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Adressenänderung nicht mitgeteiltBürokratie führt in die Abschiebung

Einem Palästinenser droht die Abschiebung nach Griechenland. Klagen konnte er nicht mehr, weil der Bescheid an den alten Wohnort geschickt wurde.

Geschickt wurde der Bescheid an die alte Adresse: die Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Fallingbostel Foto: Philipp Schulze/dpa

Osnabrück taz | Internationaler Schutzstatus. Das klingt gut – auf den ersten Blick. Wer ihn als Flüchtling zuerkannt bekommt, scheint im sicheren Hafen. Aber das kann täuschen. Ein Palästinenser aus Gaza, seit Anfang 2022 in Deutschland und wohnhaft in der Region Hannover, spürt derzeit, wie wenig Schutz dieser Status bietet, wenn es hart auf hart kommt. Er soll nach Griechenland abgeschoben werden. Verwandte hat er dort nicht, auch keine Wohnung. Er ist mittellos. Die Folge wäre, mit großer Wahrscheinlichkeit, ein Leben auf der Straße.

Sein Asylverfahren wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geführt. Wie das geschieht, empört Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung des Flüchtlingsrats Niedersachsen in Hannover, zutiefst. „Daraus spricht eine Arroganz der Macht“, sagt er der taz. „Eine erschreckende Kälte.“

Ein Umzug, Mitte 2022, angeordnet durch die Landesaufnahmebehörde, ist dem Flüchtling zum Verhängnis geworden. Von der Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Fallingbostel sei er in eine Sammelunterkunft in Burgwedel gewechselt, in der Region Hannover, sagt Öztürk­yilmaz. Obwohl es davon gewusst habe, habe das Bamf den Asylbescheid, eine Ablehnung, an dessen alte Adresse geschickt. Als der Palästinenser von der Ablehnung erfuhr, in der Ausländerbehörde der Region Hannover, war es für eine Prüfung der Asylentscheidung auf dem Klageweg zu spät.

Traumatisierender Abschiebeversuch

Vor ein paar Wochen hat die Region Hannover die Abschiebung des Palästinensers versucht. Was dabei geschah, schildert Öztürkyilmaz so: „Er ist aus dem zweiten Stock gesprungen und hat sich verletzt. Bis heute ist er in Behandlung. Hinzu kommt ein psychisches Trauma.“

Jeden Tag könnte ein neuer Abschiebungsversuch folgen. „Wir haben gehofft, das über Kontakte zur Politik und Verwaltung aus der Welt zu schaffen“, sagt Öztürkyilmaz. „Aber das schlug fehl.“ Die letzte Chance wäre ein psychiatrisches Gutachten. Aber das ist langwierig und teuer.

Mehrere Probleme verketten sich hier. Rein rechtlich liegt es in der Verantwortung der Geflüchteten, dem Bamf jede Adressenänderung mitzuteilen. „Zu Beginn des Asylverfahrens bekommen sie einen dicken Stapel an Papieren, in dem auch auf die Pflicht hingewiesen wird, Umzüge zu melden“, sagt Öztürkyilmaz. „Aber der überfordert stark.“

Der Flüchtlingsrat regt eine Adress­ermittlungspflicht des Bamf an, zudem eine Verpflichtung der Landesaufnahme- beziehungsweise Ausländerbehörden, jede ihnen bekannte Adressänderung dem Bamf mitzuteilen. „So was kommt ja häufiger vor“, sagt Öztürkyilmaz. Der Flüchtlingsrat habe den Eindruck, die Behörde instrumentalisiere die Zustellungsvorschriften, „um Klagen gegen die Ablehnung von Asylanträgen zu verhindern“.

Und dann ist da noch ein Urteil des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg. Das hatte im Frühjahr 2021 befunden, in Deutschland gestellte Asylanträge von Personen, denen in Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt worden sei, dürften „nicht als unzulässig abgelehnt werden“. Es bestehe „generell die ernsthafte Gefahr“, dass sie im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland „ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht werden befriedigen können“. Das widerspreche der Charta der Grundrechte der EU und der Europäischen Menschenrechtskonvention. „Dieses Urteil wird von den Behörden ignoriert“, sagt Öztürkyilmaz.

Ablehnung im Einzelfall möglich

Die niedersächsische Landesregierung hält an der Abschiebung fest. Oliver Rickwärtz, Sprecher des Innenministeriums, sagt auf Anfrage der taz, die Region Hannover sei, als zuständige Ausländerbehörde, an die Entscheidung des Bamf gebunden, ob laut Aufenthaltsgesetz die Voraussetzungen für ein Verbot der Abschiebung gegeben seien.

Der ablehnende Bamf-Bescheid beziehe sich auf den Europäischen Gerichtshof: „Demnach ist eine Ablehnung des Asylantrags eines Antragstellers, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationaler Schutz gewährt wurde, im Einzelfall möglich.“ Dafür müsse festgestellt werden, dass er „vor Ort keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt sei“, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Nach Auffassung des Bamf drohe das im vorliegenden Fall nicht.

Ablehnungen von Asylanträgen würden an die Erstaufnahmeeinrichtung zugestellt. Komme der Flüchtling der Verpflichtung nicht nach, Adressenänderungen dem Bamf anzuzeigen, müsse er „Zustellungen an die vorherige, ggf. nicht mehr gültige Anschrift gegen sich gelten lassen“.

Region beharrt auf Abschiebung

Eine Verpflichtung der Landesaufnahmebehörden beziehungsweise Ausländerbehörden, jede ihnen bekannte Adressänderung an das Bamf weiterzugeben, laufe „den gesetzlichen Regelungen zuwider“. Aber: „In der Praxis“ würden Bescheide von Personen, die bereits auf die Kommunen verteilt seien, von der Aufnahmebehörde an die Kommunalverwaltungen weitergegeben, mit der Bitte um Zusendung an die Wohnanschrift. „Im vorliegenden Fall geschah dies offenkundig nicht“, sagt Öztürkyilmaz. „Wenn Behörden Adressen nicht weitergeben, hat das keine Konsequenzen. Wenn Betroffene das nicht tun, schon.“

Auch die Region Hannover beharrt auf Abschiebung. Sie handele auf Grundlage der Entscheidung des Bamf, sagt Christoph Borschel der taz, Sprecher der Region Hannover. Sie laute, „dass die Ausreisepflicht der betroffenen Person weiterhin besteht“.

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1 Kommentar

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  • Es ist hier glaube ich nicht ganz schwarz/weiß zu sehen.

    Die Weitergabe von Adressänderungen ist mit unserem derzeitigen Datenschutz nicht zu machen ... „den gesetzlichen Regelungen zuwider“.

    Die Abschiebung nach Griechenland ist erstmal legitim, da der Betroffene dort, und nicht in Deutschland, schon einen Schutzstatus hat. Dementsprechend finde ich den ersten Absatz prätentiös.

    Was sollte man also besser machen?



    Eine zentrale Datenbank von der Kreisebene bis zum Bundesministerium für sämtliche persönliche Daten und Sachverhalte von Schutzsuchenden könnte helfen. Vielleicht sogar europäisch standardisiert und verlinkt. Muss man nur wollen.

    Eine Zusammenfassung der Pflichten auf einem einzelnen Blatt Papier in Ergänzung zur Informationsmappe, um die Betroffenen nicht zu überfordern.