Abtreibungsgesetz in Texas: Ein Herz, das kein Herz ist
Das „Heartbeat“-Bill in Texas verbietet Abtreibungen ab dem ersten Herzschlag. Das soll ab der sechsten Woche sein, doch Embryos haben kein Herz.
D as Herz steht symbolisch für Persönlichkeit und Seele. Schnöd medizinisch betrachtet ist das natürlich Humbug. Aber weil das Herz eben zu spüren ist, wenn’s dramatisch wird, assoziieren wir es mit Gefühlen, Leidenschaften – mit unserem Wesen.
Seit einiger Zeit streiten sich der US-Bundesstaat Texas und die Biden-Regierung über ein restriktives Abtreibungsgesetz. Texas will verbieten, Schwangerschaften abzubrechen, sobald der Herzschlag des Fötus zu hören ist. So jedenfalls steht es im Gesetz – und wird so auch in der Berichterstattung meist übernommen.
Gemeint ist mit dem „Herzschlag des Fötus“ ein elektrisches Signal, welches von einem Zellcluster im Embryo etwa um die sechste Schwangerschaftswoche herum abgegeben wird. Dieses Signal wandeln dann Ultraschallgeräte in ein hörbares Pochen um. Heißt: 1. Es gibt noch kein Herz; 2. Es gibt noch keinen Fötus; 3. Das Pochen ist der Soundeffekt einer Maschine.
Wissenschaftler*innen in den USA haben wiederholt auf diese Fehldarstellung hingewiesen. Zu einem Herz formt sich das Zellcluster erst im Laufe des ersten Trimesters. Alles andere ist Projektion.
Das ist Céline Dion, nicht Wissenschaft
Faktisch sind Schwangerschaftsabbrüche in Texas jetzt ab der sechsten Woche verboten. Wenige erfahren rechtzeitig von einer Schwangerschaft, um sie bis dahin abzubrechen. Texas scheint weit weg, aber auch hierzulande gibt es kein Recht auf Abtreibung. Und das Reden vom „Herz“ kann auch schnell hier drüben …, nun ja, … Herzen erweichen.
Bei Abtreibungsdebatten geht es um die Frage, wann die Leibesfrucht aufhört, Bestandteil des Körpers der schwangeren Person zu sein und damit deren Recht am eigenen Körper zu unterliegen. Wann also Embryo oder Fötus eine eigenständige Einheit bildet, dass der Staat mit Gesetzen darauf zugreifen kann, auch gegen den Willen der schwangeren Person. Ein möglicher Ansatzpunkt ist die viability, die Lebensfähigkeit außerhalb des Uterus. Deren Wahrscheinlichkeit steigt um die 24. Woche stark an. Christliche Fundis dagegen werfen ihre Mythologie in die Waagschale und nehmen an, dass ab Empfängnis gottgewolltes Leben existiert.
Und Texas kommt eben mit dem Herz um die Ecke. Welches wie gesagt kein Herz ist. Und selbst wenn es eins wäre: Ein Herz macht keinen Menschen. Das ist nicht Wissenschaft, das ist Céline Dion. Erstaunlich, oder? Dass wir eine Sache technisch so präzise durchleuchten können und sie im selben Moment so archaisch mythologisieren.
Ich weiß, dass es für Schwangere individuell wichtig sein kann, in so einem Zellklumpen Menschliches zu sehen. Politisch aber ist entscheidender, dass hier die Gesundheit und die Rechte von ungewollt Schwangeren auf dem Spiel stehen. Darum ist Wortwahl keine Lappalie und sind Mythen unangebracht. Poesie hat in der Gesundheitspolitik nichts verloren.
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