AfD-Treffen in Brandenburger Gemeinde: Kein ruhiges Hinterland
In Steinhöfel in Brandenburg veranstalten AfD-Politiker mehrere Treffen. Seitdem ist der Ort in Aufruhr. Und mitten in einer beispielhaften Debatte.
U nd dann erhebt sich im Gemeindesaal von Steinhöfel der Mann mit den zurückgekämmten grauen Locken und der Jeansjacke und geht nach vorne zum Mikro. „Mich dürften hier ja alle kennen“, sagt der Mittfünfziger. „Ich bin der Betreiber des Ulmenhofs.“
Er räuspert sich, seine Finger knittern nervös einen Zettel. Er verstehe „diesen Hype“ nicht. Und er lasse sich auch nicht erpressen. Sein Gasthof bleibe für alle offen. Es seien „blanke Lügen der Antifa“, dass es in der AfD nur Rassisten gebe. „Und wenn hier für eine bunte Kultur eingetreten wird, dann gehören da alle rein. Darüber sollte man mal nachdenken.“
Der Mann, der später sagt, er wolle seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, spricht am Montagabend im Sozialausschuss von Steinhöfel. Ein kleiner Raum, an den Wänden Fotos aus dem Ort, ein Dutzend BesucherInnen auf roten Stühlen – so viele wie lange nicht. Mit einem Beamer an eine Wand geworfen sind die AusschussvertreterInnen und Bürgermeisterin Claudia Simon per Video aus ihren Wohnzimmern zugeschaltet.
In der letzten Reihe im Saal hört ihn auch Arnold Bischinger, auch er ein Mitfünfziger, groß gewachsen, Anwohner, Vorstand des Vereins Kulturscheune und Kulturamtsleiter des Landkreises. Auch er stand zuvor am Mikrofon. Es könne nicht im Sinne der Gemeinde sein, dass sich der Ulmenhof zum Treffpunkt „für Führungskader des Flügels“ entwickele, sagte er in ruhigem Ton.
Limousinen vor dem Ulmenhof
Dass da bereits der Betreiber neben ihm sitzt, bemerkt Bischinger erst, als dieser am Mikro zum Rundumschlag ausholt. Danach herrscht im Saal erst mal kurze Sprachlosigkeit.
Als Erster meldet sich darauf Florian Rietzl, ein Lehrer und als sachkundiger Bürger im Ausschuss. „Ja, bunt schließt alle ein, aber nur die auf dem Boden des Grundgesetzes. Und der Flügel schließt Menschen aus. Das ist nicht bunt.“ Der Gastwirt verschränkt die Arme. Die Ausschussvorsitzende versucht sich als Mittlerin: „Das ist doch nun die Chance, dass wir ins Gespräch kommen.“
Es war am 17. Januar, ein Sonntag, als in Steinhöfel plötzlich Dutzende Autos vor dem Ulmenhof parkten, einem weiß getünchten Gasthof mitten im Ort. Anwohner berichten von Kennzeichen aus dem ganzen Bundesgebiet, auch von schwarzen Limousinen mit eigenen Fahrern. Die knapp 50 Angereisten trafen sich drinnen im zugigen Festsaal des Ulmenhofs, hinter verschlossenen Türen.
Rahel Rietzl, die Pfarrerin und Frau von Florian Rietzl, bemerkte die Autos als eine der Ersten. Ihre Kirche ist direkt auf der anderen Straßenseite des Ulmenhofs, die Mittdreißigern und zweifache Mutter hielt an diesem Sonntag ihren Gottesdienst ab. Wer sich da im Gasthof traf, wusste sie vorerst nicht. Auch andere Anwohner wunderten sich: Ein Großtreffen mitten im Lockdown? Einige riefen die Polizei.
