Aktivist über Adbusting: „Die Leute sind irritiert“
AdbusterInnen ändern oder fälschen Außenwerbung. Aber wie machen Sie das? Ein kleiner Einkauf im Baumarkt bringt mehr als kriminelle Genialität.
Die kapitalismuskritische KünstlerInnengruppe „Dies Irae“ macht Adbusting. Das heißt: Sie verfremdet und verändert Werbebanner und -plakate, macht etwa aus „Coca-Cola Life“ den Schriftzug „Coca-Cola Lie“ oder tauscht Werbung gegen eigene Motive aus. Paul G. (Name geändert) aus Berlin verbringt damit etwa 20 Stunden pro Woche.
taz: Herr G., wenn Sie in aller Öffentlichkeit an Werbeflächen herumhantieren, obwohl Sie das nicht dürfen, müssen Sie ganz authentisch wirken. Wie machen Sie das?
Paul G.: Ich habe eine Warnweste oder einen Blaumann an wie ein Arbeiter. Manchmal auch nicht, denn in Berlin interessiert sich keiner für irgendeinen anderen Menschen. Ein paar Leute gucken zwar, aber kapieren nicht so schnell, dass da etwas verändert ist. Selten will sogar jemand helfen. Es ist wirklich einfach.
Was ist Ihr Werkzeug?
Ein Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Damit kriegt man in Berlin 40 bis 50 Prozent der Plakatvitrinen auf, wenn man ihn bearbeitet, noch etwas mehr. Dazu arbeiten wir mit Farben, Markern und Stiften, teilweise drucken wir auch selbst Motive. Mit einem Plakat ist man schon einen Tag beschäftigt.
Wo hängen die dann?
Wir haben schon ein paar Mal direkt am Bundestag plakatiert, gegen Waffenexporte und die Tabaklobby. Da sind überall Polizisten, aber solche Aktionen haben die nicht auf dem Schirm.
Gab es auch mal Probleme?
2016 haben wir in zwölf Städten gegen H&M plakatiert. Es ging um die Ausbeutung in globalen Lieferketten. H&M hat geklagt und behauptet, das wäre Verleumdung und üble Nachrede.
Und dann?
Wir haben vor der Konzernzentrale und der schicken Anwaltskanzlei plakatiert, um zu demonstrieren, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg sagte dann im Februar 2018, dass sie keine Straftat erkennen könne.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Bei einer Aktion in der sächsischen Kleinstadt Freital waren Sie allerdings wirklich etwas besorgt.
Wenn man in einer Stadt wie Freital antirassistische Sachen macht und keinen Dialekt spricht, macht man sich Sorgen, ob man an die falschen Leute gerät. Dialekt zu haben ist der Teil des kulturellen Codes, den wir in dem Fall nicht bedienen konnten. Aber es ging alles gut.
Bewegen Sie etwas?
Ich glaube, dass sich mit jeder Information oder Konfrontation etwas verändert. Man sieht es in den Gesichtern der Leute, dass sie einen Moment irritiert sind. Sie unterhalten sich über die Plakate. In Erfurt haben wir vor einer Rede von Björn Höcke auf dem Domplatz plakatiert und aus einem Café Espresso gebracht bekommen. Die fanden das gut. Das war in dieser angespannten Situation total absurd.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?