AfD in Thüringen: Wie Höcke die Sperrminorität nutzt
Im Landtag hat die AfD ein Drittel der Sitze. Für wichtige Ausschüsse bräuchte es ihre Stimmen – aber dafür beharrt sie auf Zugeständnisse.
Von den 88 Sitzen im Thüringer Landtag hat die extrem rechte Partei 32. Sie ist damit nicht nur größte Fraktion, sie stellt auch mehr als ein Drittel der Abgeordneten. Abstimmungen, bei denen eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, kann das Parlament nur mit den Stimmen der AfD beschließen. Dazu zählen auch die beiden Ausschüsse.
Während beim ersten Versuch im Januar die sechs AfD-Kandidat:innen direkt die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit bekamen, fielen die Vorschläge der anderen Fraktionen allesamt durch. Darum können die Ausschüsse noch nicht zusammentreten: Zu ihrer Konstituierung muss der Landtag aus jeder Fraktion ein Mitglied und seine Vertretung wählen. Ohne die Ausschüsse können in Thüringen keine Richter:innen und Staatsanwält:innen auf Lebenszeit berufen werden. Die Neue Richtervereinigung und der Thüringer Richterbund warnten schon im Februar, das Funktionieren der Justiz sei erheblich gefährdet.
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke forderte zwischenzeitlich, dass die anderen Parteien seiner Fraktion Posten zugestehen sollten: Die AfD solle in der Kontrollkommission für den Verfassungsschutz und im Landtagspräsidium vertreten sein. Dann sei eine Paketlösung möglich, um andere Gremien zu besetzen. Doch CDU, SPD, BSW und Linke ließen sich darauf nicht ein.
Muss der Deal sein?
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen hat die AfD 2021 als rechtsextrem bewertet. Die anderen Parteien argumentierten, eine Partei, die der Verfassungsschutz kontrolliere, dürfe nicht den Verfassungsschutz kontrollieren. Zudem seien die Kandidaten der AfD für das Amt des Landtagsvizepräsidenten nicht wählbar gewesen, weil sie sich etwa verharmlosend über NS-Verbrechen geäußert hatten. Auch Jens Cotta (AfD), der an diesem Donnerstag für das Amt antrat, bekam nicht die nötige Mehrheit.
Dabei hatten die Fraktionsvorsitzenden von CDU und BSW vorab signalisiert, sie könnten sich vorstellen, einen AfD-Kandidaten zu wählen, wenn die Wahlausschüsse für Richter:innen und Staatsanwält:innen zustande kommen sollten.
BSW-Fraktionschef Frank Augsten sagte der taz vorab: „Leicht fällt uns das allen nicht, aber am Ende geht es ja um die Arbeitsfähigkeit der Gremien.“ Seiner Fraktion sei klar, die AfD wolle, „dass der Staat nicht funktioniert“. Erst am Montag hätten sich die BSW-Abgeordneten in einer Klausur mit der AfD auseinandergesetzt. „Das ist eine Partei, die weit weg von der Normalität ist.“ Schon Artikel 1 des Grundgesetzes stelle für die AfD ein Problem dar. Doch damit die Justiz in Thüringen arbeitsfähig bleibe, „lassen wir uns auf so einen Deal ein“, erklärt Augsten.
Doch der AfD-Fraktion war der Deal offenbar nicht gut genug. Die parlamentarische Geschäftsführerin der AfD, Wiebke Muhsal, betonte auf eine Anfrage der taz vor der Landtagssitzung, das Amt des Vize-Präsidenten sei zwar „grundsätzlich wünschenswert“, aber eigentlich wolle die AfD als stärkste Fraktion das Amt des Landtagspräsidenten.
Dass sie demokratischen Prozesse blockiere, wies Muhsal zurück. „Grundsätzlich sind Abgeordnete unserer Fraktion durchaus bereit, Mitglieder anderer Fraktionen in diese Gremien zu wählen.“ Es gebe keinen Fraktionszwang.
Doch wirklich hoch ist der Druck die Wahlausschüsse zu besetzen derzeit offenbar nicht. Denn im März legte Thüringens Justizministerin Beate Meißner (CDU) ein juristisches Gutachten vor, demnach die Ausschüsse noch mit den Mitgliedern arbeiten könnten, die in der letzten Legislatur gewählt wurden. Das wäre legitim. Trotzdem hat die AfD das Druckmittel der Sperrminorität an diesem Donnerstag noch nicht aus der Hand gegeben. Auf lange Sicht muss der Landtag die Ausschüsse irgendwann neu besetzen – es bleibt abzuwarten, was die AfD fordert, wenn es dringend wird.
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