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Abschlussgala der BerlinaleDezent und deutlich

René Hamann
Kommentar von René Hamann

Die Berlinale versteht sich seit jeher als politisch. Die Abschlussgala fand die richtigen Töne – in Sachen Politik und Kunst.

So sieht Verständigung aus: die Preisträger Basel Adra und Yuval Abraham Foto: reuters

D ass sich die Berlinale traditionell als das „politische“ der großen Filmfestivals versteht, ist fast eine Binsenweisheit. Gut für sie also, wenn es sowieso viel zu beleuchten und zu diskutieren gibt. In diesem Jahr konnte das Festival bei dieser Dichte an beklagenswerten Großereignissen in der Welt gewissermaßen aus dem Vollen schöpfen.

In der Tat hat das Festival die Zeichen der Zeit erkannt und genutzt. Nicht nur, weil es in seiner Abschlussgala noch einmal deutlich und doch dezent (geschrien wurde nicht) Stellung bezogen hat. Sondern auch, weil sie die in allen Aspekten repolitisierte Kunst im Wesentlichen selbst hat sprechen lassen.

Dass die scheidende Leiterin Mariette Rissenbeek die richtigsten, weil ausgewogensten Worte des Abends fand, sei herausgestellt. Und doch zeigte der Abend, wohin das Pendel der Empörung ausgeschlagen hat: Das Thema Ukraine ist da, schiebt sich aber trotz Jahrestag und heimischer Militarisierungswünsche weiter an den Rand der Wahrnehmung; der Klimawandel wandelt an ähnlich fern gerückter Stelle; die Schlagworte „Eurozentrismus“ und „Imperialismus“ dominieren außerhalb der „westlichen“ Hemisphäre den kulturpolitischen Diskurs; Postkolonialismus ist schon lange keine Angelegenheit mehr, die nur an US-amerikanischen Universitäten verhandelt wird; und: Die Reaktion der israelischen Regierung auf die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober steht in keinem Verhältnis mehr.

Nun wird kein zur Schau getragenes Palituch und kein angeklebtes Statement pro Waffenstillstand den verzwickten Konflikt in Nahost lösen. In der Hinsicht überschätzen sich die Vertreter der Kultur genauso wie lokal agierende Schreiaktivisten. Aber Filme wie „No Other Land“ stellen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Diskussion, und die Auszeichnung als bester Dokumentarfilm ist ein richtiges Zeichen.

Darüber hinaus sollte sich die gesamte politische Welt an einen Leitsatz aus der Psychoanalyse erinnern: Rache ist keine Lösung, sondern Fortsetzung des Unrechts.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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8 Kommentare

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  • Soll dieser Kommentar jetzt als eine Verharmlosung fungieren? Was dort abgegangen ist, und was nicht, lässt sich auf den Videoportalen anschauen.

  • Ist ja doll, dass inzwischen positiv hervorgehoben wird, dass "nicht geschrien" wurde.



    Aber ausgewogen? Man kann natürlich Kritik üben an der israelischen Reaktion auf das Massaker vom 7. Oktober - die Behauptung, dass es sich dabei um einen Genozid handelt ist allerdings Nonsens, auch wenn sie nicht geschrien wird...



    Was den guten Ratschlag am Ende betrifft - ob er nun ein Leitsatz der Psychoanalyse handelt oder doch um einen Kalenderspruch - da wäre vielleicht anzumerken, wo die Lösung liegen könnte: Warum schlägt eigentlich keiner (leise und gesittet, nicht schreiend!) der Hamas vor, den Raketenbeschuss Israels zu stoppen, die Geiseln freizulassen und die Schlächter des 7. Oktober auszuliefern? Nicht, dass das etwas ändern würde, das jüngste Hamas Interview in der NYT lässt daran leider keinen Zweifel. Aber es wäre doch mal eine Abwechselung im pompösen Phrasendreschen.

  • Diese zwei ,auf dem Foto ,sind nicht an Frieden interessiert.



    Ihnen fehlt jegliches Gefühl für das Leid der Anderen.



    Ansonsten hätten sie die Taten der Hamas verurteilt und auch ihr Mitgefühl für die getöteten Geiseln und die Israelis bekundet.

    So ist das nur völlig verlogen!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Deutlich schon - aber dezent?



    ==



    ""Nach antiisraelischen Äußerungen von Filmschaffenden bei der Preisverleihung der Berlinale hat Israels Botschafter der "deutschen Kulturszene" heftige Vorwürfe gemacht. "Antisemitische und israelfeindliche Äußerungen" seien mit tosendem Applaus bedacht worden, schrieb Ron Prosor bei X. "Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde. Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert."



    ===



    ""Rache ist keine Lösung, sondern Fortsetzung des Unrechts.""



    ===



    1..Der Vernichtswille der Hamas gegenüber Israel ist ungebrochen - trotz Krieg seit dem 7.Oktober.

    2.. Israel hat Gaza 2005 verlassen und war eine selbstständige Einheit - die im Schnitt alle 2 Jahre Anschläge, Raketenüberfälle und kriegerische Aktionen größeren Ausmasses gegen Israel ausgeführt hat.

    Die andauernden kriegerischen Attacken aus Gaza nach denen man die Uhr stellen konnte seit 2005 waren nie ein Thema in der Debatte - warum eigentlich nicht?

    ==

    Rache ist keine Lösung - natürlich nicht.

  • Kommentar entfernt. Btte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • "...und doch dezent (geschrien wurde nicht)..."



    Na, da können wir doch dankbar sein! Ist aber natürlich auch ne Möglichkeit, wir senken unsere Erwartungshaltung an ein zivilisiertes, demoktatisches Miteinander einfach auf das aktuell vorherrschende Niveau und können dann, offenbar nur vermeintliche, Selbstverständlichkeiten, wie "nicht schreien" als konstruktiv preisen. Alles nur eine Frage des Anspruchs. Erwarte nichts, dann wirst du auch nicht enttäuscht, oder so ähnlich. Ick freu mir.

  • Darüber gibt es deutlich abweichende Ansichten,



    so ist der Begriff Genozid, für das Vorgehen der israelischen Armee falsch. Die Tatsache, dass sich dahingehend geäußert wurde, scheinen Viele BerlinerInnen aus Politik und Gesellschaft eher so wie ich zu bewerten.

  • Ja, gut formuliert und auf den Punkt gebracht!