Aktivist über seine Haft in Mexiko: „Wir müssen das Land verändern“
Der mexikanische Menschenrechtler Enrique Guerrero saß ohne Anklage mehr als fünf Jahre im Hochsicherheitsgefängnis. Wie hat ihn das beeinflusst?
taz: Herr Guerrero, warum waren Sie im mexikanischen Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert?
Enrique Guerrero: Aus politischen Gründen. Es ging der letzten Regierung von Enrique Peñas Nieto darum, die Proteste der Student*innen und Lehrer*innen gegen die Bildungsreformen zu delegitimieren und zu verhindern. Ich war fünf Jahre und sieben Monate im Knast.
Welche Straftat warf die Staatsanwaltschaft Ihnen vor?
Organisierte Kriminalität und Entführungen. Sie haben die schwerwiegendsten Vorwürfe gewählt, die das mexikanische Justizsystem hat, um sicherzugehen, dass wir nicht freikommen.
34, ist Menschenrechtsaktivist und kämpft mit dem Kollektiv Liquidámbar für die Freilassung politischer Gefangener
Aber eine Anklage gab es nicht.
Nein, meine Genoss*innen und ich waren die ganze Zeit in Präventivhaft – aber trotzdem im Hochsicherheitsgefängnis. Die Regierung wollte uns auf diese Weise unterdrücken. Aber sie hat es nicht geschafft. Der Kampf für meine Freiheit wurde zum Kampf gegen das Regime, das während der letzten Jahre in Mexiko Menschenrechte verletzt hat.
Seit 2018 regiert der linke Andrés Manuel López Obrador. Hat der Regierungswechsel zu Ihrer Freilassung geführt?
Nicht direkt, es war ein langer Kampf. Die Arbeitsgruppe der UNO gegen willkürliche Verhaftungen hat die mexikanische Regierung schon 2015 aufgefordert, mich sofort freizulassen. Dem ist die Unterstützungsarbeit meiner Genoss*innen vorausgegangen, die immer wieder den politischen Charakter der Haft hervorgehoben und die Menschenrechtsverletzungen im Knast dokumentiert haben. Nach dem Regierungswechsel kam das Thema dann endlich auf die Agenda.
Die Mexikaner*innen haben große Hoffnungen in López Obrador gesetzt. Wie ist die bisherige Bilanz?
Der Prozess der Veränderung ist schwierig. Beim Thema „politische Gefangene“ gab es Fortschritte, es sind etwa 40 Menschen freigekommen. In anderen Bereichen gibt es keine Fortschritte, etwa was Minenarbeit, Landgrabbing oder Menschenrechte angeht. Leider liegt das Gewaltmonopol in Mexiko nicht beim Staat. Es gibt einflussreiche Gruppen, die viel Macht haben. Die Veränderungen werden nicht allein von der Regierung kommen. Wir, die Menschen, müssen uns organisieren und das Land selbst verändern.
Vortrag: „Der Fall Enrique Guerrero“ mit Enrique Guerrero: 14.11., 19 Uhr in Bremen: Paradox, Bernhardstraße 12; 15.11. 19 Uhr in Hamburg: Integrationszentrum Hamburg-Nord, Diakonie, Winterhuder Weg 31.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump