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Abschluss der „Gereon-Rath-Krimis“Es gibt kein Happy End im Nazi-Deutschland

Mit dem zehnten Band gehen die „Gereon-Rath-Krimis“ von Volker Kutscher zu Ende. Er ist ein Abgesang auf Polizeiarbeit im Jahr der Pogromnacht.

Zwangsausgewiesene polnische Juden mussten an der Bahnstation Neu-Bentschen die Züge verlassen und wurden ins Niemandsland Richtung Polen vertrieben, 28.10.1938 Foto: Ullstein

Hätten Sie es gewusst? Im Oktober 1938, keine zwei Wochen vor der Pogromnacht am 9. November, ließ das NS-Regime rund 17.000 Jü­d:in­nen verhaften und an die polnische Grenze bringen. Sie hatten seit vielen Jahren im Deutschen Reich gelebt, teils sogar von Geburt an. Doch sie hatten die polnische Staatsbürgerschaft – noch zumindest.

Denn die polnische Regierung hatte gerade beschlossen, Pol:innen, die länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland gelebt hatten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das NS-Regime deportierte daraufhin die „Ostjuden“ am 28. und 29. Oktober 1938 an die Grenze – wo Tausende dann teils monatelang festsaßen, weil Polen sie nicht reinließ.

Die Geschichte dieser „Polenaktion“, der ersten Massendeportation von Jü­d:in­nen aus dem Deutschen Reich erfährt man en passant, wenn man den schlicht „Rath“ betitelten, gerade erschienenen letzten Band der Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher liest. Es ist nur eine der vielen Nebengeschichten des zehnten und letzten Bandes dieser Krimireihe. Aber sie zeigt, was sie so lesenswert macht.

Der Krimi

Volker Kutscher: „Rath“. 10. Band der „Gereon-Rath-Reihe“. Piper-Verlag, München 2024. 624 Seiten, 26 Euro

Zwei Jugendliche, denen es im Nazi-Deutschland zu gefährlich geworden ist, wollen sich nach Polen durchschlagen. Mitten im Grenzwald stoßen sie auf eine gespenstische Szenerie. Uniformierte „trieben mindestens tausend Menschen zusammen, als handele um eine riesige Schafherde“, erzählt Kutscher. Manche hatten nur einen Bademantel getragen, als habe man sie mitten in der Nacht geweckt.

Keen Mensch will sie haben

„D-das … das sind meine Leute“, lässt Kutscher schließlich den jungen Juden Theo sagen. „Die stehen da in Nachthemd zwischen zwei Ländern, und keen Mensch will sie haben“.

2007 hatte Kutscher mit „Der nasse Fisch“ die Krimireihe gestartet – und damit ein einzigartiges Projekt: die Erzählung des Übergangs von der Weimarer Republik ins NS-Deutschland mit dem Mittel der Populärliteratur.

Ursprünglich war die Reihe auf acht Bände angelegt. Die ersten vier spielten in den letzten vier Jahren der untergehenden Weimarer Republik, die nächsten vier sollten den Anfang der Nazi-Zeit begleiten – bis zu den Olympischen Spielen 1936. Später entschied sich Kutscher, noch zwei Bände draufzulegen und die Reihe im Jahr 1938 zu beenden, mit der Pogromnacht im November.

Kutscher hat seinen Kommissar Gereon Rath im Jahr 1929 von Köln in die Reichshauptstadt geschickt, wo er bald bei der Mordkommission am Alexanderplatz ermittelt. Er bekommt es mit Ringvereinen, einem jüdischen Gauner aus New York, einem Mord in der Filmbranche und nach und nach offener auftretenden Nazis zu tun. Ein ganzes Kaleidoskop von Figuren schleppt Kutscher teils über mehrere Bände mit sich. Nicht immer ist es für die Le­se­r:in­nen leicht, dabei den Überblick zu bewahren. Und auf keinen Fall sollte man die Lektüren mit den letzten Bänden beginnen, ohne die ersten zu kennen.

Ein Bild des Lebens in dieser Zeit

Aber eins ist Kutscher immer wieder gelungen: Er zeichnet ein vielleicht in den Augen von His­to­ri­ke­r:in­nen nicht hundertprozentig korrektes, aber für die Le­se­r:in­nen nachvollziehbares Bild des Lebens in dieser Zeit.

Mal erzählte er von Flugreisen vom Tempelhofer Feld, noch bevor die Nazis dort ihr gigantisches Flughafengebäude hinklotzten. Mal nahm er die Le­se­r:in­nen mit in die Extravaganz der schwindenden Weimarer Republik. Immer wieder band er historische Ereignisse in die Handlung ein, vom Dreh erster Tonfilme in Berlin bis zur Explosion des Zeppelins Hindenburg in New York. Und fortlaufend schilderte er die immense Bedeutung der Berliner Presselandschaft, deren gedruckte Geschichten auch immer wieder ergiebige Quelle waren für den Krimiautor Kutscher – und ihre Gleichschaltung ab 1933. Und er erzählt, wie nach und nach immer mehr Menschen, nicht nur, aber gerade im Polizeiapparat sich dem „neuen Denken“ anschließen. Es trotz anfänglicher Bedenken als normal akzeptieren. Letzteres wird zum zentralen Thema des letzten Bandes.

Die große Liebe Charly

Die eigentliche Krimihandlung ist wie bei allen guten Gesellschaftskrimis kaum mehr als ein Aufhänger. Es geht um den Mord an zwei Hitlerjungen, um Missbrauch politischer wie sexueller Art. Vor allem aber um die Arbeit bei der von Nazis nicht mehr nur durchsetzen, sondern dominierten Polizei. Und was das für die letzten widerständigen Er­mitt­le­r:in­nen bedeutet, wenn am 9. November die Scheiben klirren.

Mit diesem 10. Band geht nicht nur eine der interessantesten Krimiserien zu Ende, sondern auch die Geschichte zwischen Gereon Rath, der längst im Untergrund lebt, und seiner großen Liebe Charly, die immer noch auf der Seite der Guten kämpft. Pures Lesevergnügen ist das nicht. Dafür sind die Geschichten, ist die Zeit zu hart. Auch den großen Showdown, an dessen Ende dann doch alles gut wird, darf niemand erwarten. Es wäre auch unangemessen. Denn es gab kein Happy End in Nazi-Deutschland.

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1 Kommentar

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  • Ich glaube eine Menge über die Zeit, in der die "Romane" spielen zu wissen. Was mich jeden einzelnen Band - auch den letzten - faszinierte ist etwas, was so schwer ist. Es wird nichts vorweg genommen oder geraunt. Die Geschchten und die Figuren handeln in Ihrer Zeit und nicht mit dem Wissen, was noch kommen wird. Alles bekannt? Nein, so noch nicht.