AfD nach Urteil zu Einstufung: Es rumort mal wieder
Nachdem ein Gericht die Einstufung der AfD als „Verdachtsfall“ gebilligt hat, übt sich die Partei in Durchhalteparolen. Aber es herrscht Unruhe.
Tatsächlich markiert die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln eine erneute Zäsur für die AfD. Am späten Dienstagabend hatte das Gericht nach zehnstündiger Verhandlung entschieden, dass die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfasssungsschutz rechtmäßig ist. Es gebe „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“. Dazu zählten ein „ethnisch verstandener Volksbegriff“, aus dem „Fremde“ möglichst ausgeschlossen werden sollten.
Die Materialsammlung des Bundesamtes dazu sei „nicht zu beanstanden“, befand das Gericht. Belastende Äußerungen seien nicht aus dem Zusammenhang gerissen. Die Einstufung als Verdachtsfall erfordere auch keine sichere Gefahr, es genüge ein Gefahrverdacht. „Wenn es im Erdreich nach Öl riecht, ist eine Probebohrung erlaubt“, sagte Richter Michael Huschens.
Für Chrupalla und seine AfD stehen nun wiedermals wegweisende Wochen bevor. Bereits im Januar hatte der langjährige Vorsitzende Jörg Meuthen die Partei verlassen und eine Radikalisierung der AfD beklagt – die er indes lange mitbefeuerte. Nun gibt es auch einen gerichtlich abgesegneten Rechtsextremismusverdacht. Und für Beamte in der Partei stellt sich verschärft die Frage, wie lange sie noch in der Partei bleiben können.
„Von Dummköpfen an die Wand gefahren“
Punktgenau ab Mittwoch traf sich die AfD-Bundestagsfraktion zu einer Klausur im Thüringischen Oberhof. Diskutiert werden sollte etwa die Positionierung zur Russlandinvasion in der Ukraine, welche in der Partei umstritten ist und von der Führung bisher eher mild kommentiert wurde. Nun aber ging es auch um das Kölner Urteil. Nach draußen drang dazu wenig. Und Chrupalla erklärte kämpferisch, man werde sich weiter „mit aller Kraft für eine alternative Politik einsetzen“.
In der Partei aber herrscht Unruhe, mal wieder. Neben Meuthen gab es zuletzt weitere Austritte, die Mitgliederzahl liegt wieder unter 30.000. In der Partei klammerte man sich an einen Teilerfolg: Denn das Gericht hatte auch entschieden, dass der Verfasssungsschutz nicht mehr den 2020 formal aufgelösten Flügel als rechtsextreme Bestrebung bewerten dürfe, weil nicht belegt sei, dass dieser noch existiere. Und auch sonst bleibe die Partei ja nur ein Verdachtsfall, „wirklich belastendes Material“ fehle weiterhin, behauptete etwa Bayerns AfD-Fraktionschef Ulrich Singer. Einer der Abtrünningen, Uwe Junge, einst Fraktionschef in Rheinland-Pfalz, ätzte aber: Die Partei werde „von radikalen Dummköpfen an die Wand gefahren“. Und Chrupalla sei „ein Amateur im Höhenflug“.
Verfassungsschutz kann bald Überwachung starten
Auf der anderen Seite gab sich Verfasssungsschutzpräsident Thomas Haldenwang erleichtert: „Das ist ein guter Tag für die Demokratie.“ Sein Amt könne nun bald „den Besteckkasten auspacken“. Noch muss der Verfassungsschutz das Ende des Eilverfahrens vor dem Gericht und mögliche Rechtsmittel der AfD abwarten. Dann aber kann er systematisch Informationen über die Partei erheben, Personenakten anlegen, Kommunikation überwachen oder V-Leute anwerben.
Rekrutierungsprobleme sind nicht zu erwarten. So hieß es vor einiger Zeit schon aus Sicherheitskreisen, dass sich AfD-Aktive selbst als Spitzel angeboten hätten. Der Brandenburger Verfasssungsschutzchef Jörg Müller, wo die AfD seit 2019 eingestuft ist, erklärte offen, er könne sich „über die Zugangslage nicht beklagen“.
Haldenwang betonte aber auch die gebotene Verhältnismäßigkeit. So sind direkte Parlamentsaktivitäten von AfDlern für sein Amt tabu. Wenn aber Abgeordnete wie zuletzt in Bayern in privaten Chats über einen Bürgerkrieg schwadronieren, sieht das schon wieder anders aus.
Weiter Einzelfallentscheidungen bei Beamten
Brenzlig für die AfD ist auch die Lage der Beamten in der Partei – Polizist:innen, Soldat:innen oder Lehrer:innen. Der Beamtenbund wurde am Mittwoch bereits deutlich. „Wer nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat im öffentlichen Dienst nichts zu suchen“, erklärte eine Sprecherin. Die AfD-Einstufung als Verdachtsfall erlaube aber weiter kein pauschales Vorgehen gegen Beamte. Es bedürfe Einzelfallnachweisen, dass die Person nicht vorbehaltslos zum demokratischen Rechtsstaat stehe. Erst bei einer höchstrichterlich festgestellten Verfassungsfeindlichkeit seien automatische Disziplinarverfahren möglich.
Josef Schuster vom Zentralrat der Juden betonte derweil, mit der Einstufung werde nun „das wahre Gesicht der AfD, das vielfach Züge einer rechtsextremen Fratze trägt, endgültig sichtbar“. Die politische Auseinandersetzung mit der AfD dürfe jetzt nicht enden, „sondern muss nun erst recht mit Verve geführt werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker