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Ägyptens Ex-PräsidentMursis seltsamer Tod vor dem Kadi

Ägyptens Expräsident Mohammed Mursi ist im Gerichtssaal zusammengebrochen. Menschenrechtler prangern menschenunwürdige Haft an.

In Haft seit 2013: Ägyptens Expräsident Mohammed Mursi wurde vom Militär gestürzt Foto: ap

Kairo taz | Die Behörden hatten es eilig: Nur wenige Stunden nachdem Mohammed Mursi am Montag in einem Gerichtssaal zusammengebrochen und gestorben war, wurde der ehemalige ägyptische Präsident ohne großes Aufsehen auf einem Friedhof in Kairo beerdigt. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und nur im Beisein enger Familienmitglieder wurde der einzige in freien Wahlen bestimmte Präsident in der Geschichte des Landes begraben. Ein öffentliches Begräbnis in seinem Heimatort im Nildelta, um das seine Familie gebeten hatte, lehnten die Behörden ab.

Der Vorgang zeigt, wie nervös das Regime ist. Und das, obwohl der jetzige Präsident und ehemalige Militärchef Abdel Fattah al-Sisi, der den Muslimbruder Mursi 2013 mithilfe des Militärs stürzte, scheinbar fest im Sattel sitzt. Der Sicherheitsapparat lässt aus Sorge vor einer Wiederholung eines Aufstands wie 2011 gegen Husni Mubarak keinerlei politischen Spielraum zu.

Auch in den staatlichen Medien wird der Tod Mursis, der offiziell an einem Herzinfarkt gestorben ist, als Randnotiz vermeldet. Ganz anders in den sozialen Medien, in denen die Umstände seines Todes Topthema sind: Schnell verbreitete sich der Vorwurf, die Behörden hätten den ehemaligen Muslimbruder in den Tod getrieben. Angefeuert wurde das durch Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch.

„Sein Tod ist furchtbar, war aber absolut vorhersehbar, da die Regierung ihm eine angemessene medizinische Behandlung verwehrt hat“, twitterte Sarah Lee Whitson, die Geschäftsführerin von Human Rights Watch. „Sein Tod folgte Jahren schlechter Behandlung, langer Isolationshaft, inadäquater medizinischer Versorgung, Entzug von Familienbesuchen und keinem Zugang zu Anwälten“, fügte die Organisation später in einer Erklärung hinzu. Der ägyptische Staatsinformationsdienst warf Whitson vor, mit politischen Absichten Lügen zu verbreiten.

Haftbedingungenen an der „Grenze zu Folter“

Mursi soll an hohem Blutdruck und einem schweren Dia­betes gelitten haben, der dazu führte, dass er auf einem Auge fast nichts mehr sah. Laut seiner Familie saß er seit sechs Jahren in Isolationshaft, abgeschnitten von der Außenwelt. Angehörige konnten ihn in dieser Zeit nur dreimal besuchen. Eine Gruppe britischer Politiker beschrieb seine Haftbedingungen im vergangenen Jahr als „an der Grenze zur Folter“.

Sein Tod ist furchtbar, aber war vorhersehbar

Sarah Lee Whitson, Human Rights Watch

Gegenüber einem Gericht hatte Mursi erklärt, dass er in Haft in ein diabetisches Koma gefallen sei. Die Richter hatten in einer ganzen Reihe von Prozessen gegen ihn – die Vorwürfe reichten von Spionage bis zum Aufruf zur Gewalt – nie eine Untersuchung seiner Haftbedingungen angeordnet. Mursi war bereits zu drei Jahrzehnten Gefängnis verurteilt worden. Ein früheres Todesurteil war in der Berufung aufgehoben worden.

In einer Audioaufnahme von einem der Prozesse, die 2017 an die Öffentlichkeit gelangte, beschwerte sich Mursi, komplett isoliert zu sein. „Ich weiß nicht, wo ich bin“, sagte er und fügte hinzu: „Ich sehe Stahl hinter Stahl und Glas hinter Glas, und mein eigenes Antlitz, das sich darin widerspiegelt, macht mich schwindelig“.

Feind versus Märtyrer

In der Bewertung Mursis sind die Ägypter gespalten. Seine Gegner hoben in den sozialen Medien Mursis nur einjährige, aber kontroverse Amtszeit hervor, in der der Muslimbruder versucht hatte, eine islamistisch-konservative Agenda durchzusetzen und seine Anhänger im Staatsapparat zu platzieren. Andere stilisierten ihn dagegen zum Märtyrer hoch. Wieder andere verglichen die Behandlung Mursis im Gefängnis mit der des 2011 gestürzten Mubarak, der seine Haftzeit komfortabel im Krankenhaus verbringen konnte und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist.

Ein Tweet des einstigen ägyptischen säkularen Tahrir-Aktivisten Wael Iskander, der inzwischen in Berlin lebt, fasst die Reaktionen treffend zusammen. „Niemand kann abstreiten, dass Mursi eine große Ungerechtigkeit angetan wurde. Seine Anhänger fühlen das und selbst seine Gegner wissen das.“

Mursi war auf den Tag genau acht Jahre vor seinem Tod mit 51,7 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Gewählt hatten ihn seine Anhänger, aber auch viele Ägypter, die den damals zweiten Kandidaten, Ahmed Schafik, einen Mann des alten Regimes, verhindern wollten. Doch schon bald wuchs der Unmut.

