Abschiedskonzert von Ennio Morricone: Wenn die Flöten sich duellieren
Er bleibt der große Drama-King: Ennio Morricone, der Erneuerer der Filmmusik, spielt sein letztes Deutschlandkonzert in Berlin.
Es quäkt die Oboe in tiefen Tönen, dann brummt die Tuba unterschwellig, dann duellieren sich die Querflöten. Das Xylofon rollt heran, nervöse Geigen intervenieren, der mächtige Chor im Hintergrund schaltet sich mit einem bellenden „Ah! Ah!“ ein, Klack-klack machen die Klangstäbe. Pauken und Trompeten blasen zum Angriff.
Ennio Morricone dirigiert zu Beginn des zweiten Programmteils „L'Ultima Diligenza di Red Rock“, das Thema zu Quentin Tarantinos Film „The Hateful Eight“ (2015) – es ist der Teil des Abends, in dem die Pionierleistung, für die der Name Ennio Morricone in der Filmmusik steht, am deutlichsten wird.
Denn dieses Stück ist die Essenz seines Schaffens in 7 Minuten: Großes Drama klingt genauso an wie minimalistische Spielereien. Mühelos zitiert Maestro Morricone die (Film-)Musikgeschichte, betreibt Storytelling mit den Mitteln des Orchesters.
Dabei ist dieser Konzertabend am Montag in der Mercedes-Benz-Arena ein historischer, denn Ennio Morricone, der im November seinen 90. Geburtstag feierte, verabschiedet sich mit ihm von deutschen Bühnen.
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Der Mann, dessen Musiken für die Western Sergio Leones – die Mundharmonika in „Once Upon a Time in the West“, das Kojotegeheul in „The Good, The Bad And The Ugly“ – so legendär sind, dass man sie eigentlich sofort mit den verschmitzten und verschmierten Gesichtern von Charles Bronson, Lee Van Cleef oder Henry Fonda assoziiert, sagt Arrivederci – und er tut dies mit aller gebotenen Grandezza.
„The Ecstasy of Gold“
Mitgebracht hat er das Tschechische Nationale Symphonieorchester, mit dem er ebenjenen „Hateful Eight“-Soundtrack eingespielt hat, einen 75-köpfigen Chor sowie die Solosängerinnen Susanna Rigacci und Dulce Pontes. 11.000 Zuschauer_innen – ausverkauft – sind gekommen, um ihn ein letztes Mal zu sehen; zum Teil, das verraten die WOB-, D-, M- und MD-Nummernschilder auf dem Parkplatz, haben sie dafür längere Wege auf sich genommen.
Morricone, der ja fernab des Dirigierens nie ein Mann großer Gesten war, sehen sie die meiste Zeit konzentriert vor seinen Notenblättern am Dirigentenpult stehen; nach den Programmteilen dreht er sich kurz um, verbeugt sich, legt dabei manchmal die Hand auf die Brust.
Der Abend ist in zwei Teile gegliedert, wobei der zweite ganz klar der Stärkere ist. In der ersten Hälfte dirigiert Morricone unter anderem Stücke aus „The Untouchables“ (1987) und „1900“ (1976) sowie das Weltkulturerbe-Stück „The Ecstasy of Gold“ aus „The Good, the Bad and The Ugly“ (1966) mit einer überzeugenden Susanna Rigacci am Gesang, deren pinkfarbenes Kleid vor den dunkel gekleideten Orchestranten und Sänger_innen besonders hervorsticht.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist es Klassik-Abendunterhaltung auf sehr hohem Niveau , aber bis auf das verspielt-verfrickelte Kojote-Thema auch ohne die ganz großen Höhepunkte. Eine Hürde ist dabei auch die akustisch und atmosphärisch nicht für ein solches Konzert gemachte Halle – die Philharmonie wäre der würdigere Ort für den Abschied gewesen. Positiv tritt im ersten Teil der stets gut gelaunt wippende Schlagzeuger mit dem Schnäuzer in Erscheinung, der mit seinen groovenden Rock-Drums zuweilen eine andere Klangfarbe reinbringt.
Starke zweite Halbzeit
Nach einer 15-minütigen Pause zeigt Teil zwei deutlicher, welche Ausnahmeerscheinung Morricone war und ist. Dass man den zeit seines Lebens in Rom ansässigen Komponisten in aller Welt vor allem mit Italowestern assoziiert, ist – Morricone-Fans wissen das – natürlich ein Irrtum.
Dies unterstreicht etwa das Titelstück zum Film „Investigation of a Citizen Above Suspicion“ (1970), der in einer Reihe von „Gialli“, italienischen Krimis, steht, für die Morricone einst die Musik schrieb. Hier klingt mit den gezupften Geigen, dem Klackern und Ploppen, den Call-and-Response-artigen Elementen stärker der Innovator Morricone durch. Schon von Ende der 1950er Jahre an begriff er die Techniken aus der Neuen Musik und der Avantgarde als Chance, Soundtracks zu kreieren, die lebendiger sind und stärker mit dem Bewegtbild korrespondieren.
Weitere Höhepunkte sind „Aboliçâo“ (aus „Burn!“, 1969), bei dem vor allem die Interaktion zwischen der portugiesischen Fado-Sängerin Dulce Pontes und dem Chor überzeugt, sowie die erste Zugabe „Nuovo Cinema Paradiso“ (1988). Auch der Oboen-Ohrwurm aus „The Mission“ (1986) fehlt nicht, da bringt Morricone noch mal alles Pathos auf die Bühne, zu dem er fähig ist. Als zweite Zugabe – das ist das Einzige, was bei einem Werk von über 500 Soundtracks und zig anderen Werken vielleicht nicht nötig scheint – gibt es „Aboliçâo“ und „The Ecstasy of Gold“ als Wiederholung.
Viertel vor elf schlägt Morricone dann das Notenheft endgültig zu, verbeugt sich ein weiteres Mal und schreitet nach einem kurzen Augenblick des Innehaltens davon. In diesem Sinne: Grazie, signore!
Leser*innenkommentare
Lowandorder
& Däh! - Zisch & Zisch - Mailtütenfrisch -;))
"Glück auf!
Wär gern da gewesen.
Drei Charaktere, drei musikalische Themen von grandioser Art:
CC als Jill McBain mit der jubelnen Melodie voll Optimismus und ungebrochener Lebensfreude;
Jason Robards`Cheyennes-Auftritt begleitet vom lakonischen Banjo
und Bronson die Mundharmonika - schlicht unbeschreiblich. Schlicht und unbeschreiblich.
"Irgendeiner waret immer..."
Wahre warme Worte. Consonanza - halt - hm*?*
.....anschließe mich.
84935 (Profil gelöscht)
Gast
Voll in die Genderfalle reingetappt: statt über die Farbe des Kleids der Solistin hätte ich gerne mehr über ihre Stimme erfahren...
rughetta
wir waren zunaechst mal sehr erfreut, das der meister gesundheitlich wieder auf der hoehe war. ansonsten war das gestern ein wunderbarer abend.
Lowandorder
;) anschließe mich.
“In diesem Sinne: Grazie, signore!“
Vor allem aber auch für -
“Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza“
de.wikipedia.org/w...e_Nuova_Consonanza
“Die Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza war das erste, längere Zeit bestehende Improvisationsensemble im Bereich der Neuen Musik.
Das Ensemble wurde 1964 von in Italien lebenden zeitgenössischen Komponisten auf Anregung von Franco Evangelisti gegründet und bestand bis 1975. Den Namen übernahmen sie von der gleichnamigen Konzertgesellschaft, die seit 1961 bestand, da die Gruppe im Rahmen von deren drittem Festival 1965 in Rom ihr Debütkonzert gab.
Die Mitglieder dieser Gruppe waren Mario Bertoncini (Schlagzeug und Piano), Ennio Morricone (Trompete), Walter Branchi (Kontrabass), Franco Evangelisti (Piano), John Heineman (Posaune und Cello), Roland Kayn (Vibraphon, Marimbaphon, Hammondorgel) und Egisto Macchi (Schlagzeug und Celesta). Die Musiker waren allesamt Komponisten, die durch ihr Zusammenspiel ihren musikalischen Horizont erweitern wollten und bewusst die Doppelfunktion als Komponist und Interpreten wahrnahmen. Die Ensemblemitglieder hingen der Utopie einer spontanen Komposition während eines experimentellen Musizierens nach. Ohne Hierarchien und formale Grenzen entstanden einige der wildesten und lyrischsten Aufnahmen der Nachkriegsavantgarde.
Anders als AMM oder auch New Phonic Art verstand sich die römische Improvisationsgruppe nicht als Gegenströmung zu den ästhetischen Diskussionen der Zeit. Ihren Mitgliedern ging es um die konsequente Weiterentwicklung des musikalischen Denkens und um die Formulierung neuer Klangwelten und Kommunikationsformen. Das Ziel war es nicht, freie Formen der Improvisation zu entwickeln, sondern abgesprochene Konzeptionen miteinander zur Durchführung zu bringen. Die Substanz der erimprovisierten Werke hängt hochgradig von den verwendeten Klängen und ihren Produktionsbedingungen ab.…
ff
Lowandorder
@Lowandorder ff
„Den Improvisationen gingen in der Regel Proben voraus, die gleichsam als Training für die Aufführung verstanden wurden und in denen sich mit dem jeweiligen Konzept des Werks vertraut gemacht wurde.
Insbesondere Franco Evangelisti hat die Grundlinien dieser Klangaktionen auch theoretisch fixiert; er sah das Ensemble als Ausweg aus dem etablierten Musikbetrieb mit Auftragswerken, abgenutzten Kommunikationsformen und Arbeitsteilungen. Zentrale Vorschrift war das Prinzip der Ökonomie der kompositorisch-improvisierenden Arbeit. Fundament ist jedoch das Zuhören und Hören-Lernen. Das Wesen der Improvisation liegt nach Evangelisti nämlich in der "Fähigkeit des Anhörens der eigenen Fehler und der Fehler der anderen und in der unmittelbaren Reaktion, sich entsprechend zu korrigieren, also in der Verteilung der individuellen Energie im Dienste der gemeinsamen Idee." Im Repertoire von Nuova Consonanza überwiegen Stücke mit einer damals unkonventionellen Behandlung der verwendeten Instrumente (z. B. Hauchen und Sprechen in Blasinstrumente, Flügel als Resonanzkörper für andere Instrumente usw.).“
& für so vieles - was darauf dadurch -
Alles entstand. Ein musikalischer Kosmos sui generis - eigener Art.
Nochmals - Mille grazie!