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Ágota Kristóf im Schauspiel DresdenOrgie der Düsternis

Den Antikriegsroman „Das große Heft“ von Ágota Kristóf taucht der Regisseur Ulrich Rasche in Dresden in eine Ästhetik der Militanz.

Treffend und enorm suggestiv: Zwei große Drehscheiben hat Ulrich Rasche als Bühne installiert Foto: Sebastian Hoppe

Wenn eine Premiere zwei Tage vor dem Gedenktag am 13. Februar an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg stattfindet, legt sie einen Bezug zu der lange strittigen Dresdner Erinnerungskultur nahe. Denn die literarische Vorlage, „Das große Heft“ der 1935 geborenen Ungarin Ágota Kristóf, ist ein Antikriegsroman, eine Demonstration der im Überlebenskampf einsetzenden Verrohung, ein kühl kalkulierter Aufschrei. Wenn man so will, auch ein Menetekel angesichts der fortschreitenden inneren Barbarisierung in unserem äußerlich noch halbwegs friedlichen Land.

Die immer dringliche Auseinandersetzung mit dem Dämon in uns kommt am Dresdner Staatsschauspiel nicht gerade als einfaches Angebot daher. Dreieinhalb Stunden reine Spielzeit setzen die Zuschauer selber einer Tortur aus. Die angebotenen Ohrenstöpsel sollten zumindest sensible Ohren auch nutzen.

Schon die Romanvorlage lässt Äußerstes ahnen. Von der konkreten historischen Kulisse abstrahiert der Text, aber unschwer sind die späteren Weltkriegsjahre und die ersten kommunistischen Rákosi-Jahre in Ungarn zu erkennen.

Ein männliches Zwillingspaar aus der Stadt soll bei der Großmutter auf dem Land eigentlich in Sicherheit gebracht werden. Aber gerade dort härten sie sich gegen die drohenden Schrecknisse selbst ab, pervertieren ihre Kindheit und Jugend, töten ihre Emotionen, lernen das Töten. Alles in nüchterner Selbstdistanz protokolliert, eben in jenem von ihnen angelegten „Großen Heft“.

Begegnung mit der Gnadenlosigkeit

Auf die Bühne in Dresden kommt auch nichts anderes als dieser Bericht der Zwillinge. Keine Aktion, keine Interaktion, keine Handlung, keine Dialoge. Seit Volker Lösch und seinen „Webern“ 2004 hat das Publikum hier eigentlich Erfahrungen mit Bürgerchören.

Das chorische Theater Ulrich Rasches bedeutet noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Einerseits eine Begegnung mit jener Gnadenlosigkeit, die die Zwillingsbrüder bei ihrer Selbstkasteiung auch an den Tag legen. Andererseits eine mit der stringenten Ästhetik verbundene Uniformität und Monotonie, die den Rezipienten vor die Wahl stellt, entweder abzustumpfen oder sich in einen Trancezustand jenseits kognitiver Wahrnehmungen zu versetzen.

Es ist, billig formuliert, das Rad der Geschichte, dem die Brüder nicht entkommen können

Das unentwegte Gehen und Marschieren der Protagonisten über Laufbänder, es prägte schon die Dynamik der „Räuber“, die Ulrich Rasche 2016 am Residenztheater in München inszenierte. In gleicher Weise müssen hier in Dresden die bis zu 16 männlichen Spieler unausgesetzt fortschreiten. Es wirkt nur gelegentlich wie Slow Motion, aber sie folgen einem Beat, der dreieinhalb Stunden durchhämmert und nur im zweiten Teil etwas variiert.

Das Rad der Geschichte

Unter den soldatisch wirkenden Männern, die für das zentrale Zwillingspaar stehen, drehen sich ebenso unausgesetzt zwei schräg gestellte Scheiben von wenigstens einem Dutzend Meter Durchmesser. Der ketzerische Gedanke taucht auf, was wohl ein Intendant der armen sächsischen Kulturraumtheater zu dieser extrem teuren Bühnenkonstruktion sagen würde.

Das Bild ist treffend und enorm suggestiv, zumal auf der ansonsten leeren Bühne zusätzliche Scheinwerfer für düstere Lichtstimmungen sorgen. Es ist, billig formuliert, das Rad der Geschichte, dem die Brüder nicht entkommen können, ein endloser Marschtritt, ein faschis­toider und kriegerischer Grundgestus.

Was Schlagwerk, Bass, Cello und Violine in ihrer Repetition vorgeben, rundet zunächst den Eindruck ab. Aber die simplen musikalischen Mittel, die Komponistin Monika Roscher einsetzt und die einfach nicht die Magie gekonnter Minimal Music entfalten, nutzen sich schnell ab. Es dauert geschlagene 34 Minuten, ehe das Ohr überhaupt den ersten Soundwechsel registriert.

Der Ton des Manifestes

Gleiches gilt für die Szene. Alles wird in halbiertem Tempo deklamiert, mit äußerster Intensität forciert. Eine enorme physische und stimmliche Leistung der Spieler. Aber wenn auch die Beschaffung von Schreibpapier wie ein Manifest verkündet wird, bleibt für die wirklich dramatischen Ereignisse zum Kriegsende keine Steigerungsmöglichkeit mehr.

Lediglich die früherotischen Berichte im zweiten Teil mildern die erschöpfende Dauerdrastik. Vor der hatten zur Pause schon etliche Zuschauer kapituliert. Am Schluss der übliche Jubel der persönlichen Fangemeinde, die nicht einmal die verklingende Spannung halten konnte.

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