Agrarökonom über Proteste in Europa: „Die Bauern suchen einen Buhmann“
Die europaweiten Aufstände haben ein gemeinsames Motiv, sagt Agrarökonom Sebastian Lakner: allgemeine Unzufriedenheit und fehlende Visionen.
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taz: Herr Lakner, überall in Europa sind Landwirt:innen auf der Straße. Haben sie ein gemeinsames Motiv?
Sebastian Lakner: Der Anlass war zumindest in Deutschland und Frankreich ein ähnlicher: Beide Male ging es um eine geplante Abschaffung der Erstattung bei Agrardiesel. Auch das große Motiv dahinter in beiden Ländern besteht in einer allgemeinen Unzufriedenheit. Und das speist sich – was ich in Teilen nachvollziehen kann – aus den ökonomischen Schwierigkeiten in Teilen der Landwirtschaft, Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU und der Bürokratie. Kritischer finde ich die weitgehende Ablehnung von Freihandelsabkommen und des Green Deals der EU-Kommission, die aber meines Erachtens vor allem aus Frankreich kommen.
Das heißt, Landwirt:innen sind nicht grundsätzlich existenzgefährdet?
Nein, wir haben viele Betriebe, die ökonomisch sehr gut klar kommen und sich auf die Herausforderungen eingestellt haben. Die beteiligen sich teilweise auch gar nicht an den Protesten – das ist ja tatsächlich nur ein kleiner Teil. Wir haben aber auch viele Betriebe, die eigentlich schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig sind und bislang nur durch Subventionen über Wasser gehalten wurden. Auch wenn es brutal klingt, aber das ist leider Teil des Marktprozesses.
Dafür sind die Protestformen ganz schön radikal. Brennende Reifen, Blockaden mit riesigen Maschinen wirken ziemlich martialisch. Trotzdem scheint es, als gebe es eine große Solidarität mit den Landwirt:innen. Woher kommt die?
Das nehme ich gar nicht unbedingt so wahr. Vielleicht am ehesten noch in Frankreich, wo man eine andere Streikkultur hat. Aber gerade dort sind eine Reihe von Problemen hausgemacht:, Die französische Regierung setzt stärker auf sogenannte gekoppelte Zahlungen, also Subventionen, die daran gekoppelt sind, wieviel produziert wird und nicht, wie gut beispielsweise Naturschutzleistungen sind. Deshalb wird zu viel produziert und das drückt die Preise, was wenig wettbewerbsfähige Betriebe unter Druck setzt. Und diese Wut bricht sich jetzt Bahn. Insgesamt sehe ich aber überall gerade in Deutschland aber einen großen Respekt vor der harten Arbeit auf den Höfen und Äckern. Wenn die Demonstrant:innen Verständnis für ihre Lage gewinnen wollen, dann passt das nicht mit Blockaden und Galgen zusammen. Die Mehrzahl ist nicht martialisch, sondern kritisch gegenüber Demokratiefeindlichkeit und rechten Übernahmeversuchen, die es ja vielfach gibt.
Aktuell richten sich die Proteste vor allem gegen Brüssel. Sitzen dort die richtigen Ansprechpartner?
Ich hab den Eindruck, man sucht eher einen Buhmann, gegen den man gemeinsam demonstrieren kann, um so noch mehr Schlagkraft zu entwickeln. Die Kommission selbst wird ja gar nicht mehr viel machen können, da wir dieses Jahr Europawahlen haben und Ihre Amtszeit endet.
Es sieht doch so aus, als gebe es von dort Zugeständnisse: Getreideimporte aus der Ukraine sollen nicht mehr lange zollfrei, also verbilligt sein. Und Umweltauflagen wie die, dass bestimmte Flächen für den Artenschutz frei gehalten werden müssen, könnten verschoben werden.
Damit wird sich der Protest aber nicht abkochen lassen. Es ist, als ob die Titanic untergeht und die Kommission wirft zwei Rettungsringe hinterher.
Das waren doch Forderungen der Protestierenden.
Aber es war von vornherein eine sehr grobschlächtige Argumentation. Die Getreideimporte aus der Ukraine sind gar nicht so ein Problem, weil die Marktpreise in der EU ganz gut sind. Der Verzicht auf die Brachflächen ist aus Sicht des Naturschutzes extrem ärgerlich und wird die Proteste nicht beenden. Die Proteste zeigen, dass die Kommission mit ihrer Farm-to-fork-Strategie bislang gescheitert ist.
Was müsste denn eigentlich passieren?
Wir brauchen sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsstaaten eine mehrheitsfähige Vision zur Zukunft der Landwirtschaft – und auch Wege, wie wir dorthin kommen. Ich glaube, dazu gehören weniger Ordnungsrecht und mehr Förderanreize. Es muss inhaltlich mehr Freiraum für betriebswirtschaftliche Entscheidungen geben – und die Politik muss Angebote machen für Klimaschutzleistungen, für Tierwohl, für Artenschutz.
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