Abschied in Großbritannien: „Die Königin war meine Queen“
Mitten im ostenglischen Ipswich haben sich hunderte Menschen versammelt. Sie die Trauerfeier für die Queen auf einer Leinwand.
Manche umarmen sich, halten sich an den Händen oder trocknen ihre Tränen. Niemand spricht. Nur die Stimme einer Angestellten in einer Würstchenbude in der Nähe ist zu hören. Dann erschallt eine Hymne über den Platz: Die Liveübertragung beginnt.
Ipswich – das ist eine uralte Hafenstadt in Suffolk, etwa 100 Kilometer nordöstlich von London, in den beiden Weltkriegen schwer von deutschen Angriffen getroffen. Die etwa 140.000 Bürger:innen von Ipswich schienen die Stadtverwaltung mit ihrem Interesse an der Königsfamilie zunächst überrascht zu haben. Denn bei der Proklamation von König Charles III. am Samstag vor einer Woche, zwei Tage nach dem Tod der Queen, hatten sich hier 6.500 Personen zum Public Viewing versammelt. Kurzum organisierte Bürgermeister John Cook eine öffentliche Liveübertragung für die Bestattungsfeier von Queen Elizabeth II.
Dem verstorbenen Boss Respekt zollen
Für den 52-jährigen Stephen Black ist es selbstverständlich, die Trauerfeier hier im Stadtzentrum öffentlich zu verfolgen. „Ich bin ein Veteran der Royal Air Force, Station Wattisham“, berichtet der Mann mit Verdienstorden an der Jacke. „Ich habe gemeinsam mit Prinz Harry und Prinz William gedient.“ Es sei deshalb selbstverständlich, dass „Leute aus diesem Regiment ihre Anteilnahme und ihren Respekt gegenüber ihrem verstorbenen Boss zeigen“. Mit Boss meint er die Queen.
Die Eheleute Dan und Steph Harris, die ihre zwei Kinder mitgebracht haben, kommen aus Framingham, etwa 31 Kilometer entfernt. Die Bestattungsfeier öffentlich zu sehen, sei ihnen wichtig, damit die Kinder sich später daran erinnern, erzählen sie. „Ipswich war einfach der nächstgelegene Ort für uns.“
Mechaniker Steven Malkin, 59 Jahre alt, schluchzt. Er trägt eine Jeansjacke und ein rotes Kopftuch. „Ipswich ist meine Stadt und die Königin war meine Queen“, sagt er. Schon als kleiner Junge sah er Elizabeth II. bei einem Besuch in Ipswich.
Auch Angela Scrivener hat die Queen schon gesehen, im Finanzdistrikt Londons, wo sie damals arbeitete. „Es war kurz nach dem Terroranschlag am 7. Juli 2005, und ich weiß noch genau, was sie damals anhatte“, berichtet sie. Ihr Ehemann Jeff erklärt, das hier auf dem Stadtplatz sei wie ein Gottesdienst in einer Kirche. „Die Choräle bewegen uns, weil wir gläubige Christen sind.“
Eve Abbott, 18 Jahre
Sie merken, dass sich hier etwas Historisches abspielt
Einige Anwesende hat der Zufall hergebracht. Zum Beispiel Lauren Wright, Esther South und Eve Abbott, alle 18 Jahre alt. „Wir sind rausgegangen, um Freunde zu treffen“, berichtet Eve. „Meine Eltern haben sich beschwert, weil ich die Bestattung nicht zu Hause im Fernsehen sehen wollte.“ Die drei schildern, wie sie die Live-Übertragung dann plötzlich doch gefesselt habe, da sie merkten, dass sich hier etwas Besonderes, Historisches abspiele. „Plötzlich merkten wir, dass es etwas ist, wovon wir späteren Generationen erzählen werden“, sagt Eve.
Nachdem der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, seine Predigt zum Abschied der Queen in der Westminster Abbey beendet hat, bemerkt Victoria Biutanaseva, 48, die mit ihren zwölfjährigen Zwillingstöchtern Litiana und Lilibet gekommen ist, dass ihr die Worte sehr nahe gingen. „Es machte keinen Unterschied, wer sie war, sie wurde einfach als Mensch mit Liebe und Respekt geehrt.“
Auch Edward John Gemmel, 41, der am hinteren Ende des Platzes von einer Bank den Gottesdienst beobachtet, haben die Worte gefallen. Der Obdachlose, der zahlreiche Tattoos im Gesicht trägt, sagt: „Am Ende landen wir alle in der gleichen Grube.“ Er sei sehr traurig, „weil die Queen viel fürs Land getan hat“.
Als im Gottesdienst in Westminster Abbey die Nationalhymne mit den Worten „God Saves the King“ erklingt, erheben sich alle. Es fließen Tränen. Sogar eine Polizeibeamtin muss sich das Auge wieder trocknen. Um 12 Uhr mittags vermischen sich schließlich die Glocken aus dem Rathaus mit dem Ende der Übertragung. Später, im Mannings Pub am Stadtplatz, hebt eine Runde Geselliger die Biergläser: „Cheers, to the Queen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge