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Aktivist über Sklaverei in Mauretanien„Gegensatz zum Wesen des Islam“

In Mauretanien gibt es bis heute Sklaverei. Der Politiker Biram Dah Abeid spricht über seinen Kampf dagegen und die Instrumentalisierung der Religion.

Biram Dah Abeid kämpft seit Jahren gegen Sklaverei Foto: François Misser
Interview von François Misser

taz: Herr Biram, Sie kämpfen seit Langem gegen die Fortdauer von Sklaverei in Mauretanien. Was hat man sich darunter vorzustellen und wie viele Menschen sind davon betroffen?

Biram Dah Abeid: Es geht um Sklaverei per Abstammung, also darum, dass Menschen bei der Geburt von anderen Menschen als ihr Eigentum betrachtet werden, weil ihre Eltern es bereits waren. Die „Eigentümer“ können sie vergewaltigen, verkaufen, verpfänden, verschenken. Es sind immer Menschen schwarzer Hautfarbe im Besitz von Menschen weißer Hautfarbe, die sich selbst Weiße nennen und tatsächlich Araber und Berber sind. Die Opfer machen 20 Prozent der mauretanischen Bevölkerung aus – 500.000 bis 600.000 Menschen. Sie arbeiten zumeist als Haussklaven oder auf den Reisplantagen des Senegal-Flusstals.

Wenn Mauretaniens Staatschef darauf angesprochen wird, sagt er: Wir haben die Sklaverei doch verboten.

Er versteckt sich dahinter, dass er selbst zur Gemeinschaft der Sklavenhalter gehört. Es sind Leute, deren Lebenswandel und Ehrenkodex auf der Sklaverei beruhen und die sie im Alltag weiter betreiben. Die Existenz von Sklaverei zu verneinen, bloß weil es Gesetze dagegen gibt, ist eine Art Verleugnung. Die Gesetze und Konventionen gegen Sklaverei sind nicht zur Anwendung gedacht. Sie sollen die internationalen Partner beruhigen. In der Realität herrschen Willkürgesetze, die Anti-Sklaverei-Aktivisten in Mauretanien hinter Gitter bringen.

Sie waren schon im Gefängnis. Wer noch?

Manche unserer Aktivisten sind zu hohen Haftstrafen verurteilt worden und wurden in entfernte Straflager in der Wüste gebracht, nach Bir Oumougreine, das mauretanische Guantánamo. Ich spreche von Moussa Bilal Biram und Abdoulaye Matana Seck, die mit elf Kameraden verurteilt wurden. Manche wurden gefoltert und freigelassen. Diese beiden sind noch in Haft.

Im Interview: Biram Dah Abeid

Biram Dah Abeid, 53, ist Mauretaniens führender Anti-Sklaverei-Aktivist. Er ging als Erster in seiner Familie zur Schule – der Besitzer seiner versklavten Großmutter hatte diese geschwängert und verstieß dann das ungeborene Baby, Birams Vater, in die Freiheit. Nach seiner Präsidentschaftskandidatur 2014 saß er bis 2016 in Haft.

Im Jahr 2014 traten Sie zu Mauretaniens Präsidentschaftswahlen an und holten 8,5 Prozent. Treten Sie 2019 wieder an?

Ja, als Unabhängiger. Es geht darum, die Herrschaft der Versklaver zu brechen.

Haft für Sklavenhalter

Harte Strafen: Am 28. März verurteilte ein Gericht der mauretanischen Stadt Nouadhibou eine 60-jährige Frau, die drei junge Frauen seit der Geburt als Sklaven gehalten hatte, zu zehn Jahren Haft und 5.600 Euro Geldstrafe. In einem zweiten Prozess erhielt ein Mann 20 Jahre Haft, weil er und sein mittlerweile verstorbener Vater eine ganze Familie als Sklaven hielten.

Harte Gesetze: In Mauretanien ist Sklaverei auf dem Papier längst verboten und wird seit 2015 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Aber bislang hatten Gerichte das ignoriert.

Wieso gibt es in Europa und Afrika Empörung über sklavereiähnliche Zustände in Flüchtlingslagern in Libyen, aber weniger über die Lage in Mauretanien?

Da hat jeder seinen eigenen Grund. Für die USA und die EU ist Mauretaniens Regierung ein wichtiger Partner gegen Terrorismus und Migration. Es gibt auch ökonomische Interessen in der Fischerei, im Gold- und Eisenbergbau, in Öl und Gas. Hinter all dem treten die Menschenrechte zurück. Im Falle der afrikanischen Staaten hat die Solidarität zwischen den Staatschefs Vorrang vor dem Eintreten für Demokratie und Menschenrechte. Es ist schade, dass arabisch-muslimische Sklaverei erst dann zum Thema wird, wenn CNN Filme in Libyen dreht, und das Problem dann nicht in seiner ganzen Dimension erkannt wird.

Sie leben ja selbst in der arabisch-muslimischen Welt, und Sie und einige Mitstreiter sind zu „Ungläubigen“ gestempelt worden. Macht das nicht das Leben schwer? Fürchten Sie Gewalt von Radikalen?

Ja, wir leiden unter der Instrumentalisierung des Islam durch sektiererische Gruppen, die Klasseninteressen verteidigen. Die Rechtfertigung der Sklaverei im Namen des Islam ist dieselbe wie die des Terrors gegen Nichtmuslime. In Mauretanien wird zur Rechtfertigung der Sklaverei eine Version der harten malekitischen Lehre von Khalil Ibn Ishaq herangezogen, die autoritärste Doktrin, die der Islam kennt. Das traditionelle Sklavenrecht, der sogenannte „code noir“, hat in Mauretanien den Status der einzig wahren Interpretation der heiligen Bücher, des Koran und der Aussprüche des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm. Indem ich die Bücher des Sklavereirechts zerstöre, nehme ich ihnen ihren heiligen Charakter. Für mich stehen sie im völligen Gegensatz zum ursprünglichen Wesen des Islam, zu Gleichheit, Barmherzigkeit, Mitleid, Brüderlichkeit und Menschlichkeit. Es ist klar, dass man uns in unserem Kampf gegen die Instrumentalisierung der Religion zu „Ungläubigen“ erklärt, um alles Übel zu rechtfertigen, das man uns antut.

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6 Kommentare

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  • Danke für das Interview.

     

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig die Antirassismus-Bewegung die real existierende Sklaverei in Mali und anderen Ländern der Sahel-Zone zur Kenntnis nimmt.

    • @rero:

      Ja. In der Tat, in der Tat. Das erstaunt wirklich.

  • Nachtrag.

    Teil II.

     

    Der Internationale Gewerkschaftsbund steht unter vollständiger sozialdemokratischer Kontrolle. Er beabsichtigt nicht die sozialrevolutionäre Befreiung, sondern die Integration und Sozialpartnerschaft mit der jeweiligen heimischen Bourgeoisie und feudalen Oligarchie.

     

    R.S.: Gewerkschafter der Basis, seit 49 Jahren.

  • “Die ‘Eigentümer’ können sie vergewaltigen, verkaufen, verpfänden, verschenken.“

     

    Die große Mehrheit der Menschheit befindet sich immer noch in kulturellen und traditionellen Lebensverhältnissen und -bedingungen des Feudalismus. Auch die dort bereits vorhandenen kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind häufig noch von feudalen Arbeitsbeziehungen zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und den Arbeitskräften geprägt. So auch für die große Mehrheit der Arbeitskräfte in der chinesischen Landwirtschaft, im Dienstleistungssektor und in der Industrie. Die soziale Entrechtung, auch als ‘Verkäufer’ der eigenen Arbeitskraft und Lohnarbeiter, betrifft immer noch die große Mehrheit der Bevölkerungen in Asien, in Nahost und Afrika. Aber auch in Mittel- und Südamerika stehen die Arbeits- und sozialen Lebensrechte, meist nur auf dem Papier und müssen noch mühsam erkämpft werden.

     

    Im indischen Kasten- und Klassensystem [auch innerhalb der Kaste] zählen immer noch mehr als 500. Millionen Menschen zu den sog. Unberührbaren. Selbst die wenigen Bourgeois unter den Unberührbaren werden von den anderen sozioökonomischen, religiösen und politischen Kasten, immer noch ausgegrenzt. Daran beteiligen sich selbst die (höheren) Kastenangehörigen mit westlicher akademischer Bildung.

     

    Mit dem Niedergang und der Implosion des osteuropäischen Realsozialismus und deren Übergang in den Oligarchenkapitalismus, endete auch die Förderung und Herausbildung der afrikanischen, arabischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Befreiungs- und Arbeiterbewegung. Wurde doch noch zuvor der Internationale Weltgewerkschaftsbund, der als solcher nicht mehr existiert, von den vormals Kommunistischen Parteien und Sozialistischen Staaten gefördert und finanziert. Heute gibt es diese Hilfe zur Selbsthilfe und Emanzipation der sog. Schwellen- und Entwicklungsländer nicht mehr. Auch nicht mehr in Afrika.

     

    Nachtrag: II.

  • Übrigens unterstützt der Europarat das Regime Mauretaniens in Sachen Internetzensur und beim Dissidenten-Jagen. Dazu führt er zusammen mit der mauretanischen Regierung Cybercrime-Schulungen durch:

    http://alturl.com/7scie

    https://www.coe.int/en/web/human-rights-rule-of-law/2015-news/-/asset_publisher/8X0wvBBc60he/content/cybercrime-octopus-review-of-cybercrime-legislation

  • Das sollten die Guldur-Sachverständigen aus Bayern einmal erleben, ein solches Interview.