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Afghanistan, Pressefreiheit und KlimaSeehofer hat's endlich kapiert

Die Welt schaut auf Afghanistan, währenddessen uns weiterhin die Debatten um die Erderwärmung umtreiben. Und nebenbei erzielen andere einen Rekord.

Klimaaktivistin Greta Thunberg warnt uns ja schon lange, vor den Folgen der Erderwärmung Foto: Maxim Thore/imago

t az: Frau Herrmann, was war schlecht vergangene Woche?

Ulrike Herrmann: Die Taliban haben Kabul erreicht.

Und was wird besser in dieser?

Afghanen in Deutschland werden nicht mehr nach Afghanistan abgeschoben. Sogar Seehofer hat jetzt verstanden, dass dort Bürgerkrieg herrscht.

Bund und Länder haben diese Woche beschlossen: Ab Oktober wird es keine kostenlosen Corona-Bürgertests mehr geben. Ist das eine gute Entscheidung?

Ja. Ausnahmsweise spart der Staat nicht an der falschen Stelle. Die kostenlosen Tests haben Milliarden gekostet. Das war nötig, solange es keine Impfungen gab. Aber jetzt sollte es kostenlose Tests nur noch geben, wo nicht geimpft werden kann – zum Beispiel in Schulen. Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen für Impfgegner.

Wie hat Ihnen der SPD-Wahlkampfspot gefallen, in dem Armin Laschet als Matroschka-Figur auftritt? Und bedauern Sie es, dass der Spot nun nicht mehr zum Wahlkampfeinsatz kommen soll?

Der Spot war überflüssig, denn die Realität ist besser: Laschet macht ständig Fehler – und wird weitere machen. Die CDU hat ein absurdes Wahlprogramm, das nur die Reichen beschenken will. Die SPD kann sich also an die Fakten halten, um Laschet zu demontieren. Da muss man nicht irgendwelches Geraune über den Opus Dei starten.

Seit Frühjahr 2021 schätzt der Verfassungsschutz die ­Thüringer AfD als rechtsextremistisch ein. Jetzt hat der ­Thüringer Polizei-Vizechef seine Polizeibeamt:innen, die zum Teil AfD-Mitglieder sind, in einem internen Schreiben zur Verfassungstreue ermahnt. Ist die Demokratie damit gerettet?

Nein. Die Po­li­zis­t:in­nen halten sich doch an die Verfassung, wenn sie der AfD beitreten. Die Partei ist bekanntlich nicht verboten. Das eigentliche Problem ist, dass etwa 11 Prozent der Deutschen bei der Bundes­tagswahl für die AfD stimmen wollen – obwohl die Partei rechtsradikal ist. In Thüringen hat sie bei der letzten Landtagswahl sogar 23,4 Prozent geholt.

Apropos Demokratie: Polen hat ein Mediengesetz verabschiedet, das nichteuropäische Firmen die Mehrheitsbeteiligung an Radio- und Fernsehsendern verbietet. Welche Pressefreiheits-Alarmstufe sehen Sie in unserem Nachbarland leuchten?

Gelb-Rot.

Der neue Weltklimabericht prophezeit: Schon 2030 wird sich die Erde um 1,5 Grad erwärmt haben. Setzt noch die Panik ein, die Greta Thunberg uns angeraten hat?

Von Panik ist bisher nichts zu sehen. Das ist auch besser so. Denn Panik ist noch kein Konzept, und das fehlt bisher. Niemand hat eine Idee, wie man aus dem dynamisch wachsenden Kapitalismus aussteigen soll, ohne dass es zu einer schweren Krise und massenhafter Arbeitslosigkeit kommt. Corona war da lehrreich: Kaum stockte der Absatz, hat der ­deutsche Staat 400 Milliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt. Das Dilemma zwischen Kapitalismus und Klimaschutz wird momentan so gelöst, dass alle Parteien vom „grünen Wachstum“ träumen und auf Technik setzen. Dieser Ansatz wird scheitern, weil die Ökoenergie gar nicht reichen wird. Eigentlich ist „grünes Schrumpfen“ angesagt, aber damit gewinnt man keine Wahlen. Meine Privatmeinung ist, dass wir das Klima nur retten können, wenn wir demnächst in eine Art Kriegswirtschaft ­wechseln und mit der Rationierung anfangen. Und zwar von allem: Fleisch, Flüge, Wohnraum.

Diese Woche haben Lok­führer der Gewerkschaft GDL gestreikt. Ist ihr Arbeitskampf „völlig überzogen“, wie die Deutsche Bahn es behauptet?

Wo die Bahn recht hat: Es ist Quatsch, dass es zwei konkurrierende Gewerkschaften in einem Betrieb gibt. Das ist so, als würde Bayern München bei einem Fußballspiel mit zwei Mannschaften auflaufen statt mit einer.

Tiktok ist die meistherun­tergeladene App 2020. Swipen Sie sich auch gerne mal durch die chinesische Videopattform?

Mir reicht schon Twitter.

Am Freitag jährte sich der Bau der Berliner Mauer zum sechzigsten Mal. Nur ein historisches Datum – oder steckt da auch eine Lektion für uns Heutige drin?

Die Mauer ist ein Symbol für die Vergeblichkeit von Diktaturen. Die SED wollte ihre Macht festigen und hat sie am Ende doch verloren.

Und was machen wir jetzt mit unserem Geld?

Was immer Sie machen: Folgen Sie bloß nicht den Aktienanalysen in der ARD.

Fragen: waam, Emelie Glaser

Ulrike Herrmann ist Autorin und Wirtschaftsredakteurin der taz und schreibt gerade ein Buch über das „Ende des Kapitalismus“. Sie ist die Urlaubsvertretung von Friedrich Küppersbusch.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sehr erfrischend, die Urlaubsvertretung.



    Liebe TAZ-Redaktion etwas zu häufig machen ist oftmals der Anfang vom Ende aber dieses Interviewformat kann ruhig auch ein zweites Mal in der Woche vorkommen, gerne auch mit der Urlaubsvertretung .

  • Ich bi n ebenfalls der Ansicht, dass eine Art britische war economy unsere letzte Chance ist, bevor sich Klimaprozesse verselbstständigen und Homo non sapiens nur noch ganz wenig bewirken kann.Diese Meinung ruhig zu vertreten, braucht 1 unabhängigen Geist, jenseits der politischen Konjunktur. Jeder sollte das Recht auf Unterhalt bzw Beschäftigung haben, aber zu sagen, ich mache bis Lebensende das, was ich immer gemacht habe, egal, ob die Erde und mein Hirn bei 40 Grad verbrennen, das geht nicht.



    Deshalb steuern wir unausweichlich auf pandemieähnliche Formen gesellschaftlicher Solidarität und staatlich-wissenschaftlicher Regulierung hin. Diesem Druck wird sich keine vernunftbasierte Politik entziehen können.