Abschiedsgala für Soziales

PARTEITAG SPD-Delegierte stimmen mit großer Mehrheit für neuen Koalitionsvertrag - trotz viel Kritik am Verzicht ausgerechnet aufs partei-namensgebende Senats-Ressort

Trotz 8.000 Personenstimmen Opfer der Koalitionsarithmetik: Ex-Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter, hier noch in Amt und Würden. Bild: dpa

Ist es sozialdemokratisch, das Sozialressort aufzugeben und es den Grünen zu überlassen? Andreas Bovenschulte, Landesvorsitzender und Verhandlungsführer der SPD, hatte in den vergangenen Wochen eben jene Ressortaufteilung mit dem grünen Koalitionspartner vereinbart. Am Samstag, beim Landesparteitag im Bürgerhaus Vegesack, gab er sich alle Mühe, die Partei-Basis von der Verträglichkeit dieser Geschäftsverteilung mit dem sozialdemokratischen Selbstverständnis zu überzeugen.

Er könne die "deutliche Kritik" am Verhandlungsergebnis "durchaus nachvollziehen", sagte Bovenschulte. Tatsächlich aber sei die Macht über eine einzelne Behörde gar nicht entscheidend fürs Profil: "Die soziale Gerechtigkeit durchzieht alle Politikfelder," sagte er. Die SPD mache "überall soziale Politik" und habe deswegen "ihr "Kernressort" auch "nicht aufgegeben".

Auch Bürgermeister Jens Böhrnsen schlug manche dialektische Volte, um die rund 200 Delegierten mit dem Kompetenzverlust zu versöhnen. "Trotz aller Harmonie gibt es Unterschiede zu den Grünen, und die sind nicht künstlich," so Böhrnsen. "Das kommt daher, wer wen vertritt." Im Gegensatz zu der Ökopartei seien die SPD für jene da, "die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen".

Obwohl also festzuhalten bleibe, dass die Sozialdemokraten und niemand sonst Sachwalter der sozial Schwachen sind, sei das Sozialressort nicht zu halten gewesen.

Dazu hätte die Koalition nämlich laut Böhrnsen einen neuen, den insgesamt achten Senatorenposten schaffen müssen. Drei Behörden für die Grünen, fünf für die SPD - die arithmetischen Verhältnisse in der Koalition hätte dies korrekter gespiegelt als die jetzige Lösung. "Das wäre aber das ganz falsche Signal gewesen", so der Bürgermeister: Massiv kürzen und Personal abbauen "aber gleichzeitig oben was drauflegen - das hätte unsere Glaubwürdigkeit beschädigt und unsere Politik denunziert".

Zu dem Vorwurf, die Aufgabe des Sozialressorts beschädige "den sozialdemokratischen Markenkern" sagte Böhrnsen, es "dreht sich mir der Magen um, wenn ich das höre". Die SPD sei "keine Marke". Dennoch schmerze es, "Jugend und Soziales in andere Hände zu geben".

Herzerwärmend wirkte die Architektur des neuen Senats auch auf die Parteibasis nicht. Doch die Kritik in der sich anschließenden Aussprache blieb im Tonfall weitgehend moderat. Schlechter kam da schon an, wer die unmittelbare Zeche für das Zugeständnis an die Grünen zahlen musste: Die zur einfachen Abgeordneten abgestiegene Ex-Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter nämlich, die die Parteitagsdebatte aus den Reihen der Delegierten heraus verfolgte.

"Du hast einen bravourösen Job gemacht", hatte Böhrnsen ihr am Ende seiner Rede zugerufen. "Wir bleiben zusammen, Inge." Der Applaus hielt solange an, dass die zurückhaltende Rosenkötter sich nach einiger Zeit schließlich doch erhob. Fast alle Redner, die im Folgenden das Wort ergriffen, bedankten sich bei Rosenkötter und bedauerten ihren Amtsverlust. "Sie hat 8.000 Personenstimmen gekriegt und als Verhandlungsergebnis wird Ingelore geopfert", sagte eine Delegierte. "Ich bin echt sauer."

Letztlich stimmten nach etwa dreistündiger Debatte aber 162 der 197 Delegierten dem Koalitionsvertrag schließlich zu. Fast auf den Tag genau vor vier Jahren hatten allerdings noch 205 von damals 206 Delegierten den ersten rot-grünen Koalitionsvertrag abgesegnet.

Heute Abend wollen die Grünen auf ihrer Landesmitgliederversammlung über den Koalitionsvertrag abstimmen. Am Dienstag soll der Vertrag unterzeichnet werden, am Freitag wird dann die Bürgerschaft den neuen Senat wählen.

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