Am Ende der Aufklärung warten die „Antideutschen“.
Zur Anatomie des deutschen Neokonservatismus in Hamburg
Aktivisten des internationalistischen Zentrums B5 haben am 25. Oktober 2009 eine Veranstaltung
der „antideutschen“ Gruppe Kritikmaximierung Hamburg verhindert, in deren Rahmen der Film
„Pourquoi Israel“ von Claude Lanzmann im Hamburger Programmkino B-Movie gezeigt werden
sollte. Auf mehreren einschlägigen „antideutschen“ Internetseiten und Blogs, in den bekannten
Blättchen wie der jungle world – was den einen die BILD ist den neokonservativen „Antideutschen“
ihre jungle –, aber auch der taz und anderen ist darüber in gewohnt hysterischer Manier geschrieben
worden. Zeile um Zeile steigern sich die Hassprediger in ihren deutsch-pathologischen
Propagandarausch.
Im Vorfeld des Ereignisses hatten die B5-Aktivisten den Versuch unternommen, mit den Betreibern
des B-Movie zu reden. Vertreter der B5 hatten das Plenum der Kinogruppe besucht und dort ihr
Anliegen sowie ihre Kritik an der Zusammenarbeit mit der Gruppe Kritikmaximierung Hamburg –
in der neben anderen Hardcore-„Antideutschen“ auch ein Bahamas-Autor organisiert ist –
vorgetragen. Dieser Kritik wurde entgegnet, es bedürfe eines Gegengewichts zur „antisemitischen“
B5, deswegen werde der Film gezeigt. Freilich wurden für diese Behauptung keine Beweise
geliefert. Was konnten die Kinobetreiber als Reaktion auf diese wüste Verunglimpfung erwarten –
einen Sektempfang für einen gepflegten Filmabend in Jeunesse-dorée-Atmosphäre?
Ziel der Proteste vor dem B-Movie war nicht vorrangig, die Vorführung eines Films zu verhindern.
Gegenteilige Behauptungen entbehren der Wahrheit. Der Film weist zwar genug problematische
Euphemisierungen der Politik des Staates Israels gegenüber den Palästinensern auf, über die man
mit geeigneten Gesprächspartnern sicherlich hätte vortrefflich streiten können. Doch die von der
Ideologie des „antideutschen“ Neokonservatismus verblendeten Veranstalter und ihre Claqueure
zählen dazu gerade nicht. Auch der Regisseur des Films, der in einem späteren Werk die israelische
Armee glorifiziert, ist weitaus kritikwürdiger, als so mancher Deutsche wahrhaben will, der sich die
historisch und politisch illegitime Definitionsmacht über das Judentum angeeignet hat und
fälschlicherweise Juden mit Zionisten und Israel identifiziert.
Die Blockade des B-Movie hat stattgefunden, um der gezielten und beabsichtigen Provokation der
Gruppe Kritikmaximierung Hamburg angemessen zu begegnen, die ihre Veranstaltung direkt neben
dem internationalistischen Zentrum B5 und unter Mitnutzung seiner Räume durchführen wollte. Sie
bezeichnet sich zwar selbst nicht als „antideutsch“. „Darüber“ sei sie angeblich „hinaus“.
Kritikmaximierung ist aber voll und ganz auf Linie mit dem „antideutschen“ Mainstream. Heute
muss sich niemand mehr als „antideutsche“ Strömung von der Hegemonie der „linken Szene“
abgrenzen. Die wenigsten geben zu, „antideutsch“ zu sein, aber fast alle diffamieren den
Antikapitalismus wahlweise als „verkürzte Kapitalismuskritik“ oder „Barbarei“, behaupten, dass
man Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nicht für sein Handeln verantwortlich machen dürfe
(nahezu jede Kritik an Repräsentanten der herrschenden Klasse wird mittlerweile als „strukturell
„antisemitisch“ diskreditiert), dass Antiimperialisten – wer sie sind und was sie auszeichnet, weiß
freilich nahezu niemand – eigentlich „Nazis“ sind usw. Diese „Ja-gar-nicht-Antideutschen“ wissen
vielleicht nicht, dass sie „antideutsche“ Neokonservative sind, aber sie handeln als solche und reden
in bestem pop-„antideutschen“ jungle world-Jargon. Der „antideutsche“ Konsens ist schon längst
hergestellt.
Mit Kritikmaximierung gibt es offensichtlich einen neuen Versuch, eine Gruppe jenseits des
mittlerweile politisch bedeutungslosen Radiosenders Freies Sender Kombinat (FSK) und anderen
„antideutschen“ Selbsthilfegruppen zum Ausleben des deutschen Narzissmus in Hamburg zu
etablieren. Die Gruppe ist keineswegs ein isoliertes Grüppchen frei herumgeisternder Irrlichter. Sie
ist Teil der neokonservativen Bewegung, die sich als „Abbruchunternehmen“ (Bahamas) für die
deutsche und migrantische Linke zuständig sieht.
Die Bandbreite der umgehend mobilisierten Anhängerschaft der Gruppe Kritikmaximierung, die
sich kurz vor dem geplanten Filmbeginn in der Nähe des B-Movie einfand, spricht für sich. Die
„antideutsche“ Glaubensgemeinschaft Hamburgs hatte sich versammelt, die Reihen waren
geschlossen und es fand zusammen, was objektiv schon lange zusammengehört: Die Phalanx aus
bauchlinken jung- und altautonomen jungle-world-Abonnenten und den sich intellektuell
gerierenden und eloquenteren Wortführern mit Bahamas-Positionen war ebenso beeindruckend wie
vielsagend und entlarvend. Endlich wollten die aufgeklärten westlichen Weißen den
„unzivilisierten“ und „barbarischen“ Migranten und ihren verhassten internationalistischen
Freunden den Prozess machen.
Neben einschlägig bekannten Internetbloggern (z.B. cosmoproletarian-solidarity.blogspot.com),
Mitgliedern der Hamburger nachwuchs-„antideutschen“ Gruppe sous la plage, Führungsfiguren des
autonom-„antideutschen“ Event-Centers Rote Flora, vereinzelten FAU-Aktivisten und Mitgliedern
des Infoladens Schwarzmarkt wollten sich Leute vom FSK, der Gruppe Emancipate, der
Hamburger Studienbibliothek (HSB), Stop the Bomb-Aktivisten – Kriegstreiber, die einen NATOAngriff
auf den Iran propagieren – und Bahamas-Autoren und -Redakteure Zugang zum B-Movie
verschaffen und Kritikmaximierung gegen den ihren eigenen Wahnvorstellungen entspringenden
„antisemitischen Mob“ unterstützen.
Eine Differenzierung zwischen so genannten Softcore- und Hardcore-„Antideutschen“ ist
angesichts solcher „Solidarität“ ohnehin schon seit geraumer Zeit hinfällig und geht am politischen
Grundproblem vorbei. Dies belegte auch einen Tag später eine „Diskussionsveranstaltung“ in der
Roten Flora, wo über eine mittlerweile wieder aufgehobene Absage an die Leib-und-Magen-Band
autonomer „Antideutscher“, Egotronic – die sich bevorzugt vor Publikum an Krieg, massenhaften
Leid und Tod im Nahen Osten aufgeilen –, lamentiert werden sollte und vor deren Beginn Kritiker
der „Antideutschen“ hinausgeschmissen wurden. Man wollte schließlich lieber unter sich bleiben.
Dieses Vorgehen überrascht nicht, denn die Rote Flora ist längst zur Partymeile für neoliberale
Ober- und Mittelschicht-Youngster verkommen. Politische Veranstaltungen, eine Debattenkultur
oder einfach nur ein bisschen Verständnis für Flüchtlinge, Hartz-IV-Geschädigte und andere
Menschen in Not sucht man dort vergeblich. Stattdessen findet man „antideutsche“ Yuppies, die
sich bei feucht-fröhlichen Sektparties dem dumpfen Elektropop-Dusel hingeben – ein Hohnlacher
auf den selbst formulierten Anspruch, ein „Stadtteilzentrum“ und „Flora für alle!“ zu sein. Wer dem
markenorientierten Dresscode des Modezentrums nicht genügt, wird skeptisch beäugt. Wer gar so
aussieht, als stamme er aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum, gerät hier rasch unter
Verdacht, ein „Feind Israels“ oder gar ein „Antisemit“ zu sein. Wer es wagt, offen eine Meinung zu
äußern, die vom softcore-„antideutschen“ Mainstream abweicht, wird unter „politisch korrektem“
Vorwand von der machtbewussten Clique, die die Rote Flora autokratisch regiert, diffamiert, sozial
geächtet, eingeschüchtert, rausgemobbt – und wenn das nicht funktioniert, mit einem Hausverbot
belegt.
