Agrokraftstoffe: Die zweite Generation soll es richten
Die Internationale Energieagentur sieht in Agrarabfällen als Alternative zum Erdöl und zum Palmöl ein hohes Potenzial. Umstritten ist, wann die neue Technologie kommerziell einsetzbar ist.
BERLIN taz | Nachdem Agrokraftstoffe stark in Ungnade gefallen sind, soll es nun die nächste Generation richten: Eine neue Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) sieht große Potenziale in der Entwicklung dieser sogenannten Biokraftstoffe der zweiten Generation. Diese werden nicht aus Raps, Palmöl oder Mais gewonnen, sondern aus pflanzlichen Abfällen. Die Produktion von Agrokraftstoffen kann laut der Studie bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppelt werden. "Durch neue Technologien können viele Probleme der Biokraftstoffe der ersten Generation behoben werden", sagte Didier Houssin, Direktor Energiemärkte und -sicherheit bei der IEA, bei der Veröffentlichung der Studie am Dienstag in Berlin.
Agrokraftstoffe der ersten Generation galten zunächst als klimafreundliche Alternative zum Erdöl. Doch mit der Zeit wurde die Kritik immer lauter: Zum einen weil sie in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen, zum anderen weil ihre Produktionskosten relativ hoch, die Einsparungen an Kohlendioxid (CO2) relativ gering sind.
Biokraftstoffe der zweiten Generation sollen hingegen aus Pflanzenabfällen gewonnen werden, um vor allem die Konkurrenzsituation aufzulösen. "Wir müssen das Potenzial frühzeitig analysieren, um ähnliche Fehlentwicklungen zu vermeiden", sagte Houssin. Die nun vorgelegte Studie könne eine erste Annäherung an das Thema sein. Sie wurde im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) finanziert und fachlich begleitet.
Demnach würden zehn Prozent der weltweiten Abfälle aus Land- und Forstwirtschaft reichen, um - nach dem heutigen Stand der Technik - 125 Milliarden Liter Diesel oder 170 Milliarden Liter Ethanol pro Jahr herzustellen. Dies entspräche gut vier Prozent des weltweiten Kraftstoffverbrauchs im Transportsektor und damit mehr als dem Doppelten der gegenwärtigen Biokraftstoffproduktion. Diese decke derzeit etwa 1,7 Prozent des weltweiten Kraftstoffbedarfs ab.
Bis zum Jahr 2030 könne dieser Anteil laut Studie auf gut neun Prozent anwachsen. Etwa die Hälfte davon könne aus Agrarabfällen gewonnen werden.
Keine Fehler wiederholen
Wichtig sei es, dabei die Schwellen- und Entwicklungsländer einzubeziehen, da dort ein Großteil der Agrar- und Forstabfälle anfalle. "Für den Agrarsektor in diesen Ländern bieten sich dadurch große Chancen. Allerdings dürfen die Fehler bei der Entwicklung der ersten Generation von Biokraftstoffen nicht wiederholt werden", sagte Mike Enskat, Programmkoordinator Energie für nachhaltige Energie bei der GTZ. International vereinbarte Nachhaltigkeitsstandards für die Produktion sowie eine Zertifizierung der Kraftstoffe könnten die Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Belange sicherstellen.
Kommerziell genutzt werden kann die Produktionstechnik noch nicht. "Wenn die entsprechende Technologie vorhanden wäre", hieß es deshalb an mehreren Stellen bei der Präsentation der Studie. "Wir reden von einer Perspektive von 15, 20, 30 Jahren", sagte Enskat. Der Autor der Studie, Anselm Eisentraut von der IEA, gab sich optimistischer: "Die Technologie ist greifbar", sagte er und ging von 10 bis 15 Jahren aus. Letztlich hinge die Entwicklung "ganz wesentlich von den politischen Rahmenbedingungen ab", so Enskat. Die Politik müsse durch finanzielle Anreize deutlich machen, dass sich eine Investition in die Technik lohne.
Investitionen seien auch in den Ausbau der ländlichen Infrastruktur in Entwicklungsländern notwendig, um die Abfälle dort überhaupt für die Kraftstoff-Produktion sammeln zu können. Zudem weist die Studie darauf hin, dass in einigen Ländern Pflanzenabfälle bereits als Dünger oder zum Heizen verwendet werden. Ob dann ein Ausbau der Agrokraftstoff-Produktion sinnvoll sei, müsse abgewogen werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden