AfD-Beobachtung durch Verfassungsschutz: Der sächsische Sonderweg

Bisher hat der sächsische Verfassungsschutz öffentlich zugängliche Infos über AfD-Abgeordnete gesammelt. Der neue Chef macht damit Schluss.

Portrait von Dirk-Martin Christian

Neuer Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen, Dirk-Martin Christian Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat Medienberichte darüber bestätigt, dass Differenzen über die Beobachtung von sächsischen AfD-Abgeordneten in Land- und Bundestag sowie im EU-Parlament Anlass für die Entlassung von Gordian Meyer-Plath als Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz waren. Seine Ablösung sei aber schon länger geplant gewesen. Das sächsische Regierungskabinett hatte ihn am Dienstag durch den Juristen Dirk-Martin Christian ersetzt, der seit 2019 im Innenministerium die Fachaufsicht über den Landesverfassungsschutz führte.

„Das Landesamt hat widerrechtlich Daten über frei gewählte Abgeordnete gespeichert“, erklärte Wöller am Donnerstag. Nicht etwa Ergebnisse einer Observierung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, sondern öffentliche Aussagen und Medienberichte. „Das ist die wichtigste Quelle des Verfassungsschutzes“, meinte Präsidenten-Nachfolger Christian zum Erstaunen mancher Journalisten. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen gegen Abgeordnete nur eingesetzt werden, wenn der Landtagspräsident zustimmt.

Aber schon das Anlegen einer solchen Sammlung allseits zugänglicher Berichte und Aussagen verstößt nach Auffassung des Innenministers und des neuen VS-Präsidenten gegen geltendes Recht. Hierüber hat es offenbar Kontroversen zwischen Meyer-Plath und seiner Aufsichtsperson Christian im Ministerium gegeben, wie aus einem der Sächsischen Zeitung zugespielten Briefwechsel hervorgeht.

Seit etwa einem Jahr stellte das sächsische Landesamt Dossiers mit Medienberichten und öffentlichen Aussagen zusammen und legte sie von sich aus der Aufsicht vor. Innenminister Wöller war seit April informiert, Ende Juni wurde die Löschung dieser Aufzeichnungen angewiesen, die bis zur Stunde noch nicht erfolgt ist. „Jeder Prozess, den die AfD gewinnt, ist eine Adelung ihrer Vorgehensweise“, formulierte Innenminister Wöller die besondere sächsische Vorsicht, die Beobachtung möglicher verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht in ihr Gegenteil zu verkehren.

Datensammlung durch Rechtslage nicht ausgeschlossen

Doch die vielfach beschworene Rechtsgrundlage, die eine Datensammlung angeblich ausschließt, erweist sich bei näherer Betrachtung als schmal. Weder die sächsische Landesverfassung noch das Verfassungsschutzgesetz noch das Abgeordnetengesetz schließen eine solche Beobachtung ausdrücklich aus. Maßgeblich für das sächsische Innenministerium ist allein das vielfach erwähnte so genannte Ramelow-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013. Darin wurde die VS-Beobachtung des heutigen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow aufgehoben.

Die Karlsruher Richter korrigierten im Ramelow-Urteil unter anderem ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Bundestages von 2006, das eine Beobachtung einzelner Abgeordneter nicht zwangsläufig im Widerspruch zur freien Mandatsausübung sah: Bei nachweislichen Aktivitäten gegen die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung sei eine Beobachtung ausnahmsweise zulässig.

Die damals benannten Ausnahmen werden heute aber leicht vergessen. So ist eine VS-Beobachtung vorübergehend zulässig, um extremistische Bestrebungen nachzuweisen. Gewählte Abgeordnete dürfen ebenfalls beobachtet werden, wenn sie als Nichtextremisten in einer Partei tätig sind, in der Extremisten die Mehrheit ausmachen.

Bei der Beurteilung des bisherigen Vorgehens im sächsischen Landesamt handelt es sich also um eine Ermessensfrage. Die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz attackierte prompt das Landesamt: Es sei „zu dämlich, gegenüber dem Innenministerium zu begründen, weshalb es die Daten von AfD-Abgeordneten speichern muss“. Ohnehin stümpere es im Kampf gegen Rechtsextremismus herum, wie ihm ja auch das Ministerium mangelnde Analysefähigkeit bescheinige.

Verfassungsschutzämter anderer Länder besorgt

Dasselbe Innenministerium war es jedoch, das am Donnerstag einmal mehr sächsischen Trotz und das Recht auf einen Sonderweg demonstrierte – ungeachtet der in Bund und den übrigen Ländern verbreiteten Tendenz zur genaueren Beobachtung von AfD-„Flügel“ und der „Jungen Alternative“. Dabei verwendet der Bundesverfassungsschutz nicht nur frei zugängliche Quellen. Sachsen aber ignoriert erklärtermaßen dessen Handreichungen für den Umgang mit Abgeordneten und setzt die Beobachtungsschwelle sehr hoch an.

„Prüfungs- und Verdachtsfälle dürfen in Sachsen nicht beobachtet werden“, erklärte der „Neue“ Dirk-Martin Christian. Er und Innenminister Roland Wöller beeilten sich indessen, die rechtsextreme Gefahr in allgemeinen Worten zu beschwören. Man wolle dagegen weiter „dicke Bretter bohren“. Andere Verfassungsschutzämter blicken inzwischen sehr genau nach Sachsen. Er beobachte die Vorgänge um den sächsischen Verfassungsschutz „mit Sorge“, sagte der Thüringer Präsident Stephan Kramer zur taz. Denn: „Wie jeder weiß, sind eine ganze Reihe der genannten Beobachtungsfälle länderübergreifend relevant.“

Demonstranten vor dem Innenministerium sowie Grünen-Jugend, Linksjugend und Jusos sehen in den Vorgängen eine indirekte Sabotage des Kampfs gegen Rechts und forderten den Rücktritt des Innenministers und die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Die AfD hingegen lobte den neuen VS-Chef Christian und wittert die Chance, mit einer Klage weiter ihren Opfermythos zu pflegen. Am Montag wird sich die Parlamentarische Kontrollkommission mit dem Fall beschäftigen.

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