Während das Leiden und Elend der Verdammten dieser Erde den Floristen scheißegal sind, ist ihr
Geheule und Gejammer über die Ereignisse vor dem B-Movie umso größer. Die Darstellungen der
selbsternannten Antisemitenjäger strotzen nur so von Übertreibungen, Verdrehungen, Lügen und
Opfermythen – lächerlich, vor allem wenn man bedenkt, wie viele von ihnen urplötzlich vor Ort
waren. Wer um jeden Preis „Judenschweine“, „Schwuchteln“ usw. hören will, hört es auch –
obwohl niemand es gerufen hat. Solche Unterstellungen sind die ordinären Methoden, die jedem
bekannt sein sollten, der schon einmal mit „Antideutschen“ einen Konflikt ausgetragen hat oder nur
mit ihnen in Berührung gekommen ist. Ihre stümperhaft arbeitenden journalistischen Handlanger
sowie ihre Steigbügelhalter in der Linkspartei, wie die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete
Christiane Schneider, kann man davon keineswegs ausnehmen. Auch die peinlich notorische
Selbststilisierung und weinerliche -inszenierung zu Opfern von was auch immer ist gängige Praxis
von („Anti“-)Deutschen.
Eine Schlägerei, wie verschiedene „antideutsche“ Gruppen, Blogger usw. behaupten, hat es nicht
gegeben, sondern ein paar besonnene und verhältnismäßig milde Reaktionen (Rempeleien,
Schubsereien und vier Backpfeifen) auf Beleidigungen, die auf mehrmalige Nachfrage auch
wiederholt wurden: „Linksnazis“, „Linksfaschisten“, „Antisemiten“, „Judenhasser“ usw. Für
halbwegs mündige Menschen mit einem historischen Gewissen und politischem Bewusstsein
verbietet sich ein solch inflationärer Gebrauch des Antisemitismusbegriffs und geschichtsklitternder
Wortkonstruktionen. Wer aber vor allem Linke bekämpfen will, der nutzt sie. Nicht nur, aber auch
die Gruppe Kritikmaximierung hat diesen Trend mit der Veröffentlichung einer Stellungnahme
fortgesetzt, in der die Blockierer als „Neonazis“ diffamiert werden. Es versteht sich von selbst, dass
Linke sich solche Anfeindungen und Verharmlosungen von Antisemitismus und Faschismus nicht
gefallen lassen, mit denen „Antideutsche“ für gewöhnlich Globalisierungs- und Kriegsgegner,
Friedensaktivisten, die israelische Linke und andere Kritiker der israelischen Regierung und ihrer
aggressiven Besatzungs- und Siedlungspolitik mundtot machen und denunzieren. Aber
wahrscheinlich sind die Parteigänger des Ultrarechten Avigdor Liebermann es schon gar nicht mehr
gewohnt, dass auf ihr autoritäres Gebaren anders als mit Unterwerfung reagiert wird.
„Antideutsche“ begründen ihre angebliche politische Legitimität durch ihre vermeintliche
Antisemitismuskritik, durch die sie in den vergangenen Jahrzehnten an Stärke gewonnen haben. In
der autonomen Szene sind ihre Positionen heute hegemonial. Dabei ist ihre „Kritik“ des
Antisemitismus lediglich ihr Ticket für den Eintritt ins Establishment der bürgerlichen Gesellschaft
und eine radikal neokonservative Positionierung im emanzipatorischen Gewand an der Seite der
Hohmann-CDU, christlicher Fundamentalisten, den Regierungen der USA, Großbritanniens und
Deutschlands, den Profiteuren der kapitalistischen Ausbeutung und anderen Exekutoren der
verwalteten Welt.
Es gibt nicht nur das negative, sondern auch das (scheinbar) positive „Gerücht über den Juden“ –
vor allem in Deutschland. Der Philosemitismus – der dem Antisemitismus entsprungen ist, sich wie
dieser aus Vorurteilen gegen „den Juden“ und Kategorisierungen „der Juden“ speist und der sich
unter „Antideutschen“ aller Couleur großer Popularität erfreut –, kann unter prekären historischen
Umständen jederzeit wieder in offenen Antisemitismus umschlagen. „Der Jude“ ist nicht mehr der
Feind, sondern der Freund Deutscher, die sich 65 Jahre nach Kriegsende die Definitionshoheit
darüber sichern wollen, wer heute „richtiger“ Jude sein darf und wer nicht. Wer nicht in das Bild
vom wehrhaften, regierungstreuen jüdischen Israeli passt, sieht sich – z.B. als jüdischer Kritiker der
israelischen Politik – entsprechend im Handstreich den Anfeindungen von „emanzipatorischen“
Deutschen als „Alibijude“ oder „self-hating jew“ ausgesetzt, wird als „Antisemiten-Kollaborateur“
beleidigt, der „Förderung von Antisemitismus“ bezichtigt oder gleich als „Antisemit“ bezeichnet.
Unter anderem dieser inflationäre Gebrauch des Antisemitismusvorwurfs durch „Antideutsche“ hat
die Antisemitismuskritik diskreditiert, inhaltlich vollkommen beliebig und zum Spielzeug von
deutschen Bedürfnissen gemacht. Den „antideutschen“ Kritikern geht es nicht um den
Antisemitismus, geschweige denn um das konkrete individuelle Schicksal von Juden, sondern um
die machtpolitische Option der Antisemitismuskritik, deutsche Vergangenheitsbewältigung und die
Bekämpfung der Linken. Was einzelne 68er mit dem Wunsch, Israel zu delegitimieren, erreichen
wollten, versuchen ihre Söhne und Töchter heute mit ihrem Hass auf Palästinenser und Araber im
allgemeinen. Aber die deutsche Schuld und auch die deutschen Schuldkomplexe lassen sich nicht
aus der Welt schaffen – nicht durch Abwehr, nicht durch eine historisch unrechtmäßige Aneignung
der Opferrolle und auch nicht, indem man die jüdischen Opfer des von Deutschen begangenen
Menschheitsverbrechens mit dem Staat Israel gleichsetzt.
Aber dieser vollkommen deutschbefindliche Umgang mit Antisemitismus ist nicht das einzige
Markenzeichen der „Antideutschen“. Offener oder latenter Rassismus gegen Afrikaner, Asiaten,
Südamerikaner und andere Menschen in den Armenhäusern dieser Welt, die Rechtfertigung und
Befürwortung der völkerrechtswidrigen und extrem gewalttätigen Besatzung des palästinensischen
Territoriums durch die israelische Regierung, die Legitimation und Unterstützung von Kriegen (wie
des Gazakriegs, der Golfkriege gegen den Irak und des geplanten Militärschlags gegen den Iran)
und der herrschenden Antiterror-Doktrin, die Verteidigung und Apologie kapitalistischer
Ausbeutung und Unterdrückung – das sind die markantesten Elemente der „antideutschen“
Ideologie.
Die Gruppe Kritikmaximierung Hamburg liegt in diesem neokonservativen Trend eines Teils der
ehemaligen außerparlamentarischen Linken nach 1989/90 und verkörpert den politischen Zeitgeist:
Antizionismus, Israelkritik und Antisemitismus seien miteinander identisch, suggerieren sie.
Kapitalismus als System von Struktur und Handelnden, als Herrschaft von Menschen über
Menschen zu begreifen und anzugreifen, sei „rückständig“ und „antisemitisch“ usw. usf. Warum
also sollte man eine solche Gruppe in seiner Nachbarschaft dulden? Es freut sich doch auch
niemand, wenn die PR-Abteilungen von Lockheed Martin und Blackwater an die Tür klopfen.
Niemand konnte ernsthaft überrascht davon sein, dass auch das Kino B-Movie von der
neokonservativen Welle erfasst wird, die seit Jahren über Deutschland hinwegschwappt. Schon ganz
andere Institutionen mit weitaus mehr gesellschaftlicher Relevanz sind von der wachsenden
Koalition der Willigen unterminiert worden. Die Ferienakademie der Rosa Luxemburg Stiftung, zu
der Hardliner-„Antideutsche“ wie Thomas von der Osten-Sacken und Stephan Grigat eingeladen
wurden, ist nur das jüngste Beispiel von vielen.
Kritikmaximierung Hamburg wollen ihr Programm auf Biegen und Brechen durchziehen –
unterstützt von Phase 2, jungle world und der autonomen Markenklamotten- und Testosteron-Antifa
2.0. Zum deutschen autoritären Charakter gehört es, in der kapitalistischen Gesellschaft
bedingungslos auf der Seite der Sieger stehen zu wollen. Pflichtbewusste Helfer gibt es daher auf
dem Trümmerhaufen der Geschichte der deutschen Linken sicherlich genug.
Kommunistische Assoziation Hamburg (KAH)
Hamburg, im November 2009
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