Tod der Queen: Trauer auf Twitter

Die Queen ist ein Relikt, das für eine alte Ordnung und durch Geburt festgelegte Hierarchien steht. Traurig, wie viele sich danach zurücksehnen.

Eine Frau weint und hält eine Teetasse in den Händen

Trauernde im Londoner Hyde Park können die Beerdigung der Queen auf gigantischen Leinwänden verfolgen Foto: Lewis Joly/ap

The Queen and the Royals are not my cup of tea. Sie sind mir etwa so gleichgültig wie ich ihnen, nur kriege ich leider mehr über sie mit. Diese Haltung hab ich wohl von meinen kroatischen Verwandten. Mein Lieblingsonkel etwa kommentiert die Tode berühmter Menschen, die gesund ins hohe Alter kamen, immer nur mit einem Satz: „Ein gesegnetes Leben.“ Bei der Queen fügte er mit einem Augenbrauenziehen den folgenden hinzu: „Vor dem Tod sind alle gleich.“

Als ich versuche, mit ihm über die Queen zu reden, sagt er: „Sie würde über mich auch nicht reden und schon gar nicht weinen.“ Es ist die Selbstbezogenheit eines alten Mannes, der jahrzehntelang darum gekämpft hat, sich ein wenig Status und Besitz zu erarbeiten, bis sein Körper zu müde für fast alles wurde und er nur noch schildkrötenartig im Schatten an seinem Esstisch sitzt. Ich mag seinen sturen Stolz. Und selten waren mir die Briten so fremd wie in diesen Tagen.

Vor dem Tod sind alle gleich, das ist auch der Satz, den ich automatisch denke, als ich die Nachricht vom Tod der Queen lese, weil er der Satz ist, den meine alten Verwandten nach dem Tod der Reichen und Berühmten immer sagen. Und wie sie ihn sagen! Ich sehe, wie sie leise aufatmen in solchen Momenten, vor allem, wenn jemand mit gesunden 96 Jahren stirbt.

Es ist das Aufatmen von Menschen, die immer in der zweiten, dritten oder vierten Reihe standen, weil es ihn wirklich gibt, diesen Moment, in dem die unvorstellbaren Privilegien eines Einzelnen ihn nicht mehr aus der Schlange mit allen anderen freikaufen können. Durch das Sterben der Queen wurde aber auch schnell klar: Vor dem Tod sind alle gleich, doch nach dem Tod sind wir es wieder nicht.

Fremdschämen im sozialen Netz

Über Tage zieht sich das Trauern, eine der längsten Warteschlangen in der Geschichte der Wartschlangen, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen, die mediale Dauerpräsenz, die darin gipfelte, das königliche Begräbnis auf ARD und ZDF zu senden, als wollte man selbst für eine Zusammenlegung der beiden plädieren. Tagelang. Abschied von der Queen, die Queen als junge Frau, die Queen als Königin, nichts als Überhöhung – man nannte es Würdigung.

Ich finde kollektives Trauern auf Twitter ohnehin schwierig, die digitale Trauerpalette von „R.I.P. (mit Foto darunter)“ bis hin zu „Mein unvergesslicher Moment mit der Queen … (bestenfalls Foto darunter)“ ist mir peinlich. Nie bin ich mir und sind mir andere fremder, als wenn auf Twitter getrauert wird.

Nach dem Tod der Queen aber krochen royale Tiefenschürfer aus den Löchern, sie prahlten mit ihren Titelkenntnissen, korrigierten die Fernsehmoderatorinnen, wenn sie höfische Namen falsch übersetzten, kommentierten stundenlang die stundenlangen Fernsehübertragungen, als ginge sie das alles wirklich etwas an. Freunde des Hofes einigten sich meist schnell auf den Hass gegen Meghan (Herzogin von Sussex, nicht mehr Markle), weil die Queen sie angeblich nicht ertragen habe.

Einige Schwarze, die es nicht ertrugen, wie man die Schattenseiten des Commonwealth zurückstellte, wurden als pietätlos gescholten, sie ließen die Queen nicht in Ruhe sterben. Müssen sie das wirklich? Wenn es um Pietät geht, wo bleibt sie bei den namenlosen Opfern der Geschichte? Wer erweist deren Familien die letzte Ehre? Warum ist es für viele so unerträglich, wenn Menschen schreien: Ihr trauert um die Privilegiertesten, während täglich Menschen sterben, die euch gleichgültig sind?

Relikt vergangener Ordnung

Nein, so ein Aufschrei sei zu billig, zu plakativ! Als wäre das königliche Protokoll nicht plakativ und als hätten Menschen nicht trotz allem das Recht, die Welt, wie sie ist, von Grund auf infrage zu stellen. Feuilletonisten schreiben dann schnell mal einen Text über die populistischen Züge der Monarchiekritik. Besserwisserei sei das.

Ich frage mich, wie solche Leute sich das 21. Jahrhundert vorstellen und ob es in ihren Augen okay war, dass im letzten Jahrhundert einige Besserwisser es geschafft haben, die absolutistischen Herrscher zu stürzen und der Demokratie den Weg zu ebnen? Ist es nicht ein legitimer Wunsch, dass man im 21. Jahrhundert den nächsten Schritt gehen und auch die konstitutionelle Monarchie beendet sehen möchte?

Im aktuellen Geschäftsjahr erhielt das britische Königshaus 86,3 Millionen Pfund – man muss sich das nicht leisten wollen. Es geht nicht ums Trauern, soll jeder betrauern, was er möchte oder muss. Es geht darum, dass Königshäuser die Überbleibsel des feudalen Denkens sind. Wir haben mit der Aufklärung die Mythen des blauen Bluts aufgelöst.

Es ist in der heutigen Zeit, in der die Wirklichkeitsfindung faktenbasiert und wissenschaftlich ist, ein absurder Akt, Menschen blaues Blut und entsprechende Privilegien zuzusprechen. Königshäuser sind heute nicht mehr als andere Reiche auch, nur dürfen sie sich für ihren Reichtum per Gesetz bei den Steuerzahlern bedienen. Vergleiche mit Bundespräsidenten hinken, unser Bundespräsident ist demokratisch gewählt.

Bewunderung aus der Ferne

Die Königshäuser, die Queen, der King, ihre Herzoginnen und Herzoge, ihre Hunde und Ponys mitsamt ihren Hofberichterstattern – sie sind Relikte, sie stehen für die Sehnsucht vieler Menschen nach der alten Ordnung, in der jeder mit der Geburt einen zugeschriebenen Platz erhielt. Das Volk darf die Oberen aus der Ferne bewundern, wie sie ein Stellvertreterleben für Menschen, die nicht aus ihrem Stand und Status herauskommen, führen.

Der Hype um die Feierlichkeiten war deshalb so deprimierend, weil sichtbar wurde, wie viele den alten Zeiten nachtrauern, wie viele es brauchen, zu einem König aufzusehen. Als King Charles in der Masse badet, ruft ihm ein Brite wütend zu, weshalb er das alles bezahlen muss, wenn er nicht einmal weiß, wie er seine Familie durch den Winter bringt. Ein kurzer Schatten über Charles Gesicht, dann wendet er sich wieder jenen zu, die ihm zujubeln.

Einer der schönsten Sätze, die ich im Theater über das Schauspiel gelernt habe, ging so: Den König spielen die anderen. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch so viele sind.

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ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Kolumnistin. Sie lebt in Heidelberg und ist Mitglied des PEN-Zentrums. Ihr letztes Buch, „Sheroes. Neue Hel­d*in­nen braucht das Land“, erschien 2019.

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