staatsanwaltschaft, sich durchzusetzen, auch wenn er im Recht ist ( das soll keine Pauschalbeschreibung sein, die meisten Staatsanwaltschaften arbeiten korrekt).

    Ich möchte an den skandalösen Fall in Rosenheim erinnern, wo die Familie eines pensionierten Polizisten von einem Polizeikommando so in Gewahrsam genommen wurde, dass drei Personen im Krankenhaus landeten, und die ältere Ehefrau bleibende Schäden erlitt.Oder die Geschehnisse im Mordfall Rupp, Ingolstadt. Und so leid es mir tut(auf diesem Forum eine solche Feststellung zu machen) das jüngste Urteil gegen Michael Stürzenberger ist in meinen Augen in gröbster Weise unkorrekt. Der Mann ist rechtsradikal, trotzdem darf es keine Sonderjustiz geben.

  • Diese Initiative - sie kann einfach nicht aufhören. weitermachen als Zweck. Für wen? Angeblich wissen sie das entscheidende ja schon (Mord). Mich erinnerts an Kohlhaas'sches nicht aufhören-Können.

    • @Wolfgang Hanspach:

      Unverständlicher Kommentar!

      Sollte der Gefangene ermordet worden sein, müssen die Mörder dingfest gemacht werden, das ist doch selbstverständlich. Es ist geradezu unglaublich, wie in dieser Sache seit 12 Jahren gemauert und vertuscht wird.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @Wolfgang Hanspach:

      Der deutsche Staat hat bereits bei den NSU Morden erhebliche und eindeutige Zweifel an seiner Rechtsstaatlichkeit aufkommen lassen. Dieser Fall ist ein weiterer Beleg. Das Bürgerrechtler und Menschenrechtsorganisationen hier Aufklärung und Strafverfolgung bzw. eine „unabhängige Untersuchung“ fordern, sollte jeden an den Menschenrechten orientierten Bürger dieses Landes dazu veranlassen, die Petition zu unterschreiben! http://www.fr.de/politik/petition-fuer-neue-ermittlungen-endlich-aufklaeren-a-1389398

    • @Wolfgang Hanspach:

      Da wird ein Mensch ganz offensichtlich ermordet, und zwar von deutschen Polizeibeamten, und Sie haben die Frechheit eine Initiative, die sich für die gerechte Bestrafung der Täter (offenbar Polizisten!) und eine Rehabilitation des Ermordeten einsetzt, m.E. zu verunglimpfen?

      Geht's noch?!

       

      Das stinkt doch zum Himmel, dass versucht wurde und wird die ermittlungen einzustellen.

      Haben Sie Null Gerechtigkeitsempfinden?

      Wir sind angeblich ein Rechtsstaat. Dieser Fall zeigt, dass das nicht der Wahrheit entspricht.

      Wieso sind die Namen der Täter geschwärzt?

      Was für eine Sauerei!

      Vertrauenin den Rechtsstaat? Das ist futsch…

      • @Frau Kirschgrün:

        Wieso Rehabilation des Ermordeten? Oury Jalloh war wegen gewerbsmäßigem Drogenhandels verurteilt und hat in seinem Asylverfahren zu seinem Geburtsjahr gelogen. Das völlig unabhängig davon, dass er vielleicht Opfer einer Gewalttat wurde, auch wenn die Politinitiative seine Person zum Zentrum ihrer Kampagne gemacht hat anstatt vielleicht das Thema Polizeigewalt allgemein oder die zwei anderen (biodeutschen) Opfer, die auf dem Polizeirevier vor Jaolloh zu Tode gekommen sind.

        • @El-ahrairah:

          Er wurde doch wohl offenbar ermordet.

          Das reicht doch wohl, um ihn zu rehabilitieren. Dabei geht es doch nicht um den Grund seiner Haft – in einem angeblichen Rechststaat.

          • @Frau Kirschgrün:

            "Die Rehabilitierung bezeichnet dagegen in der Rechtssprache das Wiederherstellen der verletzten Ehre einer Person und die Wiedereinsetzung in frühere Rechte."(wikipedia)

             

            Ich sehe jetzt nicht, inwiefern er über seine eventuelle Ermordung unrechtmäßig in seiner Ehre verletzt wurde.

