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Aktivistin über Gorleben-Entscheidung„Heilend für das Wendland“

Kerstin Rudek geht seit Jahrzehnten fürs Klima und gegen Atommülllager auf die Straße. Ihr Protest endet mit der Entscheidung gegen Gorleben nicht.

In 43 Jahren konnte sich die Bevölkerung im Wendland viele Symbole des Widerstands überlegen Foto: anemel/imago
Linda Gerner
Interview von Linda Gerner

Frau Rudek, Sie sind in Dannenberg im Wendland geboren und seit Jahren Antiatom-Aktivistin. Wie haben Sie die Entscheidung der Bundesgesellschaft für Endlagerung aufgenommen, dass Gorleben jetzt als Endlager für den hoch radioaktiven Müll aus der Standortsuche raus ist?

Bei mir trudelte zunächst am Sonntagabend eine Nachricht ein: „Herzlichen Glückwunsch – Dir und euch und uns allen“ von einem befreundeten Bundestagsabgeordneten. Das konnte ich erst gar nicht einordnen. Dann haben mir schnell viele Freundinnen und Freunde den Link zum Spiegel-Artikel geschickt, dass Gorleben aus dem Suchverfahren rausgeflogen ist. Das war zunächst unwirklich.

Im Interview: Kerstin Rudek

geboren 1968, ist Politikwissenschaftlerin und war von 2007 bis April 2012 Vorsitzende der BI Lüchow-Dannenberg. Sie lebt in einem Nachbarort von Gorleben. Heute ist sie international gegen Atomkraft aktiv, hält Vorträge und arbeitet in interdisziplinären Thinktanks zum Abwenden der Klimakatastrophe.

Es war ja ein Spiegel-Artikel, das konnte also keine Ente sein. Ich habe mich nur gewundert, warum das schon am Abend vorher durchgesickert war. Denn vorgestellt werden sollte der Bericht ja erst am nächsten Morgen. Es hat ein paar Stunden gedauert, bis das so richtig bei mir angekommen ist. Aber jetzt bin ich sehr begeistert über die Entscheidung. Es ist ja nicht nur so, dass es jetzt kein Endlager in Gorleben gibt. Sondern dass nach 43 Jahren, in denen vor allem wirtschaftliche Interessen vertreten wurden, endlich wissenschaftsbasierte Argumente zählen und somit die historische Korrektur einer politisch motivierten Fehlentscheidung möglich war.

Für uns im Wendland hat das auch etwas Heilendes. Was mussten wir alles aushalten? Beschimpfungen, wir seien ein unappetitliches Pack, wir würden demokratische Entscheidungen nicht ernst nehmen. Wir sind trotzdem bei unserer Haltung geblieben: Nein, Gorleben ist als Endlager nicht geeignet. Und wenn ihr das nicht einseht, wird es weiter Auseinandersetzungen geben.

Welche Reaktionen gab es aus dem Wendland und von der Antiatom-Bewegung?

Die volle Bandbreite. Da ist die große Ungläubigkeit bei vielen Menschen, die es gar nicht fassen können. Wir bekommen Dutzende Glückwunschnachrichten aus aller Welt, die Menschen freuen sich mit uns, dass wir das mit unseren Protesten geschafft haben. Natürlich gibt es im Wendland auch skeptische Leute, die noch keinen Grund zum feiern sehen. Aber selbst bei denen hast du das Funkeln in den Augen gesehen. Die freuen sich wie Bolle.

Gorleben ist aufgrund der geologischen Kriterien als Endlager ausgeschieden. Was hat der Protest im Wendland mit der Entscheidung zu tun?

Unser Widerstand hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass jetzt endlich auf die Wissenschaft gehört wird und die geologischen Kriterien zum Tragen kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass 1977, als Gorleben zum nuklearen Entsorgungszentrum erklärt werden sollte, die damalige Landesregierung das volle Programm durchgezogen hätte, wenn es nicht diesen Protest gegeben hätte. Ohne den Protest wäre Gorleben nicht aus dem Suchverfahren rausgeflogen und es würde hier eine Wiederaufbereitungsanlage geben. Ohne den Protest würden hier nicht 113 hochradioaktive Castorbehälter in unserer „Zwischenlagerkartoffelscheune“ Gorleben stehen und vor sich hinstrahlen, sondern 420 Castorbehälter.

