Äthiopische Dörfer angegriffen: Die Angreifer kamen aus Südsudan
Über 200 Tote gab es bei Angriffen auf Dörfer im Westen Äthiopiens. Dort leben Anhänger von Südsudans Nuer-Rebellen.
„Die Menschen wurden vom Gewehrfeuer geweckt“, schildert ein auf Facebook kursierender Bericht aus der Region das Geschehen vom vergangenen Freitag. „Die Angreifer waren zu Fuß. Sie hatten die Dörfer umstellt und waren auch schon zwischen den Hütten. […] Sie suchten nach Kindern unter 15 Jahrens und nach Vieh. Sie nahmen alle Tiere aus den Dörfern, an einem Ort bis zu 800 Kühe plus Schafe und Ziegen. Frauen, die versuchten, die Entführung ihrer Kinder zu verhindern, wurden getötet.“
Bis Montagfrüh sprach Äthiopiens Regierung von 208 Toten. 108 Kinder und 2.000 Rinder seien entführt worden, sagte Regierungssprecher Getachew Reda der Nachrichtenagentur Reuters. Die Armee sei dabei, die Angreifer zu verfolgen. Bereits am Samstag hatte Getachew gesagt, Regierungssoldaten würden die Angreifer in den Südsudan hinein jagen und hätten bereits 60 von ihnen getötet.
Gambella, ein tief nach Südsudan hineinragendes Stück Äthiopien westlich des äthiopischen Hochlands, ist traditionell eine unruhige Region. Jenseits der Grenze im Südsudan vermischen sich mehrere blutige Konflikte: der seit Ende 2013 tobende Bürgerkrieg zwischen Südsudans Regierung von Präsident Salva Kiir von der Volksgruppe der Dinka und Rebellen des ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar von der Volksgruppe der Nuer; und noch viel ältere Konflikte zwischen Nuer und Milizen des Murle-Volkes, die immer wieder in brutalen ethnischen Massakern enden und mittlerweile von den Kontrahenten des südsudanesischen Bürgerkrieges wortwörtlich ausgeschlachtet werden. So kämpfen jetzt Murle-Milizen auf Regierungsseite, während Nuer das Gros der Rebellen ausmachen.
Ob mit dem jüngsten Massaker Südsudans Krieg auf Äthiopien übergeschwappt ist, bleibt unklar, aber es gibt deutliche Verbindungen. Die Täter waren den Berichten zufolge Murle, vermischt mit einigen Dinka, was auf südsudanesische Regierungssoldaten hindeuten könnte. Die Opfer sind Nuer – vom Volk der Jikany. Zugleich leben in Gambella inzwischen rund 220.000 Flüchtlinge aus dem Südsudan, zumeist Nuer und zu 90 Prozent Frauen und Kinder.
Die meisten leben in Lagern, aber Konflikte zwischen bewaffneten Flüchtlingen und lokalen äthiopischen Volksgruppen forderten bereits im Februar Dutzende Tote und führten damals dazu, dass Äthiopiens Regierung die lokal rekrutierte Polizei abzog – mit dem Ergebnis, dass die Leute nun gegen die Angreifer aus Südsudan schutzlos waren.
Den Friedensprozess sabotiert
Der Angriff ging nach lokalen Berichten in der Dimension und der Brutalität weit über die in dieser Region üblichen Viehdiebstahl-Überfälle hinaus und zielte auf die Nuer-Bevölkerungen der Region als Ganzes. Er erfolgte genau rechtzeitig, um einen wichtigen Schritt zur Überwindung des Bürgerkrieges im Südsudan zu sabotieren: die Rückkehr des Rebellenchefs Riek Machar aus dem äthiopischen Exil nach Südsudan, um in der Hauptstadt Juba am Montag wieder feierlich als Vizepräsident vereidigt zu werden.
Die Umsetzung dieser Vereinbarung, ein zentraler Schritt des 2015 in Äthiopien ausgehandelten Friedensabkommens für Südsudan, wurde immer wieder verzögert, weil mit Machars Rückkehr nach Juba noch lange nicht klar wäre, dass dort jetzt auch Nuer sicher sind. Die Rebellen verlangen dafür eine Entmilitarisierung von Juba, die Regierung sieht das nicht ein.
Nun hat Machar aus „logistischen“ Gründen am Montag seine Heimkehr erneut verschoben. Die „logistischen“ Gründe hängen direkt mit dem neuen Massaker zusammen. Machar hielt sich in Gambella auf, als der blutige Angriff vom Freitag erfolgte, und wartete da auf seine Anhänger, die aus der Grenzstadt Pagak im Rebellengebiet Südsudans zu ihm stoßen sollten, um gemeinsam mit ihm nach Juba zu fliegen. Wegen der Kämpfe konnten sie jetzt nicht kommen. Ob Machars Heimkehr am Dienstag klappt, blieb am Montagnachmittag offen.
Falls das Massaker von Gambella tatsächlich gezielt den Nuer als Anhänger Riek Machars galt, und falls die Täter nicht nur südsudanesische Militäruniformen trugen, sondern auch südsudanesische Militärangehörige waren, wäre es als gezielte Sabotage des Friedensprozesses durch Südsudans Regierung zu werten. Aber angesichts der Unübersichtlichkeit dieses Krieges sind solche Schlüsse nur mit großer Vorsicht zu treffen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags wurde in der Überschrift der Sudan als Herkunft der Täter genannt, statt des Südsudan.
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