             

            Die Initiative hat ihn zu einer Art Märtyrer in einer personalisierten Kampagne gemacht - unbesehen davon, dass er als Individuum vor seinem Tod nicht gerade mit vielen Heldentaten geglänzt hat. Das und das von den zwei anderen Opfern nie die Rede ist hat schon einen ziemlich identitären Drall

            • @El-ahrairah:

              Es wird zu wenig sachlich über Kriminalität von Ausländern gesprochen. Damit sind nicht aufsehenerregende Verbrechen an jungen Frauen gemeint, die ihren Eingang in die Regenbogenpresse gefunden haben.

              Ja, ab und an geht es sogar um grenzüberschreitende Kriminalität.

              Wenig Worte verlieren wir über die Mafia. Gar nicht sprechen wir über den schweren organisierten Drogenhandel von zB afrikanischen und vietnamesischen Tätern und den Zusammenhang mit Einwanderung. Es mag lokale Erwähnungen geben, im Wesentlichen geht es um Kleinstkriminelle.

              Ebenso wenig hören wir von Verbrechen von Deutschen im Ausland.

              Ich kann verstehen, dass die hier vorliegende Berichterstattung in diesem dramatischen Fall als einseitig empfunden werden kann. Es handelt sich jedoch um ein Spezialinterview.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Wolfgang Hanspach:

      Für wen? Sie machen wohl (leider keine) Witze? Für Oury Jalloh! Gegen das Vergessen!

    • @Wolfgang Hanspach:

      Sie haben's offenbar nicht verstanden: trotz Beweise und klarer Schlussfolgerung soll das Verfahren eingestellt werden. Wollen Sie die Vorgänge verharmlosen?

       

      Natürlich müssen sie weitermachen, man kann nur hoffen, dass sie weitermachen und dass da irgend jemand für sehr lange Zeit hinter Gittern kommt und andere ihren Job als Polizeibeamte verlieren.

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Das ist hart: nach der Wende reichte der Import von Westdeutschen, um Ordnung in die Bude zu bekommen, jetzt braucht es schon internationale Ermittler

    • @4225 (Profil gelöscht):

      "nach der Wende reichte der Import von Westdeutschen"

      ...es sind gerade diese "Westdeutschen", die nach ihrem "Import" in den Schlüsselstellen der Schaltzentralen der politischen Verwaltung die Fäden ziehen...bis heute: Justizministerin Keding...Innenminister Stahlknecht...LOStA Bittmann...etc.pp...

       

      insofern braucht es nun internationale Ermittler gerade wegen des "Importes der Westdeutschen" - oder?

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @4225 (Profil gelöscht):

      Der Westimport der Loser - nicht nur - aus der der CDU, die es im Westen nicht geschafft haben. Der pfälzisch-hessisch-thüringisch-anhaltinisch-sächsische Sumpf aus von Braunfäule durchsetztem Kohl, dessen braun-versierten Busenfreunden und der obligarotischen Klanverräterin regiert schon fast meine gesamte Lebenszeit nahezu "alterativlos" in Good-Cop-Bad-Cop-Manier gemeinsam mit dem süddeutschen Politadel, der Fremdenhass als Trademark beim europäischen Patentamt anmelden sollte und bezieht seine feucht-gammelge Dumpfheit aus allen braunen Gossen, die i n m i t t e n der Seilschaftsrepublik Deutschland ihren eigenen intelligiblen Ausfluss verzehren. In sseiner Troposphäre nährt dieses tiefe Moor von oben die Fäulnis im Staatsgewächse und in seinem Moder umsorgen Landeskirchen, Springer, Madsack, Bertelsmann, Hertie und wie sie alle heißen die Bevölkerungszombies mit Märchen aus dem Schimmelwald, wie sie schon lange, lange vor der Zeit der "Mitläufer" im Bundestag von den Hohemagiern des Circus Maximus gepredigt wurden.

      • 4G
        4225 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        Genau: ich schlage internatonale Beobachter aus Venezuela, Russland, China, Malta, Polen und Ungarn vor