Muslimbruderschaft als Terrororganisation gelistet

Mursi wurde vorgeworfen, autoritär aufzutreten und die Hoffnungen der Ägyptischen Revolution von 2011 zu verraten. Zudem wurde Mursi von den staatlichen Institutionen, die immer noch mit den Vertretern des alten Regimes durchsetzt waren, praktisch sabotiert. Regelmäßige Stromausfälle und lange Schlangen vor den Tankstellen waren die Folge.

Im Sommer 2013 kam es zu Massenprotesten gegen Mursi und die Muslimbrüder. Der Ruf nach Neuwahlen wurde immer lauter. Das Militär und der Sicherheitsapparat, denen später vorgeworfen wurde, die Proteste mit angeheizt zu haben, forderten Mursi auf zurückzutreten. Am 3. Juli schließlich entfernte das Militär Mursi von der Macht. Seine Anhänger protestierten dagegen in mehreren Protestlagern in Kairo, die dann im August 2013 blutig aufgelöst wurden.

Heute sind öffentliche Reaktionen auf Mursis Tod kaum zu erwarten. Die Anhänger der Muslimbruderschaft befinden sich entweder im Exil, im Gefängnis oder im Untergrund. Die Muslimbruderschaft, unter Mubarak einst die größte Oppositions­gruppe, ist in Ägypten inzwischen als Terrororganisation gelistet.

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2 Kommentare

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  • Dank an Karim El-Gawhary für seinen engagiert fundierten Beitrag.

    Nachdem es US Präsident Barack Obama, entgegen seinem Wahlversprechen 2008, nicht gelungen war, das US Internierungslager mit Folter Apparat Guantanamo/Kuba bis zum Ende seiner Amtszeit 20.1.2017 aufzulösen. weil sich verbündete Länder weigerten, selbst unschuldig Inhaftierte ihrer Staatsangehörigkeit unter der Bundesinnenminister Otto Schily, Wolfgang Schäuble Silberzungen Losung "Wer aus Guantanamo Haft kommt, gilt uns bei dortigen menschenverachtenden Haftbedingungen als radikalisiert, als Gefährder, der zu bleiben hat, wo er ist" , wenn überhaupt, nur schleppernd zurückzunehmen. Darunter Deutschland u. a. im Fall Murat Kurnaz, war der moralische Nimbus selbst demokratisch verfasster Staaten ruiniert, folglich lebt es sich seitdem moralisch ungeniert mit bisheriger Inhaftierung Praxis ungestört fortzufahren, die allem verbrieften Menschenrecht auf Grundversorgung, medizinische Behandlung Hohn spricht mit dem Entsetzen Spott treibt, siehe der Fall Muhammed Mursi, für den n. m. K. selbst Rotes Kreuz, Roter Halbmond nicht einmal aktiv wurden, seine Haftbedingungen auf die Einhaltung von Menschenrechten zu überprüfen

  • Revolutionäre Rolle rückwärts

    In der „New York Times" nannte 2013 Obama-Berater Bruce Riedel die Vorgänge in Ägypten zwei Jahre nach der dortigen Variante des „Arabischen Frühlings“ 2011 nicht unzutreffend eine „Konterrevolution“. Deren Akteure, die pro-okzidentale Mubarak-Armee und der übrige Sicherheitsapparat des Ancien Régimes, bedienten sich dabei clever der Propagandafigur des „War On Terrorism“. Bald schon wurde Mubarak die publizistische Gnade zuteil, nicht mehr, wie noch in den Tagen des „Arabischen Frühlings“, als Diktator denunziert, sondern auf den weniger abscheulichen Status eines „Autoritären Herrschers“ herabgestuft zu werden. Diese Kategorisierung wurde in der neueren Geschichte zumeist jenen Schurken-Herrschern zu teil, von denen es in Washington seit Roosevelt über Kissinger bis Rumsfeld heißt: „Es mögen Schurken sein, aber es sind unsere Schurken.“

    Das Problem der politischen PR-Experten, Sprachregler und Diskurs-Designer bestand danach nun darin, die Massaker in Kairo, die denen in Peking im Juni 1989 in nichts nachstanden, mit den moralischen Ansprüchen des Anti-Terrorkampfes in eine rhetorische Passform zu bringen, eine nicht geringe propagandistisch-sprachliche Herausforderung. Dabei mußte v. a. um jeden Preis vermieden werden, störende Vergleiche anzustellen, etwa zum gewaltsamen Vorgehen al-Gaddafis oder Assads gegen regierungsfeindliche Demonstrationen, wo bekanntlich bereits weitaus geringere Dosen ausreichten, um nach der R4P-Logik unverzüglich die geballte Macht von internationaler Diplomatie, EU-Sanktionen und Einflußnahme manu militari in Bewegung zu setzten. Schließlich sollte niemand auf die Idee verfallen, zum Kampf gegen das „Regime“ etwa die Aufstellung einer „Free Egyptian Army“ (FEA) zu betreiben, die Einberufung einer „Konferenz der Freunde Ägyptens“ nach Genf oder gar die Verhängung einer Flugverbotszone durch den Welt-Sicherheitsrat zu fordern.