Agrarreform in Niedersachsen: Ministerin will Investoren vom Acker scheuchen
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin hat ein Agrarstrukturgesetz vorgestellt. Damit soll der Anstieg der Bodenpreise im Land gestoppt werden.
Die Kauf- und Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen sind in Niedersachsen gewaltig gestiegen. Pachtpreise von 307 Euro pro Hektar im Jahr 2010 auf 548 Euro pro Hektar im Jahr 2023. Beim Ackerland fällt die Kurve (anders als beim Grünland) sogar noch dramatischer aus: 80 Prozent Preissteigerung in 13 Jahren.
Das, erklärt Staudte, produziert eine ganze Reihe von Problemen: Berufseinsteigerinnen können solche Investitionen nicht stemmen, kleine bis mittelständische Betriebe haben Mühe, ihr Pachtland zu halten und beim ständigen Überbietungswettbewerb mitzuziehen. Die Folge: Intensivere Bewirtschaftung, hohe Flächenkonzentrationen, branchenfremde Investoren.
Wem oder was man dafür die Schuld gibt, unterscheidet sich ein wenig – je nachdem, mit welchem Branchenvertreter man spricht. Da sind zum einen die Käufer und Pächter, die nach der Finanzkrise Land als Wertanlage entdeckt haben.
Steigender Flächenpreis hat viele Ursachen
Dann die Lebensmittelkonzerne, die damit liebäugeln, ihre Produktionsketten vom Acker bis zur Auslage zu kontrollieren. Und die Energiewende, die dank öffentlicher Förderung stabilere und langfristigere Erträge bietet als jede Ernte. Von der Biogasanlage über Photovoltaik und Windkraft bis zum Batteriespeicher – alles benötigt Flächen.
Einen Kontrollmechanismus gibt es allerdings auch schon länger. Verkaufspläne für Flächen von mehr als einem halben Hektar müssen bei den Landkreisen angezeigt werden. Dort beugen sich dann Mitglieder des „Grundstücksverkehrsausschusses“ über den Deal – und können ihn gegebenenfalls stoppen.
Diese Ausschüsse – deren Mitglieder von der Landwirtschaftskammer und vom Landkreis nominiert und vom Kreistag gewählt werden – sollen nun mehr Macht bekommen. Ihre entscheidenden Hebel sind dabei eine Preisbremse und eine Begrenzung der Betriebsgrößen.
Wenn der Kaufpreis mehr als 50 Prozent über dem Verkehrswert liegt (eine Pacht entsprechend über der Durchschnittspacht), soll das Geschäft untersagt werden können. Wenn die Betriebsgröße durch den Zukauf auf mehr als das Achtfache der durchschnittlichen Betriebsgröße in Niedersachsen wächst, gilt dasselbe.
Wachstum weiter möglich
Damit, sagt die Ministerin, ist Wachstum für regionale Betriebe immer noch möglich – vermieden werden soll eine extreme Flächenkonzentration, vor allem bei Betrieben, bei denen es keinen räumlichen Zusammenhang zwischen Betriebsstandort und Fläche gibt.
Das Landvolk mahnt prompt, man müsse aufpassen, die Ausschüsse nicht zu überlasten und zusätzliche Bürokratie zu schaffen. Die Ministerin hält dieses Risiko für gering: „Wir haben an anderen Stellen deutliche Entlastungen vorgenommen und die Ausschüsse prüfen nach wie vor nur neu abzuschließende Verträge.“ Nach Auskunft von Andreas Tietz vom Thünen-Institut werden jährlich nur etwa 0,3 Prozent der niedersächsischen Agrarflächen zum Verkauf angeboten.
Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Niedersachsen begrüßt den Gesetzentwurf grundsätzlich, sieht aber in der Besetzung der Ausschüsse, die auch grundsätzlich nicht öffentlich tagen, eine mögliche Schwachstelle.
Mit seinem eigenen Betrieb im südlichen Ostfriesland sieht er sich der Konkurrenz großer Mastbetriebe aus den Nachbarkreisen ausgesetzt. Viele Betriebe hätten jahrelang mehr Tiere auf ihren Flächen gehalten als die Düngemittelverordnungen erlauben.
Verstärkte Kontrollen der Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoff erzeugten nun eine höhere Bereitschaft, Flächen zu vergrößern. Den dadurch gewachsenen Bedarf würden größere Betriebe momentan gern durch Zupacht in benachbarten Gemeinden abdecken. Von den Ausschüssen würden so große, etablierte Betriebe oft bevorzugt, lokale Kleinbauern hätten dann das Nachsehen.
Christoph Willeke, landwirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hat Verständnis für diese Sorgen, betont aber auch die hohe Fachkompetenz in den Ausschüssen. Auch Landwirte mit kleineren Betrieben hätten gute Chancen, dafür aufgestellt zu werden.
Vorbild Baden-Württemberg
Eine härtere Nuss hat der Gesetzentwurf bei sogenannten „Share Deals“ zu knacken. Das sind Geschäfte, bei denen nicht die Flächen selbst, sondern nur Anteile an einer Gesellschaft erworben werden, die die Flächen hält. Durch diese Hintertür konnten sich branchenfremde Investoren bisher eher unbesehen einkaufen. Dafür soll das Gesetz eine Genehmigungspflicht schaffen.
Damit, behauptet die Ministerin, liegt Niedersachsen ziemlich weit vorn. Im Zuge der Föderalismusreform ist 2006 die Gesetzgebungskompetenz für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr vom Bund auf die Länder übergegangen.
Aber eigentlich hat bisher nur ein Land – Baden-Württemberg – ein entsprechendes Gesetz geschaffen. Dort ging es darum, Aufkäufe durch Bauern aus der benachbarten Schweiz einzudämmen.
In einigen ostdeutschen Ländern scheiterten Regulierungsversuche am Widerstand von Großstrukturen, die ein Erbe der DDR sind. Das niedersächsische Agrarstrukturgesetz muss nun noch im Landtag beraten und beschlossen werden.
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