Wachsende Kommune
Erst zwei Wochen später, als erste Medien darüber berichteten, erfuhren sie, wer dort tagte: Es waren bundesweit angereiste AfD-Funktionäre, viele aus dem offiziell aufgelösten „Flügel“, dem Sammelbecken der Rechtsextremen in der Partei. Darunter Landeschefs aus dem Osten, aber auch Vertreter der West-AfD sowie Mitglieder der Parteispitze: AfD-Chef Tino Chrupalla, Fraktionschef Alexander Gauland, Björn Höcke. Mitten in Steinhöfel.
Seitdem ist die Ruhe im Ort dahin. Es sei klar gewesen, dass man das so nicht stehen lassen könne, sagt Rietzl. Auch Arnold Bischinger dachte sofort: „Da müssen wir jetzt vor Ort handeln, und zwar rasch. Das ist jetzt unser Job.“
Bis zum 17. Januar war Steinhöfel eine Gemeinde wie viele andere. Im Osten Brandenburgs, umgeben von elf Ortsteilen mit insgesamt 5.000 Einwohnern. Eine Landstraße zieht sich durch den Ort, daran liegen die Dorfkirche, ein Weltkriegsdenkmal, ein Konsum, ein kleines Schloss, das auch Auswärtige anzieht – und der Ulmenhof.
Wie andere kämpft der Ort mit der Coronapandemie und einem Haushaltsloch. Abgehängt aber ist die Komune nicht: Sie vermeldet Zuwachs, Kitaplätze gibt es schon zu wenig, das Schloss ist saniert, gerade wird der Aufbau eines Klimaparks geplant, in einem Ortsteil hat sich ein alternatives Landprojekt angesiedelt.
Eine ganz normale Partei?
Dann aber kam das AfD-Treffen. Und es blieb nicht das einzige. Schon im September 2020 hatte sich die Partei im Ulmenhof getroffen, mit dabei Alexander Gauland. Nun, Anfang Februar, folgten Kreisvorstände der AfD, danach die „Christen in der AfD“. Und erst am vergangenen Samstag wollte der Landesverband erneut dort tagen, diesmal offenbar zum Thema Naturschutz.
Nun kämpft Steinhöfel um seinen Ruf. Und um den richtigen Umgang mit einer Partei, die bald bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft sein dürfte. Die Auseinandersetzung führt Steinhöfel nicht allein. Sie wird auch andernorts ausgetragen.
Und die Frage, wie mit der AfD umzugehen ist, würde mit einer bundesweiten Einstufung noch dringlicher. Stehen der AfD als demokratisch gewählter Partei selbstverständlich Räume für ihre Politik zu? Oder ist die Partei dafür zu rechtsextrem? In einigen Regionen gehört die AfD inzwischen fest zum Gemeindeleben. In anderen begleiten ihre Treffen fast jedes Mal Protest.
In Berlin versuchte der AfD-Landesverband anderthalb Jahre lang vergeblich, einen Raum für einen Parteitag zu bekommen, nun weicht er nach Brandenburg aus.
„Flügel“ gegen Meuthen
Nach Steinhöfel kam die AfD bisher im Geheimen, bewarb die Veranstaltungen nicht öffentlich. Dabei hat sie hier durchaus ihre AnhängerInnen, auch wenn die Partei nicht in der Gemeindevertretung sitzt.
Bei der letzten Landtagswahl 2019 lag die AfD im Wahlkreis von Steinhöfel weit vorne. 32,3 Prozent der Stimmen erhielt die Partei, deutlich vor der SPD mit 23,8 Prozent. Auch im Kreistag hält die AfD die größte Fraktion neben der SPD. Und zur Bundestagswahl 2017 trat für die Partei im Wahlkreis ein Parteipromi an, der nur knapp einem CDU-Mann unterlag: Alexander Gauland.
Wie die AfD zum Ulmenhof kam, erklärt der Betreiber der taz frei heraus: Er habe in seinem anderen Lokal bereits einen kleinen AfD-Stammtisch, eines Tages sei er dort nach einem größeren Saal gefragt worden. Dass am Ende Gauland, Chrupalla und Höcke kamen, will er erst am Tag selbst erfahren haben.
In der AfD heißt es, die Brandenburger Vizechefin Birgit Bessin habe die Treffen organisiert. Der 17. Januar sei aber keine „Flügel“-Zusammenkunft im eigentlichen Sinne gewesen – schließlich sei der ja aufgelöst. Vielmehr hätten sich im Ulmenhof die GegnerInnen von Jörg Meuthen versammelt, nachdem dieser auf dem jüngsten AfD-Bundesparteitag in Kalkar die Radikalen in den eigenen Reihe scharf kritisiert hatte.
Geheimtreffen zur Bundestagswahl
Eingeladen in den Ulmenhof hatten AfD-Chef Chrupalla und Gauland. Zum „Gedankenaustausch“, wie es heißt. Eine Tagesordnung habe es nicht gegeben, auch keine Beschlüsse.
„Seit Meuthens Rede in Kalkar fühlt sich die Hälfte der Partei ausgegrenzt“, sagt Gauland später bei einem Gespräch im Bundestag. „Seine Strategie ist falsch, wir dürfen uns nicht in Lager spalten.“ Chrupalla bestätigt, dass auch über Aufstellungsversammlungen für die Bundestagswahl geredet wurde.
Arnold Bischinger will keine AfD-Treffen in Steinhövel
Darüber diskutierten auch die AfD-Kreisvorstände bei dem Treffen Anfang Februar. Auch hier war Gauland dabei. Seinen ParteifreundInnen teilte er mit, er würde gern wieder antreten, diesmal aber nur auf der Landesliste. Würde er auch wieder Fraktionschef im Bundestag? „Die Lage ist derzeit nicht so, dass ich mich danach dränge“, sagt der 80-Jährige der taz.
Heikler aber war eine zweite Personalie: Soll der frühere Landeschef Andreas Kalbitz, laut Verfassungsschutz ein erwiesener Rechtsextremist und mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen, im Wahlkreis Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II als Direktkandidat aufgestellt werden? Kalbitz, der selbst nicht dabei war, äußert sich auf taz-Anfrage dazu nicht.
Keiner übernimmt Verantwortung
Gauland aber sagt: „Ich würde das für schwierig halten.“ Der Parteivater begründet dies indes nicht mit Kalbitz’ Gesinnung, sondern mit dessen Fraktionslosigkeit im Bundestag.
In Steinhöfel bekam man von dem, was im Ulmenhof besprochen wurde, nichts mit. Auch die ehrenamtliche Bürgermeisterin Claudia Simon, parteilos, Anfang fünfzig und seit 2019 im Amt, will von den Treffen erst im Nachhinein erfahren haben. Sie verweist auf das Amt Odervorland. Dort verweist man auf den Landkreis. Und der verweist auf die Brandenburgische Infektionsschutzverordnung, in der Veranstaltungen „ohne Unterhaltungscharakter“ mit bis zu 50 Personen erlaubt sind, auch ohne Anmeldung.
„Ich bin über die Treffen auch nicht so glücklich“, sagt Simon. „Aber die AfD ist eine gewählte Partei wie andere auch. Die Treffen sind nicht verboten.“
Für den Verfassungsschutz ist die AfD dagegen keine Partei wie die anderen mehr. Schon 2018 stufte er sie bundesweit als rechtsextremen Prüffall ein. Momentan steht die AfD vor der Hochstufung zum Verdachtsfall – nur Klagen der Partei gegen das Bundesamt verzögern dies noch.
Vogel über dem Oderland
Der Brandenburger Landesverband ist dagegen bereits als Verdachtsfall eingestuft. „In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze Vogel“, erklärte Innenminister Michael Stübgen. Und dieser „Flügel“ wurde bundesweit bereits vor einem Jahr zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ erklärt, er steht nun auf gleicher Stufe mit der NPD.
Pfarrerin Rahel Rietzl mahnt auch deshalb klarere Worte in Steinhöfel an. „Ich wünsche mir, dass wir Haltung zeigen. Dass wir aufeinander zugehen und diskutieren, warum die AfD nicht wählbar ist.“ Auch Kulturscheunen-Betreiber Arnold Bischinger wünschte sich eine deutlichere Positionierung der Gemeinde. „Es geht hier immerhin um die berechtigte Sorge um unsere demokratischen Grundwerte.“
Rahel Rietzl mailte, als das „Flügel“-Geheimtreffen aufflog, sofort an ihren Kirchenrat. Ob man vielleicht ein Banner an die Kirche hängen wolle? Etwas wie „Hass schadet der Seele“? Ihr Mann Florian schrieb auch der Bürgermeisterin und forderte eine Positionierung von der Gemeindevertretung.
Und Arnold Bischinger schloss sich mit mehreren AnwohnerInnen zu der Initiative Offenes Steinhöfel zusammen. Die verteilte Flugblätter in Briefkästen, schrieb ebenfalls an die Gemeindevertretung. „Mit Entsetzen“ habe man von dem „Flügel“-Treffen erfahren, heißt es in ihrem Brief. „Wir wollen uns in unserer Gemeinde sicher fühlen. Das geht nicht, wenn Steinhöfel Treffpunkt von Rechtsextremisten wird.“ Die Gemeindevertretung müsse nun „alles ihr rechtlich Mögliche dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt“.
Erfolgreicher Widerstand
Zu den Engagierten gehören Familien, aber auch Ältere, langjährige Steinhöfler und Zugezogene. Viele von ihnen aber wollen ihre Namen und Gesichter nicht in der Zeitung sehen, weil sie nicht wissen, wie die Sache ausgeht. Als die AfD am vergangenen Samstag aber zum fünften Mal im Ulmenhof tagen wollte, machte das erstmals vorab die Runde. Innerhalb von anderthalb Tagen organisierte das Bündnis eine Kundgebung, bewarb diese öffentlich. Das AfD-Treffen wurde plötzlich abgesagt.
Dennoch stehen am Samstag rund 100 Menschen vor dem Ulmenhof, unten ihnen auch Rahel Rietzel und Arnold Bischinger. Die DemonstrantInnen halten Protestschilder in die Sonne, Regenbogenfahnen wehen, Kinder tollen umher, es gibt Kaffee und Schmalzstullen. Und am Tor von Rietzls Kirche hängt ein Banner: „Der Widerstand gegen Hetze und Intoleranz beginnt vor Ort!“ Die Pfarrerin tritt strahlend ans Mikrofon.
Wirt vom Ulmenhof, der an die AfD vermietet
„Super“ sei die Resonanz. Man wolle, auch als Kirche, Vielfalt leben. Bischinger spricht auch. Die Kundgebung sei eine „öffentliche Generalprobe“, sagt er. Nun gelte es, dem Engagement breitere Tragflächen zu geben, ein „Frühwarnsystem“ aufzubauen.
Den Protest verfolgt auch der Betreiber des Ulmenhofs. Mit einer Handvoll Bekannter steht er auf der Terrasse des Ulmenhofs, schleckt zwischendrin Eis. „Von denen ist doch niemand aus Steinhöfel, die kommen aus Berlin“, zischt er. „In diesem Land wird nur noch eine Meinung akzeptiert, völlig krank.“ Seit Monaten habe er wegen des Lockdowns keine Einnahmen, müsse dennoch Miete, Strom, Gas zahlen. „Aber das ist denen ja egal. Die gehen ja eh nicht arbeiten.“ Dann verschwindet er in seinem Gasthof.
Omas, Hornbläser, AfD
Direkt ins Gespräch kommen die Protestierenden und der Betreiber, der Ende 2019 den Ulmenhof übernahm, an diesem Tag nicht. Seit dem Lockdown verkauft er wochenends Deftiges aus der Gulaschkanone – auch am Tag der Kundgebung. Kundschaft gibt es diesmal aber fast keine.
Am Telefon hatte der Wirt zuvor erklärt, bei ihm im Ulmenhof träfen sich „die Omas, die Hornbläser“, nun eben auch die AfD. „Wo ist das Problem?“ Dreißig Prozent würden hier die AfD wählen. Zudem hätten doch alle Parteien „Dreck am Stecken“. „Der Ort steht hinter uns.“
Das würden zumindest die AnwohnerInnen der Initiative Offenes Steinhöfel bestreiten. Aber tatsächlich gibt es noch die anderen. Das Flugblatt der Protestierer nennt ein Anwohner auf einer Facebookseite der Gemeinde „verunglimpfend“. Man wisse doch gar nicht, was die AfD besprach. „Vielleicht sollte dieses Treffen ja dazu beitragen, unser Leben wieder zu verbessern?“ Andere Kommentatoren stimmen zu.
Auch die Vertreter der größten Fraktion in der Gemeindevertretung, „Wir für unsere Dörfer“ (WfD), hielten sich von der Kundgebung fern. Die Wählergruppe gibt sich unideologisch und pragmatisch. Vom Unpolitischen bis zum AfD-Sympathisanten sei in der Gruppe alles dabei, heißt es im Ort.
Steinhöfels Bekenntnis zur Demokratie
Fragt man ihren Fraktionschef Horst Wittig nach den AfD-Treffen, reagiert der Rentner am Telefon gereizt: „Was soll ich dazu sagen? Wir sind gegen die AfD. Aber das ist eine demokratisch zugelassene Partei. Die sitzen im Bundestag, im Landtag, im Kreistag. Der Landkreis hat das hier in Steinhöfel genehmigt und wir sollen das ausbaden? Fragen Sie da nach!“ Dann legt Wittig auf.
Auch Bürgermeisterin Claudia Simon, die sich ebenfalls unpolitisch gibt, kam nicht zur Kundgebung. Sie antwortete auch nicht auf Florian Rietzls E-Mail. Simon taucht im AfD-Streit im Ort einfach ab. Am Telefon beklagt sie, dass die Sache „hochgekocht“ werde. Dabei sei diese „eine private Angelegenheit“ des Wirtes. „Die Gemeinde hat da keine Handhabe.“ Sie habe ihn nun aber gebeten, dass „diese Veranstaltungen“ nicht mehr stattfänden, sagt Simon.
Dabei war man in Steinhöfel eigentlich vorbereitet. Schon vor Jahren verabschiedete der Ort eine Demokratieerklärung. Nach den AfD-Ergebnissen bei der Landtagswahl 2019 wollte die Linke diese erneuern. Aber nun rangen die GemeindevertreterInnen über Monate um Formulierungen. Die Linken wollten die AfD explizit benennen, andere nicht. Die WfD wollte sich auch gegen linken Extremismus aussprechen, dann auch gegen frühere Stasimitarbeiter.
Am Ende stand in der Erklärung, dass man sich „für ein weltoffenes und vielfältiges Steinhöfel stark“ mache und „gegen jeglichen politischen und religiösen Extremismus“ sei. Außer einer Gemeindevertreterin unterschrieben alle die Erklärung, auch Bürgermeisterin Simon.
Papiertiger oder aktiv gegen Rechts?
Veröffentlicht wurde die dann allerdings nicht. Warum, weiß heute keiner mehr genau. Erst vor gut einer Woche steht sie plötzlich auf der Internetseite der Gemeinde – als erste Medien über die AfD-Treffen im Ort berichten und dort die Debatte losbricht.
Wie passe das zusammen, die Erklärung für Weltoffenheit und die ständige Beherbergung der AfD in Steinhöfel, fragen die AnwohnerInnen, die zur Kundgebung gingen. Auch Arnold Bischinger betont, dass die Erklärung nur ein Papier gewesen sei. „Jetzt muss sie sich beweisen.“
Es ist der Sozialausschuss am Montagabend, auf dem die Gemeindevertreter darüber erstmals ins Gespräch kommen. Bischinger geht als Erster ans Mikrofon. Ob die Gemeindevertretung bei den AfD-Treffen im Ulmenhof nur abwarten wolle, oder auch aktiv gestalten und „sozialen Unfrieden“ verhindern? Und wenn ja, warum sei dann fast kein Gemeindevertreter auf der Kundgebung gewesen?
Die Amtsdirektorin, die noch über Bürgermeisterin Simon steht, antwortet, ihre Verwaltung stehe da „ganz deutlich für Neutralität“. Nur bei Verstößen könne man eingreifen. Eine Linken-Vertreterin dagegen erklärt, natürlich wolle man aktiv werden. Sie jedenfalls habe die Kundgebung besucht.
Die Bürgermeisterin schweigt sich durch
Ein Abgeordneter von „Wir für unsere Dörfer“ widerspricht: Er sehe das „nüchterner“. Auch er verurteile Extremismus „in alle Richtungen“. Aber die AfD sei nun mal da, sitze in allen Parlamenten. „Wir müssen damit leben. Ich bin gegen eine Haudraufpolitik, weil das die Fronten verhärtet.“ Bürgermeisterin Simon verfolgt die Debatte regungslos – und schweigt.
Dann tritt der Ulmenhof-Betreiber ans Mikrofon. Er sei politisch „neutral“, beteuert er. Wenn man jetzt aber vorschreibe, wer welche Lokale besuchen darf, „dann sind wir kein freies Land mehr“. Es gehe ihm doch darum, den Gasthof für den Ort zu erhalten.
Nun sind es einige AnwohnerInnen, die den Kopf schütteln. Aber der Ton bleibt sachlich. Eine Linken-Vertreterin fragt, ob man ihn denn beim Beantragen von Coronahilfen unterstützen könne, wenn es letztlich am Geld hinge. Die Ausschussvorsitzende fragt, ob er denn zu einem Runden Tisch bereit wäre. Ja, er sei gesprächsbereit, sagt der Wirt. „Aber nur auf Augenhöhe.“ Und sein Gasthof bleibe für alle offen. „Wer kommt, der kommt.“
Ein Vertreter von Weltoffenes Steinhöfel erwidert, dann werde man wohl nicht verhindern können, dass er wieder an die AfD vermiete. „Aber Sie auch nicht, dass wir dann wieder vor Ihrer Tür demonstrieren.“
Angst vor dem Nazi-Stempel
Ray Kokoschko vom Mobilen Beratungsteam ist auch mit dem Fall Steinhöfel betraut. Sein Team unterstützt Kommunen im Umgang mit Rechtsextremen. Beim Ulmenhof könne die Gemeinde nicht viel machen, sagt Kokoschko. Dort entscheide der private Betreiber und Parteien dürften sich eben auch in Coronazeiten treffen. „Da muss sich die Gemeinde an Recht und Gesetz halten.“ Aber: „Die AfD muss auch Protest aushalten.“
Steinhöfel sei auf einem guten Weg, findet Kokoschko dennoch. „Es gibt eine von fast allen Gemeindevertretern unterschriebene Erklärung für Weltoffenheit. Das ist schon mal wichtig, so entsteht Haltung. Und es gibt eine Zivilgesellschaft, die aktiv ist.“ Und die Schweigsamen im Ort? Das sei nicht überraschend, sagt Kokoschko. „Viele sind mit so einer Situation erst mal überfordert, haben Angst vor einem rechtsextremen Stempel für den Ort.“
Für Kokoschko ist nun eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD entscheidend. Die Partei suche konkrete Probleme und Konflikte, um sie für ihre Agenda zu instrumentalisieren. Gerade in Gegenden, wo auch der Nachbar zur AfD gehöre, sei die Diskussion natürlich komplizierter.
„Es geht nicht darum, alle AfD-Anhänger pauschal als Rechtsextreme zu bezeichnen, aber man sollte sie mit rechtsextremen Äußerungen und Tendenzen in ihrer Partei konfrontieren“, sagt Kokoschko. „Und die Gemeinden dürfen Probleme nicht wegschweigen, sondern müssen diese offensiv aufgreifen, um sie nicht Rechtsextremisten zu überlassen.“
Köpfe für Vielfalt öffnen
Die AfD schweigt derweil zu dem Trubel, den sie in Steinhöfel angerichtet hat. Alexander Gauland verweist auf die Organisatorin Birgit Bessin, die aber ist nicht erreichbar. In der Partei hieß es allerdings, zumindest bis zur Kundgebung am Samstag: Weitere Treffen in Steinhöfel seien in Planung.
Die Diskussion in Steinhöfel dürfte das nicht beruhigen. Der Sozialausschuss beschließt am Ende zwei Runde Tische. Einen mit dem Ulmenhof-Betreiber. Und einen zur Demokratiearbeit im Ort. Sie werde dazu Termine vorschlagen, meldet sich nun auch Bürgermeisterin Simon zu Wort.
Pfarrerin Rahel Rietzl begrüßt den Austausch. „Wie sonst sollen wir weiterkommen?“ Aber selbst wenn die AfD nicht mehr im Ulmenhof tage, dürfte die Debatte demnächst wieder aufbrechen, fürchtet sie. Dann, wenn der Bundestagswahlkampf auch in der Region startet.
Und Rietzl weiß, dass auch in ihrer Gemeinde wahrscheinlich AfD-WählerInnen sitzen. „Deshalb ist es wichtig, schon jetzt die Köpfe zu öffnen. Menschen zu ermutigen, sich nicht nur einfachen Antworten zu stellen, sondern auch den komplizierten. Und sie erleben zu lassen, dass Vielfalt gut tut.“
Auf eine Zigarette…
Auch für Bischinger steht die Debatte noch am Anfang. Die AfD-Frage bleibe ein „offenes Problem“ im Ort. „Aber wir haben Unruhe in den Hinterköpfen ausgelöst.“ Dass es vorbei ist mit den AfD-Treffen im Ulmenhof, glaubt Bischinger noch nicht. Dafür habe sich der Betreiber zu uneinsichtig gezeigt. „Es ist jetzt eine Frage von Ausdauer. Hält der Betreiber länger durch oder wir mit unserem Protest?“
In Steinhöfel verlässt der Ulmenhof-Wirt den Gemeindesaal, stellt sich rauchend davor, es ist dunkel und kalt geworden. Arnold Bischinger sowie ein Mann und eine Frau von Offenes Steinhöfel stellen sich dazu. „Hier wird von Demokratie gesprochen, aber nicht Demokratie gemeint“, schimpft der Gastwirt weiter.
Bischinger zündet sich eine Zigarette an. „Wir haben Angst, wissen Sie.“ „Wovor haben Sie Angst?“ „Uns ist es nicht egal, wenn sich hier Rechtsextreme breit machen.“ Für ihn sei es auch ernst, sagt der Gastwirt. Es gehe um sein finanzielles Überleben, um seine Familie. „Protestiert doch vorm Landtag gegen die AfD, aber lasst uns da raus.“
Bischinger schüttelt den Kopf: Das Problem bestehe nun mal im Ort, hier müsse man es lösen. Ob man am Wochenende nicht mal an der Gulaschkanone vorbeikommen und ausführlicher sprechen könne? Der Gastwirt antwortet nicht, kneift die Augen zusammen. Dann nickt er.
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