Agrarreform in Kuba: Laues Lüftchen statt großer Wurf
Die kubanische Regierung hat 63 Maßnahmen zur Reanimierung der Landwirtschaft beschlossen. Die massive Versorgungskrise wird das nicht beenden.
„Der Satz: Wir haben keine Zeit für die lange Bank, trifft die Situation. Die Nahrungsmittelkrise in Kuba ist allerorten sichtbar, überall wird stundenlang angestanden, um überhaupt etwas zu ergattern“, so der 61-Jährige.
Für ihn kommt die massive Versorgungskrise alles andere als überraschend. Mit der Pandemie sei die Situation eingetreten, die viele prophezeit hatten. Der Regierung fehle das Geld, um weiter Nahrungsmittel en gros aus dem Ausland zu importieren. Doch die Weichen für die Produktionssteigerung auf der Insel wurden nicht gestellt.
Das könnte sich nun endlich ändern. Zumindest deuten die Maßnahmen, die am Dienstag in Havanna vorgestellt werden, in die richtige Richtung: „Die Bauern erhalten das Okay, alles, was sie über Lieferverträge mit Staatshilfe produzieren, an örtliche Hotels, Restaurants, Devisen-Supermärkte oder andere Kunden zu verkaufen“, erklärt Everleny Pérez.
Die Produktion sank stetig
Das ist ein Fortschritt. Genau wie die Anpassung von Strom- und Wasserpreisen, Verkaufspreisen etc., die fortan auf lokaler Ebene ausgehandelt werden sollen. Auch für die Preise des staatlichen Ankaufsystems für Agrarprodukte Acopio soll diese Regelung gelten. Für Everleny Pérez ein wichtiger Schritt; fixe Preisvorgaben wie in der Vergangenheit, wo die Bauern teilweise kaum die Produktionspreise herausbekamen, sind somit vom Tisch.
Doch das System hat nach wie vor Bestand. Das ist die schlechte Nachricht. Besonders aus Perspektive vieler Bauern, die seit Jahren über unattraktive Acopio-Preise klagen und ihre Produktion nur partiell ausbauen. Angebaut wird da, wo Ankaufpreise leidlich okay sind und die Nachfrage auf den lokalen Märkten so hoch ist, dass attraktive Preise drin sind – ansonsten eher nicht oder nur mit halber Kraft.
Das sind Realitäten, die dazu geführt haben, dass die Agrarproduktion der sozialistisch geführten Insel in den letzten Dekaden höchstens mal punktuell gestiegen und eigentlich immer weiter gesunken ist.
Mit der seit 2019 sinkenden Importkapazität aufgrund latent steigender Devisenknappheit sind die Lücken in den Supermarktregalen genauso wie in den kleinen Bodegas, wo die Kubaner die staatlich subventionierten Grundnahrungsmittel auf den Bezugsschein Libreta erhalten, immer größer geworden. No hay, gibt es nicht, ist ein geflügeltes Wort.
Mehl und Speiseöl waren Ende 2018 und Anfang 2019 bereits knapp, seit März 2020 gilt das für fast alle Importprodukte. Diese Lücke kann die marode Agrarwirtschaft der Insel trotz aller Appelle aus der Politik nicht füllen.
Für die staatliche Quote bleiben die Preise fest
Für Miguel Salcines, Leiter einer Agrarkooperative im Umkreis von Havanna, ist das keine große Überraschung. Er tritt für Strukturreformen ein, für die Möglichkeit, Produktionsmittel und Saatgut direkt importieren zu können. Theoretisch ist das seit Mitte 2020 möglich, de facto mit der Währungsreform vom 1. Januar 2021 schwieriger geworden, so Esteban Ajete Abascal, Chef des kubanischen Bündnisses unabhängiger Bauern.
Gegenüber 14ymedio, einem kritischen Onlinemedium aus Havanna, sagte er: „Wenn Sie mich in kubanischen Peso bezahlen, hilft mir das nicht, weil ich alle Investitionen auf meiner Finca in US-Dollar vornehmen muss.“ Für Ajete Abascal kommen die 63 Maßnahmen spät, sind unzureichend – und das Festhalten am Ankaufssystem Acopio sei das an einem Toten.
Drastische Worte, doch selbst an der Universität von Havanna lehrende Sozialwissenschaftler bezeichnen das Ankaufssystem als „Produktionsbremse“. Zwar lassen sich Milchprodukte, Rindfleisch und andere Dinge fortan zu freien Marktpreisen verkaufen, aber erst, nachdem die Bauern ihre Produktionsquote für den Staat abgeliefert haben – und zwar noch immer zu Acopio-Preisen.
Flickwerk an einem gescheiterten Agrarmodell betreibe das Agrarministerium seit geraumer Zeit, kritisiert Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte an der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali. Daran wird der Wechsel an der Spitze des Agrarministeriums kaum etwas ändern, obwohl sich die politische Führung weiteres Lavieren schlicht nicht leisten kann. Präsident Miguel Díaz-Canel hatte es gesagt: „Wir haben keine Zeit für die lange Bank.“
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