Afghanistan-Einsatz: Die Friedenspartei will in den Krieg
Verkehrte Welt: Die SPD möchte Bundeswehr-Soldaten nach Südafghanistan schicken, die Union nicht. Das ist Taktik.
BERLIN taz Verkehrte Welt in der Afghanistan-Debatte: Die SPD schließt die Entsendung deutscher Militärausbilder in den Süden des Landes nicht aus - die Union dagegen schon.
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, sagte am Mittwoch in einem Interview, deutsche Ausbilder müssten "afghanische Soldaten auch in den Süden des Landes begleiten können, wenn die Risiken kalkulierbar" seien. Der außenpolitische Sprecher der Union, Eckart von Klaeden, dagegen wendet sich laut Süddeutscher Zeitung "ungewöhnlich scharf" gegen Berichte, seine Partei spreche sich ebenfalls für die Entsendung deutscher Militärausbilder in den Süden Afghanistans aus. Das sei "unverantwortliches Gequatsche".
Von der SPD heißt es seit Monaten, sie wolle wieder als "Friedenspartei" wahrgenommen werden. Doch nun spricht sie sich für etwas aus, was bis vor kurzem als Tabu galt - die Erweiterung des Bundeswehr-Einsatzes in den besonders gefährlichen Süden Afghanistans. Die Union dagegen, die bisher von allen Parteien am lautesten an die "Bündnispflicht" den Nato-Partnern gegenüber erinnerte, ist dagegen - das ist das Bild, das in der Öffentlichkeit ankommt.
Die Wirklichkeit ist komplizierter. Der tägliche Wirrwarr aus halbgaren Referenten-Entwürfen und Dementis zeigt vor allem, wie schwer sich die Parteien tun. Weder Union noch SPD konnten sich bisher auf eine klare Linie zu Afghanistan einigen. In beiden Fraktionen stehen an den kommenden Wochenenden Klausurtreffen an. Einziges Thema: Afghanistan. Denn in der zweiten Oktoberwoche soll der Bundestag darüber abstimmen, ob das Mandat für die Beteiligung an der Schutztruppe Isaf verlängert wird. Dazu gehört auch die Entsendung von sechs Tornados.
In der SPD steht ein Teil der Abgeordneten der Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz OEF sehr skeptisch gegenüber. Das OEF-Mandat bezieht sich auf den Süden Afghanistans. Hier finden die Kämpfe gegen die Taliban und andere Extremistengruppen statt, hier gibt es die meisten Opfer. Der bisher größere Teil der Fraktion ist allerdings für die Fortführung. Vor allem Fraktionschef Peter Struck trommelt seit Wochen für OEF. Auf seinen Vorschlag hin reisen derzeit drei SPDler durch Afghanistan, um sich ein eigenes Bild vor Ort zu machen. Letzte Woche war auch schon eine Gruppe dort.
Der Streit, ob Bundeswehr-Ausbilder einheimische Soldaten auch in den Süden des Landes begleiten dürfen, bezieht sich dagegen auf das Isaf-Mandat - also die Schutztruppe, an der sich die Bundeswehr bisher im Norden Afghanistan beteiligt. Laut Mandat dürften deutsche Isaf-Soldaten ihre afghanischen Auszubildenden auch in den Süden begleiten. Bis jetzt aber war Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dagegen. Im Mai hatte er eine Bitte der Schutztruppe abgelehnt, 19 deutsche Militärausbilder mit einem von ihnen ausgebildeten Bataillon in den Süden zu schicken.
Dass jetzt SPD-Fachpolitiker wie Rainer Arnold für solche Einsätze sind, dürfte auch Taktik sein: Wenn die Bundeswehr das Isaf-Mandat voll ausschöpft, könnte der Rückzug aus dem Anti-Terror-Mandat OEF einfacher werden - so das Kalkül. Den Nato-Kritikern an einem zu laschen Engagement der Deutschen würde dadurch Wind aus den Segeln genommen.
In der Union fährt ihr außenpolitischer Sprecher von Klaeden zurzeit einen Schlingerkurs: Im taz-Interview hatte er noch vor zehn Tagen gesagt, die Bundeswehr müsse bereit sein, "die ausgebildeten Einheiten zu begleiten - überall im Land". Ähnlich argumentiert er in einem Papier, das als Argumentationshilfe für die Unions-Abgeordneten gedacht ist. Nachdem dieses Papier durch eine Indiskretion vorab an die Öffentlichkeit gelangt ist, rudert von Klaeden nun zurück: Es habe sich nur um einen Textentwurf gehandelt, heißt es aus seinem Büro. Und die Forderung, deutsche Ausbilder mit afghanischen Soldaten in den Süden zu schicken, wird dementiert.
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