Abschiebungshaft für Jugendliche: Über Nacht erwachsen werden
Für heranwachsende Flüchtlinge gelten andere Regeln als für deutsche Jugendliche – das ist ungerecht.
W enn es um niedliche Kinder in katastrophalen griechischen Auffanglagern geht, ist der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) nicht der einzige, der sich mit breiter Brust vor die Kameras stellt und ihre Aufnahme fordert. Bei pickligen Jugendlichen oder jungen Männern hält sich der instinktive Beschützer-Eifer aber in Grenzen. Lieber versuchen die Behörden zu beweisen, dass sie keine Fürsorgepflicht haben, der Betroffene längst erwachsen ist und eine Abschiebungshaft rechtmäßig. So passiert es gerade in Langenhagen, wo ein Mann einsitzt, an dessen Volljährigkeit es große Zweifel gibt.
Dabei hat man bei jungen Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, erkannt, dass diese magische 18-Jahre-Grenze nicht so gut funktioniert. Leider ist es ja nicht so, dass jungen Menschen über Nacht plötzlich so viel Reife und Verstand zuwächst, dass sie – simsalabim – erwachsen sind, obwohl sie gestern noch siebzehn waren.
Sowohl in der Jugendhilfe als auch im Jugendstrafrecht haben sich deshalb Übergangsfristen und Alterskorridore durchgesetzt. Und die Verpflichtung, immer auch auf den Entwicklungsstand des Einzelnen zu schauen.
Für Geflüchtete gilt das natürlich nicht. Zu groß ist die Angst, dass sich haufenweise erwachsene Männer jünger machen und das überlastete Jugendhilfesystem in den Zusammenbruch treiben. Zu groß ist die Angst, dass Geflüchtete mit der Behauptung minderjährig zu sein, vor allem ihre Chancen erhöhen wollen, hierbleiben zu können.
Unterprivilegierte müssen schneller erwachsen werden
Geflüchtete müssen also weiter über Nacht erwachsen werden. Und wenn sie das nicht freiwillig tun, dann lässt man sie mit fragwürdigen medizinischen Methoden für erwachsen erklären. Aber möglicherweise folgt das auch einer eigenen, perfiden Logik: Unterprivilegierte Kinder müssen eben schneller erwachsen werden als die von reichen Zentraleuropäern.
Wollten sich die Behörden aber an den Gleichheitsgrundsatz halten, müssten sie bei jedem Zweifel an der Volljährigkeit oder der emotionalen Reife auf die Abschiebungshaft verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands