Ägyptens Friedensplan für Nahost: Neue Roadmap zu Weihnachten
Was der ägyptische Vorschlag zur Befriedung des Gazakriegs beinhaltet – und warum Hamas und Teile des israelischen Sicherheitsapparates ihn ablehnen.
Er ist eher kühne Vision als auf breitem Konsens aufgebaut: Der ägyptische und von Katar unterstützte Vorstoß zu einem Waffenstillstand – der gar den Weg zu einem Frieden zwischen Israel und den Palästinenser*innen ebnen könnte. Der Plan, den Ägypten Israel, der Hamas, den USA und den europäischen Regierungen am Montag vorlegte, ist nicht öffentlich einsehbar, doch die Inhalte kursieren in verschiedenen Medien.
Im ersten Schritt sieht Kairo laut diesen Berichten eine zweiwöchige Unterbrechung der Kämpfe vor. Während dieser Zeit sollen 40 israelische Geiseln gegen 120 palästinensische Inhaftierte in israelischen Gefängnissen getauscht werden. Außerdem soll humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen.
In der zweiten Phase soll ein Gespräch zwischen den verfeindeten palästinensischen Fraktionen stattfinden, das auf eine Versöhnung von Fatah und Hamas abzielt und auf die Bildung einer technokratischen Regierung im Westjordanland und im Gazastreifen. Diese soll unter der Aufsicht internationaler Kräfte gebildet werden und den Wiederaufbau des Gazastreifens beaufsichtigen sowie den Weg zu palästinensischen Wahlen ebnen.
In der dritten Stufe soll ein umfassender Waffenstillstand folgen. Die verbliebenen israelischen Geiseln, einschließlich der Soldat:innen, sollen freigelassen werden – im Gegenzug für eine noch nicht definierte, aber wohl sehr hohe Anzahl von palästinensischen Inhaftierten in israelischen Gefängnissen, die der Hamas und dem Islamischen Dschihad nahestehen. Schließlich würde Israel sein Militär aus dem Gazastreifen abziehen.
Kein Existenzrecht der Hamas
Hamas und Islamischer Dschihad wiesen den Vorstoß Ägyptens laut Medienberichten am Montag zurück. Sie lehnten, so ließen sie verlauten, alle Zugeständnisse, die über die Freilassung der Geiseln hinausgehen, ab. Einer der zentralen Streitpunkte ist wohl die Beschaffenheit der vorgeschlagenen Technokratenregierung. Zwar beinhaltet der Plan die Zusicherung einer Amnestie für alle Hamas-Mitglieder. Doch die Hamas dürfte befürchten, dass sie damit die Kontrolle über den Gazastreifen verlieren und sie in das Ende ihrer Existenz einwilligen würde.
Aus Israel kam keine offizielle Absage. Doch die Zeichen waren deutlich. Netanjahu betonte am Montag gegenüber Soldat:innen im Gazastreifen, dass Israel seine Militäroffensive nicht beenden werde, bis die Hamas zerschlagen ist.
Genau dieses von Regierungschef Netanjahu immer wiederholte Kriegsziel würde mit dem ägyptischen Vorschlag scheitern – nicht nur, weil der Vorschlag die Unversehrtheit von Hamas-Kämpfern garantiert, sondern auch, weil die Sorge herrscht, dass die Hamas unter dem Deckmantel einer technokratischen Regierung den Gazastreifen weiter kontrollieren könnte.
Außerdem wäre ein weiteres Ziel mit dem Vorschlag gescheitert: Netanjahu hatte mehrfach betont, dass Israel für einen längeren Zeitraum nach dem Krieg die Kontrolle im Gazastreifen behalten würde. Der Plan sieht jedoch den kompletten Abzug der israelischen Streitkräfte vor.
Netanjahu lässt die Muskeln spielen
Doch die Ablehnung des Plans ist zumindest unter israelischen Sicherheitsbeamten nicht absolut. Nach Medienberichten würden sie den Vorschlag als Grundlage für weitere Verhandlungen betrachten. Ob diese Verhandlungen unter Netanjahu geführt werden können, ist zu bezweifeln. Angesichts des massiven innenpolitischen Drucks ist er in den Wahlkampfmodus gewechselt, wettert gegen die Zweistaatenlösung und ließ in einem am Montag veröffentlichten Kommentar im Wall Street Journal weiter seine Muskeln spielen.
Seine Bedingungen für Frieden: „Die Hamas muss zerstört, Gaza entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft entradikalisiert werden.“ Dabei ging er mit keinem Wort auf die israelischen Geiseln ein, deren Schicksal die israelische Gesellschaft spaltet – und genauso wenig auf die Möglichkeit eines palästinensischen Staates.
Doch ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht bald jemand anders die Geschicke des Landes lenken wird. Zum ersten Mal seit dem Beginn des Krieges forderten am Samstagabend Tausende in Tel Aviv und im Norden Israels ein Ende der Netanjahu-Regierung. Bislang hatten die Geiseln im Fokus der Proteste gestanden.
Organisiert wurden die regierungskritischen Proteste maßgeblich von Bewohner:innen der nördlichen Ortschaften an der Grenze zum Libanon, die vor mehr als zwei Monaten aus dem Zentrum des Landes evakuiert wurden und angesichts der täglichen Raketenangriffe noch immer nicht zurückkehren können. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein