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Ärztin über Krankheiten und Klimawandel„Wir haben einen Allergie-Tsunami“

Asthma, Schlaganfälle, Diabetes: Der Klimawandel macht Menschen krank – körperlich und seelisch, warnt Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann.

40 Prozent der Menschen leiden mittlerweile unter Allergien Foto: Katharina Mikhrin/imago-images
Interview von Hanna Gersmann

taz: Frau Traidl-Hoffmann, Deutschland muss bei der Klimapolitik nachbessern, fordert das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss am Donnerstag. Sie sagen, das sei auch für die Gesundheit entscheidend, die Erderwärmung schon heute ein Risiko. Fangen wir mit Gewitterasthma an. Was ist das?

Claudia Traidl-Hoffmann: Menschen, die nie vorher Asthma hatten, bekommen bei Blitz und Donner plus starkem Pollenflug einen Lungenkrampf, einen asthmatischen Anfall. Ganz akut. Da gibt es Todesfälle.

Todesfälle?

In Australien ist das zum ersten Mal beschrieben worden. Menschen klagten während eines Unwetters über Atemnot, Hunderte mussten ins Krankenhaus, einige starben. Wir gehen davon aus, dass durch die elektrische Aufladung in der Atmosphäre bei einem Gewitter Pollen aufplatzen und kleine Pollenpartikel entstehen. Die gelangen viel tiefer in die Lunge als die normalen Pollenkörner. Da reagieren auch Nicht-Allergiker. Das beobachten wir auch in Deutschland immer häufiger…

Bild: privat
Im Interview: Prof. Claudia Traidl-Hoffmann,

51, ist Direktorin des Instituts für Umweltmedizin des Helmholtz-Zentrums München und Chefärztin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Sie erforscht, welche Folgen die Erderhitzung für die Gesundheit hat. Sie hat darüber mit der Journalistin Katja Trippel das Buch „Überhitzt“ geschrieben, es erscheint am 17. Mai im Dudenverlag.

… weil mit der Erderhitzung die Unwetter zunehmen?

Zum einen das. Asthmatiker sollten vorsichtig sein, am besten bleiben sie drinnen, wenn Gewitter angesagt sind und zugleich die Pollen stark fliegen. Die Pollen werden mit dem Klimawandel – das ist das andere – auch aggressiver, sie werden mehr, ihre Saison verlängert sich. Vierzig Prozent der Menschen leiden mittlerweile unter Allergien. Viele können nicht vernünftig arbeiten, weil ihnen ständig die Nase läuft.

Wie stark leidet die Wirtschaft?

Schon heute verursachen in Europa allein Allergien jedes Jahr 151 Milliarden Euro pro Jahr an sozioökonomischen Kosten. Die Summe wird steigen. Wir haben einen Allergie-Tsunami. Im Übrigen liegt die Temperatur für ein einwandfreies Funktionieren unseres Gehirns bei etwa 22 Grad Celsius.

Welche Folgen hat der Klimawandel noch?

Schlaganfälle nehmen zu. Gerade bei warmem, feuchtem Wetter kommt es zu Veränderungen in den feinen Blutgefäßen, dann verstopfen Hirnarterien, das Gewebe wird nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Wunden heilen bei Temperaturen über 40 Grad schlechter, die Erholung nach Operationen dauert länger. Typ-2-Diabetes nimmt zu.

Diabetes hat doch mit Essgewohnheiten, mit Bewegungsmangel zu tun.

Die Veränderungen der Lebensstile sind schon herausgerechnet. Mit steigenden Temperaturen steigen auch die Fallzahlen. Das zeigt sich in den vergangenen zwanzig Jahren weltweit. Offenbar verändert sich der Fettstoffwechsel, die Zellen sprechen immer weniger auf Insulin an, das den Zuckerspiegel reguliert.

Aber die Psyche freut sich über warme Sommerabende?

Sie unterschätzen die seelischen Belastungen. Der Förster, der Borkenkäfer und abgestorbene Bäume in seinen Wald sieht, leidet. Der Bauer, der wegen der Dürre um seine Ernte bangt. Und für die Jugend, die eine düstere Zukunft fürchtet, ist es auch schwer. Der Klimawandel bedroht die körperliche und die seelische Gesundheit. Das stand lange nicht im Fokus. Beim Deutschen Ärztetag im Herbst ist das nun aber das große Thema.

Was muss sich tun, damit die Menschen gesund bleiben?

Auch aus medizinischer Sicht muss die Welt so schnell wie möglich raus aus den klimaschädlichen Energien, aus Kohle, Gas und Öl. Zudem müssen wir alle weniger Energie verbrauchen. Darum müssen wir auch Digitalwährungen wie den Bitcoin überdenken. Der ist ein unersättlicher Stromfresser. Vor allem aber brauchen wir eine Ernährungs- und eine Mobilitätswende. Wir sollten fördern, was keinen Motor braucht – das Rad fahren, das Spazierengehen. Und – als Medizinerin tut mir das weh – …

…was tut Ihnen weh?

Der Gesundheitssektor selbst ist weltweit für etwa 4,6 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Wäre der Gesundheitssektor ein Land, stünde er auf Platz 5 der Liste der Länder, die am meisten CO2 ausstoßen. Das liegt an der Produktion der Medikamente, an den Krankenwagenfahrten, am Energieverbrauch in Operationssälen und überhaupt für den Betrieb der Krankenhäuser. Kliniken müssten zum Beispiel auf erneuerbare Energien umstellen.

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3 Kommentare

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  • Ich hatte schon Angst, das eine Medizinerin hier lustvoll neue Geschäftsfelder absteckt. Aber mit dem letzten Absatz hat sie klargemacht, dass auch der ganze medizinische Sektor, auch losgelöst vom Klimawandel, in eine Sackgasse läuft.



    Medikamente und technische Ausrüstungen die unsere Umwelt versauen, den Herstellern enorme Gewinne bescheren und der eigentlichen Volksgesundheit wenig bringen. Die Entsorgungskosten (Medikamente) werden aber dem Steuerzahler aufgebrummt oder unterhalb des Radars in die Umwelt geleitet.



    Und 150 Euro die Stunde fürs Impfen in den Impfstrassen, die die KV offensichtlich der Regierung abgepresst hat, sind auch nicht in Ordnung. Die Hausärzte machen das jetzt für einen Bruchteil und verhungern auch nicht.



    Es gibt irre viel aufzuräumen in diesem unseren Land.

  • ziehen sich bei niedrigen Temperaturen nicht die Blutgefäße zusammen und damit erhöht sich das Schlaganfallrisiko? sicher wirds mit steigendem Temperaturen auch Negativeffekte geben. aber niedrig besser sind?

    schlaganfallbeglei...ko%20erh%C3%B6hten.

    • @Usch Bert:

      Schon mal den Begriff Optimum gehört? Oder das Wort „Glockenkurve“ gelesen?

      Lebewesen passen sich ihrer Umwelt an. Und zwar nicht nur von jetzt auf gleich, sondern auch über Generationen. Ändern sich einzelne Umweltfaktoren zu schnell, schafft nicht mehr jedes Individuum die nötige Anpassung schnell genug. Dann gibt es zunächst vereinzelte Ausfälle. Die Schwächsten sterben zuerst. Nimmt die Veränderung dann so richtig Fahrt auf, können ganze Arten aussterben. Und das gilt sowohl für Veränderungen „nach rechts/oben/vorn“, als auch für Veränderungen nach „links/unten/hinten“. Als Mensch kann man so etwas wissen. Muss man aber heute nicht mehr unbedingt.