Bei den Protesten hieß es immer wieder: Gorleben soll leben. Wie lange begleitet Sie diese Forderung schon?

Ich bin jetzt 52 Jahre alt und ich gehe seit ich 14 bin auf die Straßen. Seit 1986, dem Reaktorunglück in Tschernobyl, organisiere ich Demos, schreibe Flugblätter, bin international in der Antiatombewegung vernetzt. Für mich ist die Entscheidung am Montag daher persönlich sehr berührend. Aber der Beschluss bedeutet nicht, dass ich mich jetzt zurücklehne. Wir sollten den Schwung der Antiatombewegung nutzen.

Wofür?

Atommüll wird immer noch produziert, wir brauchen eine sofortige Stilllegung aller Atomkraftanlagen, nicht nur der Atomkraftwerke. Ich denke an die Brennelementfabrik in Lingen oder die Urananreichungsanlage in Gronau. Dort wird weiterhin der Rohstoff zum Betreiben von Atomkraftwerken produziert. Das ist nicht hinnehmbar. Wenn die Bundesregierung aus der Atomkraft aussteigt, muss sie es konsequent machen.

Es gibt Uranmülltransporte nach Russland. Die Sachen werden hier produziert, also müssen sie auch hier gelagert werden. Damit spart Urenco, eine Firma im Bereich der Urananreicherung, Kosten. Die russische Bevölkerung kann sich nicht dagegen wehren. Die Aktivist*innen, mit denen wir dort zusammen arbeiten, müssen finstere Repressionen aushalten. Die Vorsitzende der Organisation ecodefense hat jetzt etwa nach Verfolgung durch russische Behörden in Deutschland politisches Asyl beantragt.

Der letzte Castor rollte im November 2011 ins Zwischenlager Gorleben.

Mir ging es immer um alle Castortransporte, nicht nur um die nach Gorleben. In der ersten Oktoberwoche wird es erneut Transporte aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield nach Biblis in Südhessen geben. Ich werde mich an den Protesten beteiligen und ich hoffe, viele andere auch. Vielleicht auch mit diesem Glücksgefühl gerade: Wir können etwas bewirken, wenn wir zusammenhalten und unsere Überzeugung auf die Straßen tragen. Aus dem Wendland heraus können wir das Zeichen setzen: ‚Not in my backyard‘ spielte nicht die große Rolle. Es geht uns um das große Ganze. Wir haben hier diese 113 sehr stark strahlende Castorbehälter in unserem Wald stehen. Wir fordern auch nicht, dass die abtransportiert werden. Wohin auch? Dann würden sie woanders stehen und dort die Menschen verstrahlen. Es gibt kein Konzept, wohin dieser hochradioaktive Müll soll. Das bedeutet, dass das erste was jetzt passieren muss, ist keinen weiteren Müll zu produzieren.

Sie haben 1982 das erste Mal gegen das Zwischenlager Gorleben demonstriert. Mit welcher Erinnerung?

Das war ein Konzert unter dem Titel „Tanz auf dem Vulkan“ als Reaktion auf den Baubeginn der Zwischenlagerhallen in Gorleben. Ich fand das sehr beeindruckend, das war mein Einstieg in das Thema Antiatom, was mich bis heute gefangen hält.

Das Thema hält Sie gefangen?

Ich habe sechs Kinder, unser Alltag war sehr von meinem Kampf gegen die Atommafia geprägt. Manchmal standen meine Kinder vor mir und fragte: Du willst dieses Wochenende wieder zu einer Demo? Mama, wie viele Wochenenden hat ein Monat? Vier. Wie viele warst du diesen Monat schon auf Demos? Drei. Und das vierte willst du jetzt auch noch auf eine Demo gehen und wir sollen wieder mitkommen? Meine Kinder wurden dadurch politisiert und haben sich mit dem Thema Wehrhaftigkeit der Demokratie auseinandergesetzt. Sie wären heute sicher andere Menschen, wenn es Gorleben nicht gegeben hätte.

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