debatte
: Kein braunes Wunder

Dort, wo die AfD normalisiert ist, feiert sie Erfolge: Die Landratswahl im thüringischen Sonneberg ist besonders für die Strategie der Union ein Debakel

Es ist ein Fiasko mit Ansage: Die extrem rechte AfD hat im thüringischen Sonneberg erstmals eine Landratswahl gewonnen. Die AfD in Thüringen ist mit ihrem Anführer Björn Höcke die Speerspitze der völkischen Strömung in der Partei. Sie verfolgt eine neofaschistische Agenda, hetzt gegen Minderheiten, verstößt damit gegen grundsätzliche Demokratieprinzipien, verharmlost den historischen Nationalsozialismus und verfolgt als Ziel den autoritären Umbau des Staates.

Die Wäh­le­r*in­nen aus dem 56.000-Einwohner-Landkreis Sonneberg in Thüringen haben bei der Stichwahl für den Landrat trotzdem und zu einem großen Teil sicher auch genau deswegen für den AfD-Kandidaten Robert Sesselmann gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei 58,2 Prozent, Sesselmann kam auf 52,8 Prozent der Stimmen.

Sonneberg ist ein Landkreis, in dem die AfD schon weitgehend normalisiert ist und in dem auch der CDU-Kandidat Jürgen Köpper mit knallhart-populistischen Parolen gegen die Bundesregierung in Berlin in den Wahlkampf gezogen ist. Die CDU hat hier 2021 für den Bundestag den rechten Schwurbler Hans-Georg Maaßen aufgestellt und im Kreistag ist es normal, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Die Brandmauer ist in Sonneberg also nicht erst am Sonntag gefallen.

Für die AfD ist die gewonnene Wahl ein lang ersehnter Meilenstein auf dem Weg zur Normalisierung. Obwohl es nur eine Landratswahl ist, werden die Rechten den Sieg von Sonneberg nun vollumfänglich ausschlachten, um sich vor der Landtagswahl 2024 in Stellung zu bringen: Die Parteispitze spricht schon vom „blauen Wunder“, das nur der Anfang sei und von einer „Wende“ – absurde DDR-Vergleiche intendiert.

Tatsächlich wäre es dann auch eher ein „braunes Wunder“, denn kaum irgendwo ist die AfD so offen rechtsextrem wie in Thüringen. Dass sie ausgerechnet hier diesen in erster Linie symbolischen Erfolg einfährt, macht deutlich, wie weit in einigen Teilen insbesondere Ostdeutschlands die rechte Hegemonie – nicht nur durch die AfD – bereits etabliert ist.

Aber auch wenn sich die Wahl in Sonneberg nicht auf alle Regionen und Bundesländer verallgemeinern lässt: Begünstigt wurde sie durch die Krise der Ampel und einen nach rechts kippenden öffentlichen Diskurs sowie multiple Krisen der Gegenwart: eine im Geldbeutel spürbare Wirtschaftskrise und hohe Inflation infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine, keine gleichmäßige Verteilung der Krisenlast und zu wenig soziale Ausgleichsmaßnahmen, ein Heizungsgesetz ohne soziale Abfederung. Dazu kommen noch jene vermeintlichen Christdemokrat*innen, die Stimmung mit rechtem Kulturkampf und plumpem Rassismus machen. Trifft diese toxische Mischung dann noch auf vorhandene rassistische und systemfeindliche Einstellungsmuster, sorgt das für einen Aufschwung der AfD, wie er nicht nur im Osten möglich ist.

Insbesondere die CDU sollte aus der Gesamtlage endlich Lehren ziehen. Wenn schon nicht aus ureigenen humanistischen oder gar christlichen Motiven, dann doch bitte zumindest aus strategischen: Die CDU gefährdet mit ihrem Larifari-Abgrenzungskurs und der Anbiederung an AfD-Positionen nicht weniger als die Demokratie und erweitert die Grenzen des Sagbaren.

Es sollte der Union zu denken geben, dass sie in Umfragen nicht von den Problemen der Ampelkoalition profitiert. Der aktuelle Rechtsdrall der Union stärkt allein die AfD. Die Christdemokraten sollten rigoros umlenken, mit dem rechten Kulturkampf aufhören, sich auf Sachthemen und vernünftige demokratische Oppositionspolitik konzentrieren – und nicht den Diskurs verrohen.

Eines sollte man jetzt nicht tun angesichts von Sonneberg: resignieren. Dieses Wahlergebnis sollte Anlass für kritische Selbstreflexion sein und eine Stärkung inhaltlich unterscheidbarer und vernünftiger Positionen nach sich ziehen. Die Parteien sollten ohne populistische Entgleisungen um reale Alternativen streiten.

Denn die AfD hat außer Fundamentalopposition ja nichts Inhaltliches zu bieten, sie schürt Abstiegsängste, gibt auf soziale Verteilungsfragen nur rassistische Antworten und vergiftet den demokratischen Diskurs. Bundesregierung und demokratische Opposition sind gefordert, gerade in der Krise auf die tatsächlich spürbaren sozialen Verwerfungen möglichst rasch vernünftige Antworten zu finden.

Besonders bitter ist die Wahl natürlich für Geflüchtete und Minderheiten vor Ort – denn für sie ist der Wahlausgang alles andere als symbolisch: Der Spitzenbeamte des Landkreises ist zwar an Bundesrecht gebunden, gleichwohl kann er in sechs Jahren Amtszeit viel Schaden anrichten.

Es sollte der Union zu denken geben, dass sie in Umfragen nicht von den Problemen der Ampelkoalition profitiert

Die AfD wird versuchen diese Position ausnutzen: Sie wird Spielräume bei der Geflüchteten­unterbringung zu Ungunsten Schutzbedürftiger auslegen, denkbar wäre auch ein ziviler Ungehorsam gegenüber der Landesregierung und die Missachtung geltender Praxis – etwa, wenn man Geflüchteten kein Geld mehr auszahlt, sondern nur noch Sachleistungen.

Ebenso wird die AfD ihre extrem rechte Agenda aus privilegierter Position vortragen. Und gibt es weitere solcher Erfolge – die nächste Stichwahl im sachsen-anhaltischen Raguhn-Jeßnitz steht schon kommenden Sonntag an –, dann besteht die akute Gefahr der weiteren Normalisierung.

Besonders schlimm aber ist ein Rechtsextremer als höchster Vertreter des Landkreises für dort lebende Menschen, die nicht dem regressiven Weltbild der AfD entsprechen, neben Geflüchteten sind das etwa Nicht-Weiße und Muslime, queere Menschen oder Regenbogenfamilien. Hass und Hetze gegen sie sind jetzt qua Amt Mainstream. Alltagsrassismus und rechte Eskalationen dürften zunehmen, rechte Tä­te­r*in­nen sich zusätzlich legitimiert fühlen.

das thema