AfD-Richter in Dresden: Herr Maier erwacht
Früher war Jens Maier in der SPD, seit 2013 ist er AfD-Mitglied. Der Mann ist Richter – und Protagonist des völkischen Parteiflügels.
Er legt die Akten auf den Richtertisch und drückt die Aufnahmetaste seines Diktiergeräts. Ein Verkehrsunfall aus dem Jahr 2014 steht an, Schaden: 8.236 Euro. Maier zieht etwas Schnupftabak. Der Beschuldigte, ein armenischer Lkw-Fahrer, kann kaum Deutsch, die Geschädigte sich nicht mehr erinnern, wie das damals nun war. Sie gibt trotzdem dem Armenier die Schuld, widerspricht sich aber. Maier nimmt es hin, freundlich, geduldig wie ein Mediator. „Sie sind ein gefragter Mann“, sagt er, ohne Schärfe, als das Handy des Anwalts zum zweiten Mal klingelt. Die Frau sagt, dass vielleicht doch sie dem Armenier ins Auto gefahren ist. „Erledigt“, sagt Maier. Dann eben kein Schadenersatz.
„Konsenskultur“ nennt er das. „Im Gericht wollen wir, dass die Leute sich einigen.“ Draußen ist es anders. Da geht es nicht um Blechschaden, sondern um Deutschland. Und „im Politischen“, sagt Maier, herrsche „Streitkultur“, da „gilt die Freund-Feind-Unterscheidung“.
Zwei Wochen ist es her, da ist Jens Maier endgültig in diese Welt getreten. Es ist der 17. Januar, als Maier klarstellt, wer sein Freund ist: Thüringens AfD-Chef und Partei-Rechtsaußen Björn Höcke. Und „das ist natürlich eine Kriegserklärung an zig andere“. Zum Beispiel an die AfD-Vorsitzende und Höcke-Gegnerin Frauke Petry, auch sie ist aus Dresden.
Einheizer für Björn Höcke
An jenem 17. Januar lädt die Junge Alternative Höcke ein in das Brauhaus Watzke in Dresden, die „Hauptstadt des Widerstands“, wie sie es nennt. Als Einheizer verpflichtet sie Maier. „Wir haben es da schon richtig krachen lassen“, sagt Maier später über den Abend. Draußen demonstrieren Grüne und Antifas, drinnen sitzen Pegidisten bei Altpieschner Pilzgulasch und Watzke-Pils. „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“, sagt Höcke. Das macht Schlagzeilen. Maier aber geht weiter: Den Deutschen sei „nach 1945 vor allem von den Westalliierten eingeredet worden, dass wir Sauhunde, Verbrecher, nichts wert sind“, sagt er. Er klagt über „Umerziehung“, nach der „Auschwitz praktisch die Folge der deutschen Geschichte wäre“. Er raunt von einer „Zuspitzung der Verhältnisse“, die „bald eintreten wird“, beklagt die „Herstellung von Mischvölkern“, die die „nationale Identität auslöschen und dann die Abgabe der Souveränität an die EU“ folgen lassen. Und dann erklärt er „hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet“.
Die AfD Sachsen setzt ihn dafür zehn Tage später auf Platz 2 ihrer Landesliste – gegen den Willen Petrys. Im Bundestag ist er so fast sicher. Petry will ihn aus der Partei werfen lassen, wird dafür aber heftig angefeindet, ihr entgleiten weite Teile der sächsischen Parteibasis.
Politologe Steffen Kailitz
Maier stammt aus Bremen, bis 1986 ist er dort in der SPD. Die ist heute für ihn nur noch „Instrument der Asylindustrie und der Bankerlobby“. 1991 zieht er nach Dresden, 1997 kommt er an das Landgericht, 2013 zur AfD.
Am Morgen des Tages, an dem Höcke und Maier im Watzke das Ende deutscher Nationalschuld ausrufen, weist das Bundesverfassungsgericht den NPD-Verbotsantrag des Bundesrats zurück. „Ich nehme an, dass viele der Kameraden jetzt am Feiern sind“ – so beginnt Maiers Rede im Watzke.
Darf so jemand politische Verfahren führen?
Das Verbotsverfahren hatte ihm Bekanntheit gebracht. Sachverständiger dort war der Dresdner Politologe Steffen Kailitz. Der wirft der NPD vor, „Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund“ vertreiben zu wollen. Die NPD verklagt ihn deshalb – am Landgericht Dresden. Zuständig für das Verfahren: Jens Maier. Am 10. Mai 2016 entscheidet er, dass Kailitz seinen Befund über die NPD nicht wiederholen darf. Im Watzke nennt Maier die NPD „die einzige Partei, die immer geschlossen zu Deutschland gestanden hat“. Wegen „Nazi-Nostalgie“ sei sie allerdings „nicht zukunftsfähig“. Doch jetzt, sagt Maier, „sind wir da, die neue Rechte“.
„Maiers Radikalisierung ist für mich keine Überraschung“, sagt Kailitz heute. Als die Klage der NPD gegen ihn läuft, entdeckt er unter Maiers zwischenzeitlich offenbar gesäuberter Liste mit Facebook-Freunden führende NDP-Politiker. Seit dem Abend im Watzke sei eine Radikalisierung der sächsischen AfD „klar zu beobachten“, sagt Kailitz. Maier sei mittlerweile eine zentrale Figur im Landesverband, wichtiger Protagonist des völkischen Flügels.
Darf so jemand als Richter politische Verfahren führen? Nach der Rede im Brauhaus „war natürlich gleich Krisensitzung“, sagt Maier. Das Landgericht prüft, ob er gegen das sogenannte Mäßigungsgebot für Richter – also die Pflicht, sich so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Amtes nicht gefährdet wird – verstoßen hat. „Hoffentlich bleibe ich Richter“, sagt Maier bei einer AfD-Veranstaltung. Die entscheidende Sitzung des Gerichtspräsidiums ist am Abend des 30. Januar.
Auf Fragen keine Antworten
Kurz davor endet die Verhandlung gegen den Lkw-Fahrer. Maier packt zusammen. „Sie sind wegen dem Nazi-Richter hier, stimmt’s“?, fragt er. Immerhin. Die Presse wolle ja nie mit ihm reden. Die Sache mit dem Abend im Brauhaus Watzke sei vor allem ein Missverständnis, sagt er. Aufgebauscht. Eine Kampagne der Medien gegen die AfDler, die keine Profis, sondern „nur eine Laienspielschar“ seien. Es gäbe viel, was man ihn fragen wollte. Wie er eigentlich so geworden ist, das vor allem. Doch Maier lehnt ab. Alles werde immer aus dem Zusammenhang gerissen. Schriftlich könnte er antworten. Aber Antworten auf die Fragen kommen nie. Mails und Anrufe ändern daran nichts.
Am Abend entscheidet das Gerichtspräsidium: Maier bleibt Richter. „Wir haben den Geschäftsverteilungsplan geändert“, sagt der Sprecher Thomas Ziegler. Prozessbeteiligte, so das Gericht, hätten Zweifel, dass Maier als AfDler „unbefangen“ über „stark politisch geprägte Fragen“ richten könne. Maier darf jetzt keine Mediensachen und Klagen wegen Verletzung des Rufes und der Ehre verhandeln. „Auch zu seinem Schutz“, sagt Ziegler. „Es ist ja ungünstig wenn man wegen Befangenheit abgelehnt wird.“
Maier kann die Radikalisierung der Partei, die Gauland von oben betreibt, von nun an ungehindert an die sächsische Basis bringen. Hier füllt er offensiv die Leerstelle am rechten Rand, die die sich gemäßigt gebende Petry lässt. Er zeigt sich mit Höcke, nennt ihn „meine Hoffnung“ und führt die AfD in ihrem Kernland Sachsen so weg von Petry. Er bildet ein neues Machtzentrum des „Flügels“, wie der Höcke-Trupp sich nennt.
Im März nennt Maier Migration „umgekehrte Kolonialisierung“. Statt Kanonen hätten die Migranten heute Bilder wie das des Toten syrischen Jungen Aylan Kurdi, „um uns auszubeuten“. Das sei „die Strategie der Kriegsführung, die die fahren“. Von so erzeugtem „moralischen Gewäsch“ dürften „wir uns unser Land nicht kaputt machen lassen.“ Im April hört ein Zeit-Reporter, wie Maier bei einer Veranstaltung bei Pirna sagt, der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik sei „aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden“, ob der Einwanderung von „Kulturfremden“. Petry nennt dies eine „beispiellose Geschmacklosigkeit“ und beantragt Maiers Parteiausschluss. Die Basis tobt. Maier unterläuft Petrys Bemühen um bürgerliche Anschlussfähigkeit jetzt gezielt: Im Juni tritt Maier bei Pegida auf, nennt die Anwesenden „Freunde“ und wirft Petry „Abgrenzeritis von Pegida“ vor. Freund-Feind-Unterscheidung.
Die Dresdner AfD hält zu ihm
Im August fordert er auf dem Dresdener Neumarkt unter „Maier, Maier“-Rufen des Publikums „dass Deutschland wiederaufersteht“. Die Dresdner AfD steht zu ihm. Die einen wegen seiner radikalen Töne, die anderen glauben, dass er alles nicht so meint. An einem Freitag im September hat der Ortsverband einen Stand vor der Universität aufgebaut. Höcke und Maier „die stehen für Bismarck und für Deutschland und lassen sich nicht vom Zeitgeist verbiegen“, sagt Hans-Joachim Klaudius. Warum Maier keine Interviews gebe? Die Situation nach dem Abend im Watzke sei für Maier „schwierig“ gewesen. „Er wollte eben keine Fehler machen“, sagt Klaudius. „Er hat keine Fehler gemacht“, sagt ein Dabeistehender.
Ein alter Mann kommt zum Stand. Er will einen „Aufkleber vom Maier“. Er war Elektroingenieur, den Namen „kann ich nicht sagen, es gibt ja keine Sicherheit in diesem Land mehr“. Nach der Wende habe er die CDU gewählt. Aber das sei nicht mehr möglich. „Dieser Staat hat total versagt“, nicht nur in der Flüchtlingspolitik, „auch bei Schule und Familie“. Die FDP „hat die Homosache so hochgespielt, wenn die jungen Leute so was sehen, dann sagen die doch, das will ich auch ausprobieren. Das ist doch nicht normal. Wenn es keine Familie gibt, gibt es keine Kinder. Aber das will dieser Staat ja auch gar nicht mehr. Der holt hier lieber die Neger rein.“
Daneben steht Michael Baitinger, ein Chemiker am Max-Planck-Institut, früher Linker, heute „weder links noch rechts“, sagt er. Als er in die AfD eintrat, hatte er Zweifel, ob die Partei ihn, Mann einer Taiwanesin, mit einem gemeinsamen Sohn, akzeptieren würden. Doch das sei geschehen. Für ihn ein Beleg, dass die AfD „multiethnisch“ sei, „im Unterschied zur NPD“. Maiers Rede hat ihn irritiert. „Ich habe ihn gefragt, ob er ein ethnisch homogenes Deutschland will.“ Maier verneinte, sagt Baitinger. „Es war sehr vernünftig, ohne Radikalität, hat sich stark abgegrenzt zum ethnischen Nationalismus.“ Er fühle sich „missverstanden“, habe er Baitinger gesagt. „Ich habe ihm gesagt, so jemand müsste in der Lage sein, sich klar auszudrücken.“ Aber in einer Partei müssten ja auch nicht immer alle einer Meinung sein.
So lässt der gemäßigte Teil der Partei Maier und Höcke gewähren. „Der Einfluss des rechtsextremen, völkischen Flügels wächst“, sagt Kailitz. Wie weit, ist offen. Nur Frauke Petry, glaubt er, werde aufgrund der Kräfteverhältnisse „keine Zukunft in der Partei“ haben.
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