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Abschiedskonzert von Dead and CompanyEndstation Sehnsucht?

Nun beschließen Dead and Company, Erben der US-Acidrocker Grateful Dead, ihre finale Tournee. Ist das auch Schlusspunkt einer einzigartigen Fankultur?

Deadheads bei einem Konzert am 28. September 1975 im Golden Gate Park von San Francisco Foto: Terry Schmitt/SF Chronicle/Hearst/Getty Images

Sie wurden zu Legenden, doch überdauern diese die Zeit? Den Stoff dafür lieferten die aus dem Kern der Hippieszene von San Francisco 1965 hervorgegangenen Grateful Dead füllhorngleich. Bereits 1970 vermochten sie zu singen „Lately it occurs to me, what a long strange trip it’s been“, und dieser seltsame Trip meinte keinesfalls nur LSD-Experimente.

Früh schon gestalteten sie selbstverwaltete Strukturen, forschten an Instrumenten und Beschallungssystemen, planten mit Soziologen und Ökonomen alternative kommunale Geschäftsmodelle. Und sie brüskierten die Männerwelt des Rockbusiness mit Frauen in der Position leitender Licht- und Tontechnik und veröffentlichten immens beeindruckende Alben zwischen Rock, Folk, Avantgarde und Disco.

Doch im Zentrum der Legende um Grateful Dead standen bald ihre ausufernden Konzerte. Fans – genannt Dead­heads – reisten ihnen erst durch die USA, dann durch Europa und Ägypten hinterher. Dabei machten sie – mit ausdrücklicher Erlaubnis der Künstler – Livebootleg-Aufnahmen von Konzerten, lebten vom Verkauf von selbstgemachtem Merchandising und Nahrungsmitteln. Ben Cohen und Jerry Greenfield gründeten inmitten dieser Szene die Eiscrememarke „Ben & Jerry’s“.

Erkennungszeichen Batik-Shirts und VW-Camper Vans

Infolge eines überraschenden TopTen-Hits barsten ab Sommer 1987 die Stadien. Zusehends verweigerten sich Städte der Fanwelle aus Batik-T-Shirts und VW-Camping-Bussen. Einen weinenden Bus schaltete VW dann als Anzeige, als Jerry Garcia, der charismatische Sänger, Gitarrist und Komponist vieler Songs der Grateful Dead, 1995 verstarb.

Konzertstream und Buch

Das Konzert: Ein kostenpflichtiger Livestream des Konzerts ist bei nugs.net zu erwerben (circa 34 US-Dollar). Wegen Zeitverschiebung beginnt die Übertragung in Deutschland am 17. Juli um 6 Uhr morgens.

Das Buch: Andrei S. Markovits: „Der Pass mein Zuhause: Aufgefangen in Wurzellosigkeit. Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne“. Aus dem Englischen von Robert Zwarg. Neofelis Verlag, Berlin 2023, 326 Seiten, 18 Euro

Die Hinterbliebenen legten den Bandnamen ad acta, tourten in verschiedenen Formationen aber weiter. Die Haltbarste nannte sich Dead and Company und sie beendet nun am 16. Juli 2023 im Oracle Park von San Francisco ihr Touren. Das war’s, nun wären da nur noch die Rolling Stones, die regelmäßiges Touren längst eingestellt haben und eh nie eine entsprechende Fan-Kultur generierten.

Bemüht man den Topos Rock-Dinosaurier, als deren Archetyp die Stones gelten, waren die Dead wohl eher der Archaeopteryx, vermochten sie es doch, sich in langen Improvisationen auf Konzerten mit spontaner Titelwahl in die Lüfte zu erheben. Irgendwann waren ihre Fans, die Deadheads, überall: Anwälte, Wissenschaftler, Baseballprofis, sogar Gouverneure.

Dead-Konzertfilme als Kinoevents

In Europa ein eher stilles Phänomen, derweil auch deutsche Großstädte einige der 575 Spielorte beherbergten, in denen am 22. Juni im Namen des „Grate­ful Dead Meet-Up at the Movies“ in weltweit 17 Ländern Fans den Video-Mitschnitt eines Konzerts aus dem Jahr 1991 sahen. Auch das ein seit 2011 regelmäßiges Event.

Wer ahnt schon, dass in den USA „Grateful Dead Studies“ längst eine arrivierte Sparte der Soziologie bezeichnet? Andrei Markovits, ein taz-Lesern als profunder Kenner Deutschlands, des US-europäischen Verhältnisses und nicht zuletzt des Fußballs vertrauter ­Soziologe, Politikwissenschaftler, Komparatist und Germanist an der Uni­versity of Michigan in Ann Arbor, saß beim „Meet-Up at the Movies“ auch im Kino.

In seinem Buch „Der Pass mein Zuhause. Aufgefangen in Wurzellosigkeit“ widmet er den Dead ein Kapitel, aus wissenschaftlicher wie aus Fan-Perspektive. Nicht zuletzt mit Blick auf die umherziehende Gemeinschaft betrachtet er das Phänomen:

Dauerhaft on the Road

„Ein Teil der Dead-Community reist dauernd durch das Land, auch deswegen kommen sie in meinem Buch vor. Auf dem Buchumschlag sind verschiedene Symbole zu sehen, anders als in der Originalausgabe, fehlt beim deutschen Cover das Totenkopf-Symbol von Grateful Dead. Die Leute würden es sehen und denken, was soll das denn, der Totenschädel und der Blitz?“

Markovits selbst sah um die 200 Dead-Konzerte. Er beobachtete, wie auch nach Jerry Garcias Tod 1995 der Nachfolgeband Dead and Company die Fans hinterher reisten. Obwohl es Geraune um den neuen Leadgitarrist und Sänger John Mayer gab. „Ich schätze John Mayer“, meint Markovits. „Wie überall, gibt es auch unter Fans Purismus und Orthodoxie.

Er ist ein großartiger Musiker, ganz anders als Jerry Garcia. Für einige Deadheads ist er zu kommerziell, was auch immer das heißen mag. Er war früher Country-Pop-Star, hatte eine Affäre mit Taylor Swift und das halten ihm manche Deadheads vor, dass er deshalb unseriös sei.“

Jerry Garcia, mit Kavone

Dabei ist Markovits selbst vom Wirken von Jerry Garcia fasziniert. Um sein Wirken zu charakterisieren, greift er in seinem Buch auf den jiddischen Begriff „Kavone“ zurück. „Das ist eine komplizierte Sache, dazu zählt einmal persönliches Charisma. Da ist diese Künstlerperson Garcia. Mit Wuschelhaaren und Bart erscheint er wie ein mexikanisch-kalifornischer Rabbiner. Auf jiddisch bedeutet Kavone so etwas wie ‚Bestimmung‘.

Darin ist auch ein verehrendes Element, das ist für mich mit dem Tod Garcias verloren gegangen, aber kein Grund, John Mayer herunterzumachen. Vielleicht ist es auch, weil ich irgendwie von 1969 bis 1995 mit Jerry unterwegs war, obwohl ich ihm nie näher als 50 Meter kam. Ich wollte ihn immer mal zu Talks an die Universität einladen, aber dazu kam es nie.“

Tatsächlich war Garcia, der auf der Bühne kaum sprach, ein eloquenter und reflektierter Inter­view­partner. In seinen späten Jahren beschrieb er die Fankultur der Dead als eine der letzten Möglichkeiten in der US-Gesellschaft, um „abzuhauen und sich dem Zirkus anzuschließen“. Diese Möglichkeit endet nun mit dem letzten Konzert der in diesem Jahr auf zwei Urmitglieder geschrumpften Dead and Company. Wird so auch das Ende der Deadhead-Fankultur besiegelt?

Im US-amerikanischen Winter in Mexiko

Andrei Markovits bleibt zuversichtlich, wenn er meint: „Für das Hinterherreisen gibt es Alternativen. Heute lebt vieles in den sozialen Medien und daraus entstehen neue Dinge, solche wie die zuvor erwähnte ‚Movie Night‘. Ich kann Dead and Company auf ihrer letzten Tour leider nicht sehen, es geht sich diesmal nicht aus. Als sie die Konzertreise ankündigten, haben sie aber auch gesagt, sie werden noch punktuell Konzerte geben. Im Winter spielen sie öfters in Mexiko, an zwei oder drei Tagen, das werden sie hoffentlich weiterhin tun.“

Längst verzweigte sich das Erbe, jedes Dead-Urmitglied hat nun seine eigene Band. Zudem arbeitet Rhythmusgitarrist Bob Weir mit dem Musiktheoretiker der Universität Stanford, Giancarlo Aquilanti, daran, ein klassisches Orchester für das Improvisieren mit Dead-Songarrangements zu schulen.

„Es wird nun Hochkultur“, merkt Andrei Markovits an. „Sie sind ja auch in der Songwriters Hall of Fame. Von den Experimenten mit Orchester war ich bisher etwas enttäuscht, das Orchester begleitete lediglich die Musik, wo es auch die Führung hätte übernehmen sollen, ähnlich wie bei einem Klavierkonzert. Wichtig für das Weiterleben ist sicher auch, dass Bob Dylan immer wieder Stücke von Grateful Dead bei seinen Konzerten spielt.

Erst in den letzten Wochen einige zum allerersten Mal. Die Aneignung geht weiter. Dead-Musik mit ihren ausgiebigen Improvisationsparts inspiriert mittlerweile Hunderte von Coverbands, ein Kollege von mir, ein Psychologe, spielt in einer solchen Band, Raising the Dead, und sie treten überall auf. Ob je wieder Leute herumreisen, um Raising the Dead zu sehen, glaube ich nicht. Das wird aufhören, aber die Musik lebt weiter, ja sie floriert.“

Markovits’ Anspielung auf den Dead-Song „The Music Never Stopped“ findet ein Echo in den Gesichtern der erst nach Garcias Tod geborenen Fans. Nach dem „Meet-Up at the Movies“ in Düsseldorf sprechen sie über den Konzertfilm nicht wie über eine Rockshow, eher gleicht ihre Unterhaltung einer Fachsimpelei über Eiskunstlauf: Technik, Interpretation und immer die Hoffnung, etwas Unglaublichem gewahr zu werden. Ein Jammer, würde diese Verheißung je verklingen.

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