Afghanistan-Anhörung im US-Kongress: Fehler, Schuld und Vorwürfe
Eine Anhörung im Militärausschuss des US-Senats offenbart Widersprüche zwischen US-Militär und Präsident Biden zum Truppenabzug aus Afghanistan.
Zugleich machte das Hearing Meinungsunterschiede zwischen der militärischen und der politischen Führung der USA rund um den Truppenabzug deutlich. „Meine ehrliche Meinung: Ich habe empfohlen, dass wir 2.500 Soldaten in Afghanistan behalten“, sagte Milley. General Kenneth McKenzie, der zuständige US-Kommandeur für die Region, versicherte: „Wir wollten, dass 2.500 Soldaten in Afghanistan bleiben“.
Beides kontrastiert mit den Worten von US-Präsident Joe Biden. Der hatte im August angesichts des Chaos in Kabul in einem Interview mit dem TV-Sender ABC erklärt: „Niemand hat mir geraten, mit 2.500 Soldaten in Afghanistan zu bleiben“.
Mehrere Republikaner im Militärausschuss stürzten sich auf diesen Widerspruch. Der US-Präsident solle zurücktreten, weil er nicht auf seine Generäle gehört und weil er gelogen habe, verlangte die Senatorin aus Tennessee, Marsha Blackburn. Tom Cotton, Senator aus Arkansas, wollte im selben Aufwasch auch Milley loswerden. „Warum sind Sie nicht zurückgetreten, nachdem der Präsident Ihren Rat nicht befolgt?“ fragte er. Milley, der in Uniform mit fünf Reihen von kleinen Abzeichen auf der linken Brustseite zu dem Hearing gekommen war, antwortete mit militärischer Disziplin: „Der Präsident entscheidet. Es wäre ein unglaublicher Akt politischer Missachtung, wenn ein Offizier zurücktreten würde, nur weil sein Rat nicht befolgt wird.“
In 20 Jahren Präsenz das Land nicht verstanden
Vor dem Ausschuss begründeten Milley und McKenzie ihren Wunsch nach Verlängerung der Truppenpräsenz in Afghanistan damit, dass sie Kontrollmöglichkeiten und Einblicke am Boden behalten wollten. „Wir können Fahrzeuge und Maschinengewehre vom Weltraum aus zählen“, sagte Milley, „aber wir können nicht messen, was in den Herzen der Menschen vorgeht“.
Doch der Auftritt von Verteidigungsminister Lloyd Austin, der sich am Dienstag ebenfalls den Fragen der Senatoren stellte, zeigte, wie wenig sein Land in den 20 Jahren seit dem Beginn der Invasion von Afghanistan verstanden hat. 800.000 US-Soldaten waren in Afghanistan. Zu ihnen gehörte auch General Austin, bevor Biden ihn zum Verteidigungsminister machte. Aber als Chef des Pentagon war Austin dennoch völlig überrascht von dem schnellen Kollaps des Militärs und der Regierung in Afghanistan binnen elf Tagen. „Wir haben nicht voll verstanden, wie begrenzt die Bereitschaft des afghanischen Militärs war, weiter zu kämpfen“, bekannte der Minister vor dem Ausschuss.
Vor dem Ausschuss nannten die Generäle die Evakuierung von 124.000 Personen aus Afghanistan binnen weniger Tage im August einen „außerordentlichen logistischen Erfolg“. Doch diese Leistung verdeckt nach Milleys Ansicht nicht das „strategische Scheitern“. Ob ein früherer Beginn der Evakuierungen geholfen hätte, ließ er offen.
Hingegen war er überzeugt, dass ein Verbleib von US-Militärs in Kabul über den 31. August hinaus erneut Krieg mit den Taliban bedeutet hätte. Und dass das afghanische Militär auch einen späteren Abzug der US-Truppen nicht überlebt hätte: „Wir haben es nicht geschafft, starke Institutionen aufzubauen“, sagte er. Stattdessen hätte sein Land ein afghanisches Militär ausgebildet, das abhängig von Lieferungen aus den USA war.
Republikaner im Ausschuss bemühten sich wiederholt, Biden und dessen „überstürzten“ Abzug aus Afghanistan für den Tod von 13 US-Militärs bei einem Bombenanschlag Ende August vor der US-Botschaft in Kabul verantwortlich zu machen. Milley folgte ihnen nicht auf diese parteipolitische Ebene. Er erinnerte daran, dass Trump im Herbst 2020 bereit war, ohne jede Bedingung abzuziehen. Und er nannte das „strategische Scheitern“ eine „Folge von Entscheidungen der zurückliegenden 20 Jahre“.
Er sagte auch, dass die Zahl der Opfer in den Reihen des US-Militärs und die Risiken für zurück gebliebene US-Staatsangehörige bei einem längeren Verbleib der US-Truppen gestiegen wären: „Nahezu mit Sicherheit“ hätte es einen weiteren Anschlag gegen US-Truppen gegeben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße