Abtreibungsgesetz und Selbstbestimmung: 150 Jahre Paragraf 218 sind genug
Ulrike Lembke hat sich die Geschichte des Abtreibungsverbots angesehen. Sie findet, dass sich mehr ändern muss.
Seit 150 Jahren werden Schwangerschaftsabbrüche durch die Paragrafen 218 und 219 des Strafgesetzbuchs kriminalisiert. Diese Strafnormen begründen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe und sind eine Gefahr für Gesundheit und Gleichberechtigung. Zum Jubiläum steht ihre Verfassungsmäßigkeit auf dem Prüfstand.
Im deutschen Rechtsdiskurs hat es hierzu niemals eine Kontroverse gegeben, sondern nur eine herrschende Meinung. Diese wurde vom Bundesverfassungsgericht 1975 und 1993 bestätigt, wobei es allen ungewollt Schwangeren eine „Austragungspflicht“ auferlegte. Übersehen wurde aber, dass zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Fötus nicht einfach die Gebärmutter einer anderen Person in Anspruch genommen werden kann. Die strafrechtlich erzwungene Schwangerschaft ist vielmehr ein unverhältnismäßiger Eingriff in körperliche Integrität, in Selbstbestimmung, Intimität und Familienplanung.
Unsere Rechtsansichten zu körperlicher Integrität und zu Gleichberechtigung haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Eine wichtige Rolle hierbei spielen auch reproduktive Menschenrechte. Die staatliche Verfügung über gebärfähige Körper ist verfassungsrechtlich so nicht mehr begründbar. Wie also weiter mit dem Paragrafen 218? Strafwürdig ist nur der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren. Im Übrigen gehört der Schwangerschaftsabbruch nicht ins Strafrecht, sondern ins Recht der Gesundheitsversorgung. Da ist viel zu regeln: ausreichendes Angebot, effektiver Zugang, medizinische Standards, Kostenübernahme, sachliche Informationen, Beratungsanspruch, Vor- und Nachsorge.
Doch es geht nicht nur um reproduktives Gesundheitsrecht – das zudem Hebammenversorgung, gewaltfreie Geburt, Verbot der Sterilisation von Frauen* mit Lernschwäche, kinderfreundliche Gesellschaft etc. umfassen würde –, sondern auch um die Bedingungen von Geschlechterdemokratie. „Austragungspflicht“ und Gleichberechtigung sind unvereinbar. Es ist Zeit für verfassungskonforme Alternativen zum Paragrafen 218.
Leser*innenkommentare
MahNaMahNa
"Strafwürdig ist nur der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren."
Bitte genau lesen!
Und im übrigen ist diese Entscheidung eine ureigenst weibliche und hat nur von der betroffenen Frau entschieden zu werden.
CR43
Dieser Kommentar hat eine falsche Ausgangsvoraussetzung:
"Die strafrechtlich erzwungene Schwangerschaft ist vielmehr ein unverhältnismäßiger Eingriff in körperliche Integrität, in Selbstbestimmung, Intimität und Familienplanung."
Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht als gerade verhältnismäßig bezeichnet.
Das darf die Autorin natürlich anders sehen. Selbst ernannte Lebensschützer dürfen das übrigens auch.
Um was geht es da eigentlich: Lebensrecht des Ungeborenen contra Selbstbestimmungsrecht der Frau (was den Schutz vor Okkupation der Gebärmutter umfasste). Lösung des Bundesverfassungsgerichts: keine Strafbarkeit, wenn eine Beratung erfolgt.
Das finde ich eigentlich sehr niedrigschwellig. Und auch einen guten Kompromiss.
Wenn man wie die Autorin wieder so ein Grundsatzding machen möchte, darf die Autorin sich gerne mit einem christlichen Lebensschützer zusammensetzen und das ausdiskutieren (Flatearther versus Unendlichkeitstheoretiker).
Im Übrigen: § 218 StGB bitte nie vollständig abschaffen. Er schützt nämlich auch die Schwangere vor ungewollten Abtreibungen durch andere.
Berliner_Kaepsele
@CR43 Dieser Konflikt zwischen der Selbstbestimmung der Frauen und dem Lebensrecht des Kindes ist unauflöslich.
Die Zwangsberatung ist weder niedrigschwellig noch ein guter Kompromiss, da sie auf der Würde der Frauen herumtrampelt. Inzwischen ist die Diskussion in ganz Europa schon weiter, die kirchlichen Hardliner werden irgendwann nichts mehr zu melden haben.
Man muss sich daher entscheiden; ich plädiere dafür, dass nur und ausschließlich die Frauen entscheiden dürfen, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht.
Schließlich ist es aus gutem Grund aus dem GG heraus verboten, dass es Zwangsblut- oder Organspenden gibt, obwohl damit auch Leben gerettet werden. Warum maßt man sich also an, Frauen wie Sklavinnen unter das ungeborene Leben zu stellen und ihre Körper zehn Monate lang zwangsweise zu Schwangerschaft und Geburt mit allen negativen Begleiterscheinungen zu zwingen?
Man braucht auch den § 218 StGB nicht für ungewollte Abtreibungen; das ist schon als Körperverletzung strafbar.
CR43
@Berliner_Kaepsele Sie scheinen mir zu den Hardlinern zu gehören.
Wie selber sagen, ist der Konflikt unauflöslich. Dann braucht es aber auch zwingend den Kompromiss.
Die Frau entscheidet übrigens schon heute allein, ob Sie das Kind haben will oder nicht. Es ist nur ein winziger Zwischenschritt mit der Beratung erforderlich.
Das übrigens, wo die beiden Partner zwei Schritte verpennt haben: 1. Verhütung, 2. Pille danach.
Und deswegen ist Ihre überdramatische Darstellung von Zwangsschwangerschaft und Sklaventum doch ein bisschen sehr bemüht und weit hergeholt.
Hier wird die Schwangere doch nur zu einem Beratungsgespräch gezwungen.
Berliner_Kaepsele
@CR43 Ja, richtig, in dem Fall bin ich ein Hardliner, für mich gibt es hier keinen Kompromiss.
Das Stichwort hier ist "Zwang". Der ist in einem Rechtsstaat immer abzulehnen, wenn er nicht zwingend erforderlich ist, das ist er hier nicht. Es geht seit jeher immer nur darum, Frauen zu bevormunden, sei es weil Soldaten gebraucht werden oder irgendwelche Pfaffen den Popanz des ungeborenen Lebens beschwören. Mit dem geborenen (weiblichen) Leben haben sie es nicht so, das kann ruhig draufgehen oder wird missbraucht (auch Jungs). Auch da kam die vorgebliche Zerknirschung erst, als die Opfer sich gemeldet haben.
Ihre abfällige Abwertung von Zwangsschwangerschaft und Sklaventum und Verharmlosung von "Zwangsberatung" lässt darauf schließen, dass Sie ein Mann sind. Ihnen tut schließlich eine Geburt nicht weh. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist die Zahlungsverpflichtung.