Abschlusserklärung der G20 in Delhi: Der Elefant im Raum
Die G20 können sich bei ihrem Gipfel doch auf eine gemeinsame Erklärung einigen. Aber das hat seinen Preis.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird darin jedoch nicht mehr explizit verurteilt. Stattdessen heißt es schwammiger, alle Staaten sollten jede Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen, um sich fremde Territorien einzuverleiben: „Wir rufen alle Staaten dazu auf, die Grundsätze internationalen Rechts inklusive der territorialen Integrität und Souveränität aufrecht zu halten.“
Auch Atomwaffendrohungen werden explizit verurteilt, jedoch, ohne dass Russland, als Urheber solcher Drohungen, genannt wird. „Die Verhandlungen verliefen sehr rücksichtslos und am Ende wurde das Thema dank der Führung von Premierminister Modi geklärt“, so der indische Unterhändler Amitabh Kant am Samstag in Delhi.
Mit den aufgeweichten Formulierungen kam man der russischen, aber auch der chinesischen Regierung entgegen. Beide hatten gedroht, gar keine Erklärung zu unterzeichnen. Das hätte nicht nur das Ansehen der G20 beschädigt, sondern wäre auch ein Affront gegenüber dem Gastgeber Indien gewesen. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar lobte die regionale Konkurrenz demonstrativ: „China wirkt unterstützend auf eine Einigung hin.“
Dabei war Chinas Präsident Xi Jinping erstmalig nicht zum Gipfel erschienen, sondern hatte nur den Ministerpräsidenten geschickt, was Indien als Affront begriff.
Zwar sind die G20 kein Gremium, das Entscheidungen trifft. Wichtig ist es dennoch, ist es doch der einzige Club, in dem 19 Industrie- und Schwellenländer sowie die EU an einem Tisch sitzen, auf Augenhöhe miteinander reden und Selbstverpflichtungen eingehen. Eine gemeinsame Erklärung spricht für das Gewicht dieser Gruppe, die zwei Drittel der Weltbevölkerung und über 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren. Da die Länder sehr unterschiedliche Interessen haben, ist die Abschlusserklärung so etwas wie das Gesellenstück einer jeden Präsidentschaft. Dass es sie geben würde, war zu Beginn des Gipfels am Samstagmorgen noch nicht ausgemacht.
Die Latte lag hoch. Im vergangenen Jahr gelang es auf Bali unter Vorsitz von Indonesien eine gemeinsame Abschlusserklärung zu verabschieden, in der die „meisten Mitgliedsländer den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste verurteilen.“ Also alle, bis auf Russland und China.
Auch in diesem Jahr war das beherrschende Thema der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Industrieländer inklusive Deutschland wollten gern die „Sprache von Bali“ auch in Neu-Delhi wieder anklingen lassen, viele Schwellen- und Entwicklungsländer und auch Indien wollten lieber nach vorn schauen und die Suche nach einer Friedenslösung in den Mittelpunkt stellen.
Im Kanzleramt versuchte man im Vorfeld die Erwartungen zu herunterzudimmen. Auf ein gemeinsames Dokument in der Bali-Sprache zu drängen, sowie auf die Wiederholung eines Glaubensbekenntnisses, wäre unklug, hieß es. Es könne auch ein gutes Zeichen sein, wenn sich im Abschlussdokument Formulierungen wie die „Achtung der territorialen Integrität“ wiederfänden. Genau das ist nun gelungen.
Man war also bereit, der indischen Seite entgegenzukommen, die den Gipfel nun als Erfolg verbuchen wird. Genau wie Deutschland. Scholz bezeichnet den Gipfel als sehr erfolgreich, mit Ergebnissen, die vorher nicht für möglich gehalten worden waren.
Ein wichtiger Schritt ist auf jeden Fall die Aufnahme der Afrikanischen Union, die 55 afrikanische Staaten vertritt. Die Repräsentanz des Kontinents in dem Gremium hat sich auf einen Schlag vervielfacht. Das sei ein großer Fortschritt, für den sich viele Länder, darunter auch Deutschland eingesetzt hätten, so Scholz.
Als Erfolg kann wohl auch die explizite Erwähnung der Pariser Klimaziele in der Delhier Erklärung gelten. Die G20 bekräftigen demnach ihre Entschlossenheit, weitere Anstrengungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu unternehmen. Zuvor hatte es Befürchtungen gegeben, dass das Thema untergehen könnte. Indien, mittlerweile zweitgrößter Emittent von CO2, sieht den eigenen Kohleausstieg zwar langfristig als wichtig, kurzfristig aber als nicht allzu drängend an. Wie andere Schwellenländer drängt es darauf, dass der Westen zunächst mal seine Hausaufgaben macht und jährlich die versprochen 100 Milliarden Euro für Klimaschutz in Entwicklungsländern zur Verfügung stellt.
In der gemeinsamen Abschlusserklärung wurde erneut an die Verpflichtung erinnert und ihre Einhaltung bekräftigt. Seit 2020 ist dieses Versprechen seitens der Industrieländer jedoch noch nie eingehalten worden. Da die G20 auch als Vorbereitung für die Klimakonferenz Ende des Jahres in Dubai dient, ist das jedoch schon mal eine Ansage. Nun muss sie auch eingelöst werden.
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